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Symbolfigur Khaled Said

14. Juni 2011

Die Facebook-Seite "Wir alle sind Khaled Said" gilt als einer der Motoren des demokratischen Umbruchs in Ägypten. Die DW verleiht ihr dafür einen Preis beim Blogger-Wettbewerb "The BOBs".

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Ein Screenshot mit dem Foto von einem Jungen. (Foto: http://www.facebook.com/ElShaheeed )
Die Facebook-Seite "Wir alle sind Khaled Said"Bild: Facebook

Khaled Said saß wie so oft im Internetcafé, als zwei Männer den Raum betraten. Es waren Geheimpolizisten. Er solle sich ausweisen, forderten sie ihn laut Zeugenaussagen auf, doch der 28 Jahre alte Blogger und Computerspezialist lehnte ab. Laut Schilderungen von Nachbarn zogen ihn die Männer daraufhin aus dem Café und schlugen seinen Kopf gegen Treppen und Wände im Eingang eines Hochhauses. Khaled Said wurde bewusstlos. Die Beamten schleppten ihn schließlich zu einer Polizeistation, wo sie nur noch seinen Tod feststellen konnten.

Um nicht zur Rechenschaft gezogen zu werden, stopften sie ihm laut ägyptischen Medienberichten Haschisch in den Mund, das er als vermeintlicher Dealer angeblich selbst verschluckt haben sollte. Zur eigenen Entlastung boten sie weitere Beschuldigungen gegen den Getöteten auf: von Diebstahl über Wehrdienstverweigerung bis hin zu angeblichen sexuellen Belästigungen. Den schwer misshandelten Körper des Getöteten legten sie wieder vor dem Café ab.

Mutter eines "Märtyrers"

Leila Marzouk, die Mutter des Getöteten, wird diesen Tag nie vergessen können. Neben der Trauer über den Tod ihres Sohnes habe sie damals auch tief geschmerzt, dass das Ansehen ihrer Familie von den Behörden aus politischem Kalkül heraus öffentlich in den Schmutz gezogen worden sei. Ihr Khaled sei ein guter und wohlerzogener Junge gewesen, sagt sie im Interview mit der Deutschen Welle. "Mein Mann starb, als Khaled gerade einmal sechs Jahre alt war. Ich habe Khaled die beste Erziehung gegeben! Und ich habe immer das Gute und das Richtige gemacht! Und dann kommen die und sagen: Du hast bei der Erziehung versagt!"

Ein Demonstrant schreit. Hinter ihm steht ein Plakat mit dem Foto des getöteten Khaled Said. (Foto: ap)
Khaled Saids Schicksal war Anlass für eine Kampagne und wurde in zahlreichen Bildern im Internet verbreitetBild: AP

Khaled Said starb am 6. Juni 2010 - mehr als ein halbes Jahr vor dem Sturz des Regimes von Ex-Präsident Hosni Mubarak. Dennoch gilt er heute als "Märtyrer" und Symbolfigur der ägyptischen Revolution. Nicht nur die Umstände seines Todes riefen damals große Empörung hervor. Schnell tauchten auch Berichte auf, die Saids Tod eine höchst sensible politische Dimension verliehen: Demnach hatte der junge Blogger im Internet ein heimlich gefilmtes Video veröffentlicht, das die Korruption von Polizisten dokumentierte, und wurde deshalb zu Tode gefoltert.

Die Geschichte verbreitete sich rasant über das Internet. Eine Fotomontage, die das Gesicht des jungen Mannes neben seiner entstellten Leiche zeigt, wurde zum Symbolbild für die Repression des Mubarak-Regimes. In Saids Heimatstadt Alexandria formierten sich bereits einen Tag nach seinem Tod erste Protestmärsche.

Obwohl sie sehr stolz auf ihren Sohn ist, war dies Saids Mutter damals zunächst etwas unheimlich: "Viele Jugendliche gingen auf die Straße und riefen: Nieder mit Mubarak! Nieder mit Innenminister Habib Al-Adli! Ich fragte die jungen Leute: Was hat das alles mit dem Tod meines Sohnes zu tun? Sie antworteten mir: Wir sorgen in Deinem Interesse dafür, dass Khaled seine Rechte erhält."

Google-Manager mobilisierte für die Revolution

Wael Ghonim bei einer Demonstration. (Foto: epa)
Der ägyptische Google-Manager Wael Ghonim, prominenter Demokratie-Aktivist und Gründer der Facebook-SeiteBild: picture alliance /dpa

Wael Ghonim, Marketing-Chef von Google für den Nahen Osten und ein Freund des Getöteten, war einer der führenden Aktivisten im Internet. Er gründete mit Freunden zusammen unter einem Pseudonym jene Facebook-Gruppe, deren Namen die Empörungsgefühle vieler junger Ägypter auf den Punkt brachte: "Wir alle sind Khaled Said". Die Facebook-Seite hatte schon nach kurzer Zeit Hunderttausende Fans und entwickelte sich in den folgenden Monaten zu einem der wichtigsten Agitations- und Mobilisierungsinstrumente der ägyptischen Revolutionsbewegung.

Zum einen wurden dort – in der Tradition des getöteten Namensgebers – Menschenrechtsverletzungen des Regimes dokumentiert. Zum anderen wurde die Facebook-Seite zu einer zentralen Plattform für den Informationsaustausch über geplante Demonstrationen und Protestaktionen, die nach der erfolgreichen Jugendrevolution in Tunesien noch einmal deutlich an Intensität zunahmen und schließlich im Januar 2011 zum Zusammenbruch des Mubarak-Systems führten. Seiten-Betreiber und Google-Manager Wael Ghonim war zu diesem Zeitpunkt längst zu einem der prominentesten Köpfe der ägyptischen Revolution geworden.

Preis für demokratisches Engagement

Zahraa Said umarmt ihre Mutter, die das Foto des getöteten Sohnes hält. (Foto: Zahraa Said)
Khaled Saids Schwester Zahraa (l.) und seine Mutter Leila Marzouk.Bild: Zahraa Said

Die arabische Original-Fassung von "Wir alle sind Khaled Said" (www.facebook.com/ElShaheeed) zählt heute fast 1,5 Millionen Fans und ist immer noch ein populäres Debatten- und Agitationsforum für alle Fragen, die den Übergang in demokratische Verhältnisse und den schwierigen Aufbau einer Zivilgesellschaft am Nil betreffen. Die Seite liegt zusätzlich auch in einer englischen Fassung vor (www.facebook.com/elshaheeed.co.uk) und unterstützt dort unter anderem die Revolutionsbewegungen in anderen arabischen Ländern wie Syrien und Libyen. Den Preis beim DW-Blogger-Wettbewerb "The BOBs" erhält die Facebook-Seite in der Kategorie "Best Social Activism Campaign". Die Jury würdigt damit ihren Beitrag dazu, dass "die Menschen in Ägypten entschieden für nachhaltige politische Veränderungen in ihrem Land eintreten".

Khaled Saids Schwester Zahraa ist stolz auf den Preis für die Facebook-Seite, die politisch so vieles bewegt hat und den Namen ihres getöteten Bruders trägt. "Ich glaube, Khaled wäre selbst auch gerne Gründer einer solchen Facebook-Gruppe gewesen", sagt sie. "Und mit Sicherheit hätte auch er sie einer anderen Person gewidmet. Er war jemand, der solche Sachen mochte, das war seine Denkweise."

Autor: Salah Sharara
Redaktion: Rainer Sollich