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Kein Neustart mit Osteuropa

Roman Goncharenko13. September 2013

Streit um demokratische Werte und Reformen belastet die Beziehungen Deutschlands mit Russland und der Ukraine. Nach der Bundestagswahl dürfte sich daran wenig ändern, meinen Experten.

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Präsident Wladimir Putin und Bundeskanzlerin Angela Merkel in St.Petersburg am 21.06.2013 (Foto: DW)
Präsident Wladimir Putin und Bundeskanzlerin Angela MerkelBild: DW/A. Brenner

Sie spricht Russisch, er spricht Deutsch. Doch eine Freundschaft wie zwischen ihrem SPD-Vorgänger im Kanzleramt, Gerhard Schröder, und Wladimir Putin konnte Angela Merkel mit dem russischen Präsidenten nicht entwickeln. Ihr Treffen im Juni 2013 endete beinahe in einem Eklat. Beim Besuch in Sankt Petersburg sagte Merkel die Eröffnung einer Kunstausstellung zusammen mit Putin überraschend ab. Die Bundeskanzlerin reagierte damit auf die Entscheidung des Gastgebers, die geplanten Reden zu streichen. Am Ende kamen Merkel und Putin doch zu der Ausstellung. Die deutsche Regierungschefin sprach über Berlins Ansprüche auf die so genannte "Beutekunst". Dass Putin darüber nicht begeistert war, nahm sie in Kauf.

Zum Kreml pflegte die Bundeskanzlerin von Anfang an einen Politikstil, den Experten als "pragmatisch" beschreiben. "Merkel und Putin haben keine besonders warmen persönlichen Beziehungen", sagte Fjodor Lukjanow, Chefredakteur der Fachzeitschrift "Russland in der globalen Politik", der Deutschen Welle. Die Ansichten beider Politiker seien "zu verschieden". Das dürfte sich auch nach der Bundestagswahl am 22. September 2013 nicht ändern, wenn die regierende CDU Umfragen zufolge erneut stärkste Kraft im Parlament wird und Merkel Kanzlerin bleibt. "Mehr Herzlichkeit wird es nicht geben, eher im Gegenteil", sagt Lukjanow.

Werteabstand wird größer

Seit Putins Rückkehr in den Kreml im Mai 2012 ist Berlins Kritik an den politischen Verhältnissen in Russland stärker geworden. Ob neue Gesetze, die aus deutscher Sicht die Zivilgesellschaft und Opposition in Russland unter Druck setzen, die Gerichtsurteile gegen Aktivistinnen der Punkband "Pussy Riot" oder das so genannte "Anti-Schwulenpropaganda-Gesetz", deutsche Politiker zeigten sich enttäuscht. Lukjanow spricht von einem immer größer werdenden Werteabstand zwischen Russland und Europa, Deutschland inbegriffen.

Mitglieder von Pussy Riot bei einer Protestaktion in der Moskauer Christ-Erlöser-Kirche (Photo ITAR-TASS/ Mitya Aleshkovsky)
Mitglieder von Pussy Riot bei ihrer Protestaktion in der Moskauer Christ-Erlöser-KircheBild: picture-alliance/dpa

Der kritische Ton zwischen Berlin und Moskau habe einen Höhepunkt erreicht, stellt Wladislaw Below, Leiter des Zentrums für Deutschland-Studien an der Russischen Akademie der Wissenschaften fest. Von einer Verschlechterung der Beziehungen will er aber nichts wissen. "Verschlechtert hat sich die Einstellung zu Putin und seiner Umgebung", sagte Below der DW. Die deutsch-russischen Beziehungen in ihrer Breite seien davon nicht betroffen. Das gilt vor allem für die Wirtschaft. Der Handel erreichte 2012 mit einem Gesamtvolumen von über 80 Milliarden Euro einen neuen Rekord, so der Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft.

Gemeinsamkeiten bleiben

In deutschen Fachkreisen wird inzwischen darüber diskutiert, wie Berlin auf innenpolitische Veränderungen in Russland reagieren soll. Die einen plädieren dafür, den kritischen Ton beizubehalten. Die anderen sind dagegen. Experten wie Hans-Henning Schröder von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) sehen Bedarf nach einer "neuen politischen Linie" gegenüber einem Russland, das sich stark verändert hat. Schröders russische Kollegen dagegen sehen keine Notwendigkeit, das Verhältnis zu Deutschland neu auszurichten.

Es spiele keine große Rolle, wer künftig in Berlin regiert, so die Meinung russischer Experten. Eine große Koalition aus CDU/CSU und SPD wäre aus Moskaus Sicht allerdings wünschenswert, weil dann "der kritische Ton nicht so offensiv" wäre, sagt Wladislaw Below. Die Sozialdemokraten würden Russland weniger öffentlich kritisieren. Die Fortsetzung der aktuellen Regierung der Unionsparteien und der FDP hält Below aus Moskauer Sicht nur für die zweitbeste Option nach der Bundestagwahl.

Sein Fazit: Veränderungen in den deutsch-russischen Beziehungen werde es nicht geben. Auch dann nicht, wenn die "besonders Putin-kritischen" Grünen an einer Regierung in Berlin beteiligt wären.

Ukraine braucht Berlin auf dem Weg nach Europa

In der benachbarten Ukraine sind die Erwartungen an die Bundestagswahl deutlich höher. Denn anders als Russland strebt die Ukraine eine Mitgliedschaft in der Europäischen Union an und braucht dafür Unterstützung aus Berlin.

Bereits im November 2013 möchte die Regierung in Kiew ein Assoziierungsabkommen mit der EU unterzeichnen, das auch die Schaffung einer Freihandelszone vorsieht. Experten in Kiew wie der Stellvertretende Leiter des Rasumkow-Zentrums, Waleri Tschaly, glauben, dass ein "Ja" aus Deutschland eine Schlüsselrolle spiele. "Die Haltung Berlins in Bezug auf das EU-Assoziierungsabkommen mit der Ukraine" sei ein Grund, warum die Bundestagswahl von Experten und Politikern in Kiew genau beobachtet werde, sagte Tschaly der DW.

Timoschenko als Belastungsfaktor

Dabei sind die Beziehungen zwischen der Führung in Berlin und Kiew noch schwieriger als mit Moskau. Die Bundeskanzlerin Merkel hat sich mit dem ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch seit zwei Jahren nicht mehr getroffen. Der Grund: der autoritäre Stil des ukrainischen Präsidenten und die so genannte "selektive Justiz" gegen Oppositionspolitiker, die von Deutschland und der EU immer wieder kritisiert wird.

Ein Plakat mit dem Portrait der inhaftierten ehemaligen ukrainischen Ministerpräsidentin Julia Timoschenko (Foto:Sergei Chuzavkov/AP/dapd)
Julia Timoschenko wurde wegen Amtsmissbrauchs zu einer siebenjährigen Haftstrafe verurteiltBild: dapd

In erster Linie belastet das Schicksal der ehemaligen Ministerpräsidentin Julia Timoschenko das Verhältnis. Timoschenko wurde in einem international kritisierten Prozess im Herbst 2011 verurteilt. Sollte sie im Gefängnis bleiben, werde Deutschland das Assoziierungsabkommen zwischen EU und der Ukraine wohl nicht unterzeichnen, hieß es aus dem Auswärtigen Amt auf DW-Nachfrage. Die endgültige Entscheidung werde in Berlin nach der Bundestagswahl getroffen, vermutet der Kiewer Experte Tschaly. Welche es sein wird, hänge von Kiew ab.

Trotz Kritik aus Berlin hoffen prowestliche Kräfte in Kiew, dass Merkel Bundeskanzlerin bleibt. Sozialdemokraten dagegen haben in Kiew den Ruf "zu Russland-hörig" zu sein.