1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Krieg auf der Krim unwahrscheinlich

Roman Goncharenko26. Februar 2014

Russland versetzt seine Armee in Alarmbereitschaft. Experten glauben aber nicht an einen Krieg auf der ukrainischen Halbinsel Krim. Die Beziehungen zwischen Moskau und Kiew dürften trotzdem schwierig bleiben.

https://p.dw.com/p/1BFiY
Schiff der in Sewastopol auf der Krim stationierten russischen Schwarzmeerflotte (Foto: ITAR-TASS / Alexei Pavlishak)
In Sewastopol auf der Krim ist die russische Schwarzmeerflotte stationiertBild: picture-alliance/dpa

Aus Russland kommen widersprüchliche Signale. Präsident Wladimir Putin versetzte am Mittwoch (26.02.2014) überraschend die Armee im Westen und in der Mitte des Landes in Alarmbereitschaft. Ein Großteil der russischen Truppen soll sich einsatzbereit halten, teilte Verteidigungsminister Sergej Schojgu mit. Betroffen sind auch Regionen an der Grenze zur Ukraine. Viele Ukrainer befürchten, dass nach dem Machtwechsel in der ehemaligen Sowjetrepublik Russland militärisch eingreifen könnte. Moskau erkennt die Legitimität der Übergangsregierung in Kiew nicht an und kündigte an, die Rechte der russischen Bevölkerung in der Ukraine verteidigen zu wollen.

Russische Pässe als Alarmzeichen

Plenarsaal der russischen Staatsduma (Foto: REUTERS/Sergei Karpukhin)
Die Staatsduma, das russische Parlament, erkennt die neue Staatsmacht in der Ukraine nicht anBild: REUTERS

Vor einigen Jahren bezeichnete Putin eine militärische Konfrontation mit der Ukraine als einen "Alptraum": "Es ist schrecklich, daran zu denken." "Ein solches Szenario ist unmöglich", sagte am Mittwoch Valentina Matwijenko, Vorsitzende des Föderationsrats in Moskau. Der Föderationsrat ist die zweite Kammer des russischen Parlaments, in der die Regionen vertreten sind. In der ersten Kammer, der Staatsduma, wird inzwischen heiß über den Machtwechsel in der benachbarten Ex-Sowjetrepublik diskutiert. Der Rechtspopulist Wladimir Schirinowski schlägt etwa vor, an Ukrainer russische Pässe zu verteilen.

In der Ukraine, aber auch in westlichen Fachkreisen, werden solche Nachrichten aufmerksam verfolgt. Experten wie Jens Siegert verweisen darauf, dass Russland auch in der abtrünnigen georgischen Region Abchasien Pässe verteilt hatte. "Ich halte das für einen gefährlichen Schritt", sagte der Leiter der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung in Moskau in einem Gespräch mit der Deutschen Welle. Er sei jedoch nicht sicher, ob sich der Kreml im Fall Ukraine dazu entschließen würde.

Militärische Intervention "sehr unwahrscheinlich"

Auch andere Experten bezweifeln, dass Russland in der Ukraine militärisch intervenieren wird. "Das ist ein Szenario, das ich für ausgeschlossen halte", sagte Gerhard Mangott von der Universität Innsbruck der DW. "Denn das würde einen erheblichen Schaden für Russlands Beziehungen zur Europäischen Union und den Vereinigten Staaten bedeuten", sagte Mangott. Ein weiterer Grund sei die ukrainische Armee, die starken Widerstand leisten könnte.

"Sollten sich auf der Krim Zusammenstöße zwischen der russischen und der ukrainischen oder tatarischen Bevölkerung ergeben und die Zentralgewalt in Kiew mit Sicherheitskräften eingreifen oder die Autonomie der Krim in Frage stellen, dann könnte ich mir eine militärische Aktion Russlands vorstellen", so der Experte. Er halte dies aber für "sehr unwahrscheinlich".

Auch der Publizist Christian Wipperfürth, der unter anderem für die Deutsche Gesellschaft für auswärtige Politik (DGAP) in Berlin tätig ist, rechnet eher nicht mit einer militärischen Intervention Russlands in der Ukraine. "Ich sehe keinen Anlass dafür, dass ukrainische Grenzen in Frage gestellt werden", sagte er der DW. Doch ganz ausschließen wolle er das nicht.

Fehleinschätzung der Proteste in Kiew

Portrait von Wladimir Putin (Foto: Alexey Filippov/RIA Novosti)
Präsident Wladimir Putin hat nach der Einschätzung von Experten die Ziele seiner Ukraine-Politik verfehltBild: picture-alliance/dpa

Einig sind sich die Experten darin, dass Russland in seiner Ukraine-Politik Fehler gemacht hat. "Für Moskau ist es zweifellos eine schwere Niederlage", meint Gerhard Mangott. Der Kreml habe die oppositionelle Protestbewegung auf dem Maidan, dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew, unterschätzt. Präsident Putin habe offenbar geglaubt, er könne die Ukraine mit einem 15-Milliarden-Dollar-Kredit "auf seine Seite ziehen".

"Russland hat keine Chance, die Ukraine in eine Richtung zu bugsieren", glaubt auch Peter Schulze von der Universität Göttingen. "Diese Chance ist spätestens mit dem Abtritt des ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch verloren gegangen", sagte er der DW. Er glaubt aber, dass "Russland überhaupt kein Interesse daran hat, auf den Tisch zu hauen und sich unbesonnen zu verhalten". Moskau wisse, dass es eine "separatistische Karte" in der Ukraine nicht spielen könne.

Die Zukunft der russisch-ukrainischen Beziehungen schätzen die Experten unterschiedlich ein. Peter Schulze glaubt, vieles werde vom Ausgang der vorgezogenen Präsidentenwahl in der Ukraine Ende Mai 2014 abhängen. Selbst im Falle einer Annäherung der Ukraine an Europa, die in Russland kritisch gesehen wird, seien Kiew und Moskau gezwungen, "miteinander auszukommen".

Mehrheit der Russen gegen Einmischung

Christian Wipperfürth glaubt, dass die Beziehungen zwischen der Ukraine und Russland "schwierig bleiben werden". Die Tendenz, Abstand von Russland zu nehmen, habe sich in der Ukraine verstärkt. Er glaube jedoch nicht, dass Russland "massiven Druck auf die Ukraine" ausüben wird, weder wirtschaftlich noch militärisch. Gerhard Mangott sieht das anders. Er schließt nicht aus, dass Russland seine zugesagten Kredite an die Ukraine stoppt. Auch den Rabatt beim Gaspreis könnte Moskau wieder kassieren, so Mangott.

Eine Mehrheit der Russen jedenfalls will, dass sich Moskau in der Ukraine zurückhält. 73 Prozent der Russen gaben in der jüngsten Umfrage des führenden russischen Meinungsforschungsinstituts WZIOM an, Russland solle sich nicht einmischen.