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Flüchtlinge in Griechenland

Jannis Papadimitriou / Athen16. April 2015

Die griechische Regierung kapituliert vor dem Flüchtlingsansturm aus dem Nahen und Mittleren Osten. Drohungen in Richtung Europa werden ausgesprochen - und hastig zurückgenommen.

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Flüchtlinge in der Nähe von Kreta (Foto: AP Photo/Petros Giannakouris)
Bild: picture-alliance/AP Photo/P. Giannakouris

Nach einer Krisensitzung beim Ministerpräsidenten Alexis Tsipras am Dienstag (13.4.) sorgte eine Mitteilung des Regierungssprechers Gavriil Sakellaridis für Aufsehen: Asylsuchende aus Syrien würden umgehend mit den gesetzlich vorgesehenen Reisedokumenten versorgt, damit sie in ihr Zielland in Westeuropa weiterreisen können, erklärte der Vertraute des Ministerpräsidenten. Damit schien die frühere Drohung griechischer Linkspolitiker konkretisiert zu werden, sie würden die Grenzen einfach öffnen und Hunderttausende Flüchtlinge in andere EU-Länder gehen lassen, falls diese nicht bereit wären, mehr Einwanderer aufzunehmen. Im Laufe des Tages gab es dann doch eine Berichtigung: "Asylsuchende aus Syrien werden umgehend mit den gesetzlich vorgesehenen Dokumenten versorgt", hieß es kurz und knapp in der korrigierten Fassung der Regierungserklärung. Von einem weiteren "Zielland" innerhalb der EU und von "Reisedokumenten" war plötzlich keine Rede mehr.

Flüchtlinge in Kyprinos, Griechenland (Foto: Nikos Arvanitidis/epa/dpa)
Die Grenzen Griechenlands sind auch die Außengrenzen EuropasBild: picture-alliance/dpa/N. Arvanitidis

Was war geschehen? Nach Informationen des TV-Senders Skai wollte die griechische Regierung den Eindruck vermeiden, ihre Verpflichtungen aus dem Schengener Abkommen würden nicht erfüllt. Daher die späte Berichtigung. Doch warum hat sich der Regierungssprecher zu einer anscheinend unbedachten Formulierung verleiten lassen? Vermutlich wegen der Unerfahrenheit, glaubt Angelos Syrigos, Assistenzprofessor für Völkerrecht und internationale Politik an der Panteion Universität in Athen. Jedenfalls entspreche die Erklärung des Regierungssprechers nicht den Tatsachen, moniert Syrigos im Gespräch mit der DW: "Wenn jemand einen Asylantrag stellt, darf er keine Reisedokumente erhalten, bevor der Asylstatus überhaupt geklärt wird. Und das kann unter Umständen dauern."

Zahl der Flüchtlinge vervierfacht

Seit Dezember 2014 haben 262 Flüchtlinge gültige Reisedokumente für eine Weiterreise in andere EU-Staaten bekommen, berichtet die Athener Zeitung Ethnos, wobei weitere Anträge derzeit geprüft würden. Das Blatt vermutet eine "neue Migrantenwelle" in Griechenland und die Statistik der hellenischen Küstenwache für das erste Quartal dieses Jahres scheint dies zu bestätigen: Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum hat sich die Zahl der Flüchtlinge, die aus Syrien und anderen Ländern über die Türkei nach Griechenland kommen, fast vervierfacht. "Obwohl derzeit immer noch starker Wind in der Ostägäis herrscht, sind die Ankunftszahlen von Flüchtlingen stark angeschwollen und wenn das so weiter geht, werden wir im Hochsommer mit Rekordzahlen konfrontiert" mahnt Angelos Syrigos.

Der Jurist kennt die Flüchtlingsproblematik: Bis vor wenigen Tagen diente der 49-jährige als Generalsekretär im Athener Innenministerium. Wie üblich nach einem Regierungswechsel in Griechenland musste er seinen Posten räumen, die Politik der nun regierenden Linkspartei ist ihm wohl fremd. Trotzdem glaubt Syrigos nicht, dass die neuen Machthaber Angst vor Flüchtlingen schüren, um von eigenen Missetaten oder von den Wirtschaftsproblemen in Griechenland abzulenken. Die Herausforderung steigender Flüchtlingszahlen existiere tatsächlich, sie sei nicht zu übersehen, mahnt der Jurist. Und er fügt hinzu: "Aus meiner Sicht ist die Flüchtlingsdebatte kein Ablenkungsmanöver, sondern eher noch eine zusätzliche Belastung für die Regierenden. In Oppositionszeiten hatten sie sehr viel versprochen, auch was die Akzeptanz von Flüchtlingen und Asylbewerbern betrifft. Doch nun klaffen Anspruch und Wirklichkeit stark auseinander."

Linkspolitiker sieht die EU-Kommission in der Pflicht

Wie stark die Flüchtlingsdebatte im linken Lager emotionalisiert wird, zeigt der Einsatz des Syriza-Abgeordneten Jannis Micheloyannakis: Ende 2014 unterstützte der Linkspolitiker, damals noch in Opposition, einen Sitz- und Hungerstreik syrischer Flüchtlinge, die ihr Recht auf Asyl erzwingen wollten. In einer symbolischen Aktion war Micheloyannakis sogar selbst für wenige Tage in den Hungerstreik getreten. Heute fordert der Regierungspolitiker im TV-Sender Skai eine zügige Änderung des europäischen Asylrechts und will dafür nicht zuletzt den griechischen EU-Kommissar Dimitris Avramopoulos einspannen lassen: Der soll den Europäern ständig einhämmern, dass die Grenzen Griechenlands auch die Außengrenzen Europas seien - schließlich habe Avramopoulos seine Position auch der Syriza-Partei zu verdanken, donnert der wortgewaltige Politiker aus Kreta.

Flüchtlinge in Athen Asylbewerber in Athen (Foto: EPA/ORESTIS PANAGIOTOU)
Immer mehr Asylbewerber kommen nach GriechenlandBild: picture-alliance/dpa/EPA/O. Panagiotou

Seit langem drängt Athen auf eine Reform der europäischen Dublin-III-Verordnung, nach der für Asylsuchende jeweils der EU-Staat zuständig ist, den ein Flüchtling als erstes betritt. Wie viele Regierungschefs vor ihm fordert Linkspremier Tsipras eine gleichmäßige Verteilung der Flüchtlinge auf alle EU-Mitgliedstaaten. Sonst würde Griechenland zum Auffanglager für Migranten, klagte Tsipras gegenüber EU-Innenkommissar Avramopoulos bei dessen letzten Besuch in Athen. Nach Auffassung von Völkerrechtler Syrigos sei diese Forderung jedoch wenig bis gar nicht realistisch: Eine Änderung der Dublin-III-Verordnung sei nur einstimmig möglich und rücke damit in weite Ferne, mahnt der Jurist. Einziger Ausweg für Griechenland sei ein Antrag auf finanzielle Unterstützung aus dem europäischen Asyl- und Migrationsfonds.