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Lernen in der Lager-Schule

Hilke Fischer/Patricia Houn17. Januar 2014

In Flüchtlingslagern in der südsudanesischen Hauptstadt Juba legen Schüler in diesen Tagen Prüfungen ab. Was für Kinder in anderen Ländern Normalität ist, ist in Krisengebieten wie dem Südsudan eine Ausnahme.

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Schüler im Südsudan (Foto: picture allaince)
Bild: picture-alliance/Maximilian Norz

Sandy schaut konzentriert auf das Aufgabenblatt vor ihr auf dem Tisch. Dann greift sie zu ihrem Stift und beginnt zu schreiben. Die 17-Jährige ist eine von knapp 400 Schülern, die gerade in den Flüchtlingslagern in Juba ihren Grundschulabschluss machen. "Ich möchte eine gebildete junge Frau sein", sagt sie. Aber die Umstände machen ihr das nicht leicht. "Das Leben im Flüchtlingslager ist sehr schwer. Es gibt kein Wasser, keinen Strom. Selbst einen Stuhl zu finden um zu lernen, ist unmöglich."

Planmäßig hätten die Abschlussprüfungen bereits Mitte Dezember 2013 stattfinden sollen. Doch der politische Machtkampf, der sich zu einem Bürgerkrieg ausweitete, machte einen regulären Schulbetrieb unmöglich. In diesen Tagen sollen die Prüfungen nun nachgeholt werden.

UNICEF, das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen, hat zusammen mit dem Bildungsministerium sichergestellt, dass auch die Schüler, die vor der Gewalt in die UN-Lager geflüchtet sind, an den Prüfungen teilnehmen können. "Die Zukunft dieser Kinder steht auf dem Spiel", sagt Paulino Kenyi, Bildungsbeauftragter bei UNICEF im Südsudan. "Nur wenn die Schüler diese Prüfung bestehen, können sie eine weiterführende Schule besuchen. Wenn sie die Prüfung nicht ablegen, müssen sie das Schuljahr wiederholen." Kenyi und seine Kollegen haben deshalb Lehrer in den Flüchtlingslagern ausfindig gemacht. Abends haben sie den Schülern dabei geholfen, sich auf die Prüfungen vorzubereiten.

Schüler in der Zentralafrikanischen Republik (Foto: Imago)
Viele Schulen mussten in der Zentralafrikanischen Republik schon vor dem derzeitigen Konflikt mit einfachsten Mitteln auskommenBild: imago/CHROMORANGE

Ohne Sicherheit keine Bildung

Viele Schüler in Krisenregionen haben nicht soviel Glück im Unglück. In der Elfenbeinküste etwa kam es nach der Präsidentschaftswahl 2010 zu einem kurzen aber heftigen Bürgerkrieg. UNICEF schätzt, dass mehr als 140.000 Schüler staatlicher Grundschulen deshalb keinen Abschluss machen konnten. Insgesamt war mehr als eine Million Grundschüler im Land von der fünfmonatigen politischen Krise betroffen; entweder, weil ihre Schulen geschlossen wurden, oder weil sie mit ihrer Familie auf der Flucht waren.

Viele Eltern schickten ihre Kinder in Krisenregionen wegen der schlechten Sicherheitslage aus Sorge nicht zur Schule, sagt Brenda Haiplik, Beraterin für Bildungsfragen in der UNICEF-Zentrale in New York. Schüler und Lehrer würden in Kriegs- und Krisengebieten häufig auf dem Weg zur Schule angegriffen, viele Mädchen würden Opfer sexueller Gewalt. "Es muss eine sichere Umgebung für Schüler und Lehrer geschaffen werden", sagt Haiplik. Das sei aber gerade in ländlichen Gegenden oft sehr schwer.

SOS-Kinderdorf in Bangui (Foto: SOS-Kinderdörfer weltweit)
In den Klassenräumen des SOS-Kinderdorfs in Bangui schlafen FlüchtlingeBild: SOS-Kinderdörfer weltweit/Till Müllenmeister

2010 in der Elfenbeinküste habe sich die Organisation "SOS Kinderdörfer weltweit" entschlossen, von ihr betreute Kinder mit Bussen in das Nachbarland Togo zu bringen, erzählt der Sprecher der Organisation Louay Yassin. Dort seien die Kinder in Sicherheit gewesen und konnten weiter zur Schule gehen. Die meisten ihrer Altersgenossen in der Elfenbeinküste hatten dieses Glück allerdings nicht.

Gefahr einer verlorenen Generation

SOS Kinderdörfer betreibt auch eine Schule in Bangui, der Hauptstadt der Zentralafrikanischen Republik, die seit dem vergangenen Jahr Schauplatz blutiger Kämpfe ist. Wie viele andere Schulen im Land ist auch die SOS-Schule zu einem Auffanglager für Flüchtlinge umfunktioniert worden. Statt mit Schulbänken sind die Klassenzimmer nun voll mit Matten und Matratzen. Hunderttausende Menschen sind auf der Flucht. "An Unterricht ist gar nicht zu denken", sagt Yassin. Ein Dauerzustand dürfe der Schulausfall aber nicht sein. "Kinder, auch in Krisensituationen, brauchen Bildung. Einerseits, um den seelischen Druck zu mildern, der durch die schreckliche Situation auf ihnen lastet, und andererseits, damit nicht später die junge Generation brach liegt", sagt Yassin.

Wenn ein Konflikt nur einige Monate dauere, sei das Verpasste gut wieder aufzuholen, sagt Yassin. Dann werde ein Schuljahr verkürzt und im folgenden Jahr umso mehr gelernt oder die Zeit, in der die Schulen geschlossen seien, werde mit privatem Unterricht überbrückt. Aber wenn ein Konflikt lang andauere, dann werde es in einigen Jahren eine Generation geben, die schlecht oder gar nicht ausgebildet ist. "Das ist eine Katastrophe für den einzelnen und natürlich auch eine Katastrophe für das ganze Land." Dadurch, dass es an Wissen und ausgebildeten Arbeitskräften fehle, werde auch die Armut steigen.

Schüler im Südsudan (Foto: picture alliance)
Nur jeder zehnte Schüler im Südsudan schließt die Grundschule erfolgreich abBild: picture-alliance/Maximilian Norz

Im Südsudan können UN-Angaben zufolge nicht einmal 30 Prozent der Menschen lesen und schreiben. Nur jeder zehnte Schüler schließt die Grundschule ab. Wenn alles gut geht, sind die Schüler bei ihrem Abschluss 14 Jahre alt. Viele sind jedoch wesentlich älter. "Daran ist der Krieg Schuld", sagt Abraham, ein 21-jähriger Grundschüler, der im Flüchtlingscamp in Juba gerade seine Abschlussprüfung geschrieben hat. "Nicht nur dieser Krieg, sondern auch die Kriege davor." Abraham war bei seiner Einschulung elf Jahre alt und konnte auch nur mit langen Unterbrechungen zur Schule gehen. "Jetzt werde ich meine Schulbildung nicht wieder unterbrechen", sagt er entschlossen, "selbst wenn der Krieg weitergeht."