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Gaucks Sotschi-Absage: Lob und Tadel

9. Dezember 2013

Nein zu Sotschi: Bundespräsident Gauck will den Olympischen Winterspielen in Russland fernbleiben. Sein überraschender Reiseverzicht hat in Deutschland und Russland kontroverse Reaktionen ausgelöst.

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Bundespräsident Joachim Gauck (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Was bedeutet Gaucks Absage?

Das Bundespräsidialamt hat der russischen Regierung mitgeteilt, dass Bundespräsident Joachim Gauck nicht zu den Winterspielen kommt, die vom 7. bis 23. Februar in Sotschi stattfinden. Eine Sprecherin des Bundespräsidenten bestätigte einen entsprechenden Bericht des Magazins "Der Spiegel". Dies sei aber nicht als Boykott zu verstehen. Es gebe keine feste Regel, dass Bundespräsidenten zu Winterspielen reisten. 2010 habe auch der damalige Amtsinhaber Horst Köhler auf die Reise zu den Winterspielen im kanadischen Vancouver verzichtet.

Die Ankündigung des Bundespräsidenten befeuerte knapp zwei Monate vor der Eröffnungsfeier die Diskussionen um die politisch belasteten Spiele an der Schwarzmeerküste neu. Politiker werteten die Entscheidung als Reaktion auf Moskaus rigiden Umgang mit Menschenrechten. Gauck hatte wiederholt mehr Rechtsstaatlichkeit und Medienfreiheit in Russland angemahnt. Russland steht unter anderem wegen seines strikten Anti-Homosexuellen-Gesetzes international in der Kritik.

Bach vertraut auf Putins Zusage

Der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), Thomas Bach, zeigte sich überzeugt, dass es in Sotschi keine Diskriminierung von Homosexuellen geben werde. "Die Verantwortung und der Anspruch des IOC ist es, dass die Olympische Charta Anwendung findet", sagte der 59-Jährige. Dies habe ihm der russische Präsident Wladimir Putin zugesichert. Zugleich betonte Bach, dass das IOC "keine Weltregierung" sei, "die einem souveränen Staat vorschreiben kann, wie er seine Gesetze zu gestalten hat".

Mit einem Boykott habe Gaucks Schritt nichts zu tun, sagte der Generaldirektor des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), Michael Vesper. "Wer nicht hinfährt, der boykottiert nicht gleich etwas. Es ist mit Sicherheit nicht gegen die deutsche Mannschaft gerichtet", betonte er. Eine Reise von Gauck sei auch nicht geplant gewesen.

Dagegen nannte der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning, die Entscheidung eine "wunderbare Geste der Unterstützung für alle russischen Bürger, die sich für Meinungsfreiheit, Demokratie und Bürgerrechte einsetzen". "Die Winterspiele in Sotschi waren geplant als Zarenfestspiele." Diese Rechnung gehe jedoch nicht mehr auf.

"Ermutigendes Signal"

Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth bezeichnete den Reiseverzicht als "ermutigendes Signal". Einer Politik, die Homophobie zum Gesetz mache und die Opposition unterdrücke, dürfe nicht tatenlos zugesehen werden, sagte die Grünen-Politikerin.

Politiker von Union und SPD reagierten skeptisch auf Gaucks Sotschi-Verzicht. Der CDU-Bundestagsabgeordnete und Russland-Experte Andreas Schockenhoff sagte, der Boykott entspreche zwar der konsequenten Haltung des Bundespräsidenten zu Menschenrechtsfragen. Einen generellen Boykottaufruf halte er aber trotzdem für falsch: "Man muss sich fragen, ob man damit nicht auch die Menschen im Land trifft."

Was bedeutet Gaucks Absage?

Auch der SPD-Bundestagsabgeordnete Lars Klingbeil, Vizevorsitzender der deutsch-russischen Parlamentariergruppe, sieht einen Boykott skeptisch: Ein Besuch der Olympischen Spiele hätte "auch eine gute Möglichkeit geboten, um Gespräche mit Reformkräften in Russland zu führen und ihren Anliegen in der politischen Debatte mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen."

Widerspruch aus Moskau

In Russland stieß seine Absage auf Missbilligung. "Der deutsche Präsident Gauck kritisierte kein einziges Mal die Tötung von Kindern und Frauen in Pakistan und Afghanistan. Aber er verurteilt Russland so stark, dass er nicht einmal nach Sotschi reisen will", twitterte der Chef des Auswärtigen Ausschusses im russischen Parlament, Alexej Puschkow.

Gauck hat Russland seit seinem Amtsantritt im März 2012 noch keinen offiziellen Besuch abgestattet. Sein Verhältnis zu Russland gilt als angespannt, sein Vater war mehrere Jahre in einem sibirischen Arbeitslager interniert. Die Olympischen Sommerspiele und Paralympics in London 2012 hatte der DDR-Bürgerrechtler besucht.

kle/det (dpa, sid, afp)