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Die Magie von Rudolstadt

Suzanne Cords, z.Zt. Rudolstadt5. Juli 2014

Die meiste Zeit des Jahres geht es in dem pittoresken Städtchen im Thüringer Wald beschaulich zu. Doch einmal im Jahr mutiert Rudolstadt zum Mekka für Weltmusik- und Folkfreunde.

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Tanz- und Folkfestival in Rudolstadt 2007
Bild: picture-alliance/dpa

Gemächlich plätschert die Saale dahin. Hoch über den Häusern erhebt sich die Heidecksburg, wo Jahrhunderte lang die Fürsten von Schwarzburg residierten. Doch wo einst im Burghof die Kutschen vorfuhren, spielten am ersten Juliwochenende beim TFF, so das Kürzel für das internationale Tanz- und Folkfestival Rudolstadt, vier Tage lang Bands unterschiedlichster Couleur: die Schottin Eddie Reader zum Beispiel, die 1994 als beste Sängerin Großbritanniens ausgezeichnet wurde und von der Queen den Orden des britischen Empires erhielt. Oder die in Istanbul aufgewachsene Kurdin Ciĝdem Aslan, die in London lebt und griechische Musik macht. Dann bringen die Puppini Sisters aus London Lieder aus den 1940er Jahren zu Gehör - von den Thüringer Symphonikern unterstützt - bevor schließlich der Afrikaner Kazimoto mit fetziger Jugendmusik namens "Mchitiku" aus den Vorstädten Dar es Salaams auf die Bühne kommt.

Alte Bekannte und musikalische Entdeckungen

Das Publikum ist bunt gemischt; Rastafaris, Rentner, Familien mit kleinen Kindern, Einheimische und Touristen: Sie alle sind längst eine große Festival-Familie. Man kennt sich, denn die meisten TFF-Besucher sind Wiederholungstäter. Man kommt nicht wegen der großen Namen - obwohl auch die sich manchmal hierher verirren - sondern wegen der musikalischen Vielfalt.

Nicht nur auf der Burg, sondern in der ganzen Stadt und im großen Heinepark wird musiziert, getanzt und gefeiert. Künstler aus 45 Nationen geben rund 200 Konzerte – und da sind die Straßenmusiker noch gar nicht mitgezählt. Nicht selten entdeckt man beim Weg zu seinem Star - von ZAZ über den Reggae-König Gentleman bis hin zum weiblichen Part der populären Band "Wir sind Helden", Judith Holofernes ,- beim zufälligen Vorbeischlendern eine Band, von der man noch nie gehört hat, aber der man fortan verfallen ist.

Weltmusikfestival TFF Rudolstadt
An jeder Straßenecke andere MusikBild: picture-alliance/dpa

"Samba ist eine ernste Sache"

Es laufen viele Veranstaltungen parallel, so dass man allzu oft die Qual der Wahl hat: Gehe ich zum Blues oder höre ich mir lieber den Chor aus Sansibar-Stadt mit dem unaussprechlichen Namen "Tarbiya Islamiyya" an? Am Schluss bleibt man auf dem Weg dorthin bei Dona Nicinha hängen, der 70-jährigen Matriarchin aus Santa Amaro. Sie ist mit ihrer Truppe aus Brasilien angereist, um den Leuten den Samba de Roda beizubringen.

Wie wild dreht sie sich im Kreis, das weiße wallende Gewand und der Turban unterstreichen ihre imposante Erscheinung. "Der Samba ist eine sehr ernste Sache", sagt sie, "man darf ihn nicht auf die leichte Schulter nehmen. Schließlich ehren wir mit ihm auch die Orixas, die Götter."

Dona Nicinha, Foto: Horst Krauth
Dona Nicinha brachte die Menge schnell zum TanzenBild: Horst Krauth

Zusammen mit ihrem Mann, Mestre Vavá, unterrichtete Dona Nicinha schon vor 50 Jahren die Kinder ihres Stadtviertels in einem heruntergekommenen Haus, das einst dem Besitzer einer Zuckerrohrplantage gehörte. Heute ist in dem renovierten Prachtbau der Stammsitz aller Samba-Gruppen der Region ansässig, und fast alle Mitglieder sind bei der resoluten alten Dame in die Schule gegangen. "Das ist mein Sohn Guegueu", deutet sie stolz auf einen stattlichen Mann, "der hat schon im Mutterleib Samba getanzt!"

Dona Nicinha stammt aus armen Verhältnissen, doch dank ihres Engagements für den Samba, der 2004 zum immateriellen Weltkulturerbe ernannt wurde, ist sie schon viel im Ausland rumgekommen. Die Einladung nach Rudolstadt bekam sie, weil hier jedes Jahr ein anderer Tanz in all seinen Facetten beleuchtet wird. Diesmal ist wohl die Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien nicht ganz unschuldig daran, dass die Wahl auf den Samba fiel.

Afrikanischer Hot Spot und indische Magie

Band Kithara
Die Band Kithara freute sich auf ihren Auftritt beim TFFBild: Agentur

Auch einen Länderschwerpunkt gibt es beim TFF: 2014 steht Tansania im Fokus. Zahlreiche Künstler aus dem afrikanischen Land sind angereist und zeigen dem begeisterten Publikum, wie facettenreich "Baikoko- oder Taarab"–Klänge sein können. "Mambo Moto Moto" lautet das Motto der Musiker - das ist Kisuaheli und bedeutet "Hot Spot."

Um Mitternacht wird es magisch – der indische Familienclan Mudiyettu zeigt ein Ritual zu Ehren der Göttin Kali - mit viel Feuerspektakel, exotische Masken und Trommelrhythmen, die in Trance versetzen. Erst um drei Uhr nachts ziehen die Massen nach Hause. Zum Schlafen bleibt nicht viel Zeit, am nächsten Morgen lockt schon der nächste Event: der magische Bass. Wenn ein Tanz und ein Land beleuchtet werden, meldet sich lautstark ein Instrument zu Wort.

Auch Bassgeige, Bassklarinette und Bassposaune wollten immer schon mal zeigen, dass sie mehr Töne beherrschen als nur das tiefe "C". Musiker aus Griechenland, Frankreich oder der Mongolei haben eine Woche geprobt und treten dann gemeinsam beim "Magic Bass" auf. "Für unsere Zuschauer ist das immer ein Highlight", sagt der Chef des Projekts, Wolfgang Meyering. "Im letzten Jahr haben wir die Flöte vorgestellt." Dementsprechend gut sind dann auch die Workshops besucht, bei denen die Musiker die wissbegierigen Besucher in die Geheimnisse ihrer Instrumente einweisen.

Lange Tradition

Als das TFF 1955 als Tanzfest der DDR gegründet wurde, hätte sich wohl niemand träumen lassen, dass es nach der Wende zum größten Folk-und Weltmusikfestival Deutschlands mutieren würde – inklusive Kunsthandwerkmarkt, Klamotten- und Schmuckständen und einer Handwerkergasse mit Instrumentenbauern. Dort bleibt eine ältere Frau vor einem Verkaufstand stehen, wo eine melancholische Männerstimme blechern aus dem Recorder ertönt. "Die Musik ist wunderschön, die habe ich lange nicht gehört", meint sie verträumt. "Die CD habe ich doppelt zuhause", lächelt der Verkäufer. "Die können sie haben. Kostenlos natürlich." Auch das ist Rudolstadt.

Vater mit Kind Foto: Horst Krauth
Kleinen Besuchern war die Musik manchmal zu lautBild: Horst Krauth