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Ägyptens Meinungsmacher

Diana Hodali11. Juli 2013

Kein Medium kann in einer Krisensituation wie in Ägypten so schnell Nachrichten übermitteln wie Facebook und Twitter. Oft hat man das Gefühl, "live" dabei zu sein. Die Gefahr: Jeder verbreitet seine eigene Wahrheit.

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Facebook Schriftzug auf einer Wand in Ägypten (Foto: Imago)
Facebook Schriftzug auf einer Wand in ÄgyptenBild: Imago

"Wir bekommen jeden Tag dutzende Mails vom Pressebüro des Militärs und der Muslimbrüder mit Foto- und Videomaterial", erzählt Sami Magdy. "Unsere Accounts quellen schon über". Magdy ist leitender Redakteur beim ägyptischen Nachrichten-Portal Masrawy. "Beide Seiten versuchen, Einfluss auf unsere Berichterstattung zu nehmen", sagt er. Seit der Absetzung von Präsident Mohammed Mursi - dem Kandidaten der Muslimbrüder - durch das Militär liefern sich Mursi-Anhänger und Mursi-Gegner Wortgefechte in den sozialen Netzwerken. Vor allem bei Facebook und dem Mikronachrichtendienst Twitter.

Facebook und Twitter für Politiker

Nicht nur die Bürger diskutieren dort miteinander. "Seit der Revolution von 2011 werden Diskussionen im Internet stärker von parteipolitischen Interessen geleitet, denn die Politikvertreter haben Facebook und Twitter als mächtiges Tool anerkannt", sagt Anna Antonakis-Nashif. Sie ist Politologin und forscht als Fellow bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin zum Thema soziale Medien in der arabischen Welt. Sowohl das Militär als auch die Muslimbrüder haben schon während der Revolution von 2011 eigene Facebook- und Twitter-Accounts angelegt. Nach Angaben des Arab Social Media Reports und der Internetseite Internetworldstats hat sich in Ägypten alleine die Facebook-Nutzerzahl von April 2011 bis Dezember 2012 von 6,5 Millionen Usern auf über 12 Millionen fast verdoppelt.

Englische Twitter-Seite der Muslimbrüder (Foto: Twitter)
Die Muslimbrüder twittern auch auf EnglischBild: Twitter

Sich gegenseitig mit Videomaterial übertrumpfen

In den sozialen Netzwerken zirkulieren Bilder von blutüberströmten Demonstranten und Videos von Erschießungen und Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitspersonal und Islamisten. Eines davon ist das Video von Ahmed Samir Assem. Man sieht einen Schützen auf einem Dach. Er feuert mehrere Schüsse ab. Plötzlich richtet er sein Gewehr auf die Kamera. Das Video, das im Netz gepostet wird und Gegenstand vieler Artikel geworden ist, endet an dieser Stelle abrupt. Ahmed Samir Assem hat seinen Tod selber gefilmt. Der 26-jährige Fotojournalist hat für die Zeitung der Freiheits- und Gerechtigkeits-Partei, den politischen Arm der Muslimbrüder, gearbeitet.

Das Video soll beweisen, dass er am Montag (08.07.2013) von einem Scharfschützen des Militärs erschossen wurde. Bei Zusammenstößen zwischen Islamisten und dem Militär in Kairo wurden allein an diesem Tag nach offiziellen Angaben mindestens 51 Menschen getötet und 435 weitere verletzt. Doch was genau an diesem Tag geschah, kann man auch anhand des Videos nicht rekonstruieren. Ein Video, das zu Ehren des ermordeten Ahmed Samir Assem von den Muslimbrüdern über das Twitter-Konto @Ikhwanweb (Ikhwan, Arabisch für Brüder) verbreitet wird, zeigt mit Musik unterlegte Fotos. Das Video endet mit einer Nahaufnahme seiner Leiche und seiner blutverschmierten Kamera.

Die Replik des Militärs ließ nicht lange auf sich warten - es brachte Videos über Facebook und Twitter in Umlauf. In einem Video droht ein General damit, jeden einzusperren, der das Volk aufhetzt. Auf einem anderen ist ein Mann in schwarzer Kleidung und schwarzem Mundschutz zu sehen, der auf Sicherheitspersonal zielt. Man habe sich verteidigt, so die Botschaft des Militärs. Man habe nicht willkürlich auf Menschen geschossen. Doch wer diese Auseinandersetzung begonnen hat, kann man auf diesem Video nicht sehen.

Verifizierung des Video- und Bildmaterials

"Das Problem ist, dass, wenn Videos oder Bilder dazu genutzt werden, Anhänger zu mobilisieren, sich die persönlichen Seiten der User so schnell aktualisieren, dass Sie die Informationen nicht richtig filtern können", sagt die Netzexpertin Anna Antonakis-Nashif. Auch Sami Magdy kennt das Problem. Bei seinem Nachrichtenportal hat deshalb ein Redakteur die Aufgabe, dieses Material zu überprüfen. Denn es sei auch gefälschtes Material im Umlauf, um Propaganda zu betreiben. So brachten die Muslimbrüder zum Beispiel erst vor wenigen Tagen Fotos von toten Kindern in Umlauf, um zu zeigen, dass das Militär nicht davor zurückschrecke, Minderjährige zu erschießen. Schnell stellte sich heraus, dass es sich bei diesen Fotos um syrische Kinder handelt.

Internationale Medien erreichen

Unter den Hashtags #military_coup, #police_state, #morsi (#mursi) und #muslimbrother findet man jede Menge Tweets in englischer Sprache - von Bürgern, Militärs oder Muslimbrüdern. Diese englischen Einträge sollen die "internationalen Öffentlichkeiten bedienen", sagt Anna Antonakis-Nashif. "Dazu gehören Diaspora-Communities oder internationale Medien." Auch auf den verschiedensprachigen Facebook-Seiten der Deutschen Welle haben User Bilder und Videos von gewalttätigen Szenen hochgeladen.

Gemäßigte Stimmen haben in diesen Zeiten wenig Raum in den sozialen Netzwerken, etwa die Webseite "We are all Khaled Said", die nach der Ermordung des jungen Bloggers in Alexandria durch Polizeigewalt im Juni 2010 hunderttausende Anhänger fand. Die Betreiber hatten nach der Absetzung Mursis angekündigt, sich neutral zu verhalten, was bei einigen der Fans zu einem Sturm der Entrüstung geführt hat.

Eigentlich würden im Netz Debatten oft differenzierter geführt, sagt Anna Antonakis-Nashif. "Aber das sieht man nicht immer. Wir können unsere Nachrichten abonnieren und unseren Bedürfnissen nach zusammenstellen. Daher erwarten die Leute oft ein Dafür oder ein Dagegen." Und das polarisiert.