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Die Prioritätenliste der Kanzlerin

Bernd Gräßler29. Dezember 2013

Die Euro-Rettung bleibt Chefsache, daneben bestimmen Finanzen und Energiewende die Agenda der neuen Bundesregierung. Auch Internetspionage, Konflikte in aller Welt und Rechtspopulisten bleiben eine Herausforderung.

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Angela Merkel während ihrer Regierungserklärung am Rednerpult im Bundestag Foto:Archiv
Bild: picture alliance/AP Photo

Eine große Koalition sollte auch große Aufgaben lösen, verkündete Angela Merkel zu Beginn ihrer dritten Amtszeit. Wer Sensationen erwartet, wird jedoch enttäuscht. Die wichtigsten Herausforderungen 2014 bleiben die gleichen wie im Vorjahr.

An die erste Stelle setzt die Kanzlerin solide Finanzen. Haushaltsdisziplin, Schuldenbremse und Schließen von Steuerschlupflöchern stehen deshalb auf der Prioritätenliste der Regierung ganz oben. Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) will nur etwa sechs Milliarden Euro Schulden machen, das wäre die geringste Neuverschuldung seit vier Jahrzehnten. 2015 soll der Staat dann ganz ohne neue Kredite auszukommen. Dabei regiert allerdings das Prinzip Hoffnung, denn nur wenn die Wirtschaft weiter so gut läuft wie bisher und die Steuereinnahmen sprudeln, ist das Ziel zu erreichen.

Der zweite große Brocken ist die Energiewende. Die 2011 beschlossene Abkehr von der Atomkraft und allmähliche Umstellung der viertgrößten Industrienation der Welt auf erneuerbare Energien stößt auf neue Hindernisse. Die EU-Kommission in Brüssel hat ein Beihilfe-Verfahren gegen Berlin eingeleitet, der deutschen Industrie drohen Milliardenbußen. Grund ist die - aus Brüsseler Sicht wettbewerbsverzerrende - Befreiung Tausender stromintensiver Unternehmen von der Ökostrom-Umlage. Bis Ostern will die Regierung deshalb ihr Erneuerbare-Energien-Gesetz reformieren. Voraussichtlich wird die Zahl derjenigen Unternehmen sinken, die für die Förderung von Wind- und Sonnenstrom nichts oder nur wenig einzahlen. Außerdem soll der Anstieg des Strompreises für die Kunden gebremst werden, der durch allzu großzügige Vergütung von Ökostrom verursacht wird. Zuständig ist der neue Wirtschafts- und Energieminister Sigmar Gabriel (SPD).

Windräder und Stromleitung vor der untergehenden Sonne Foto: Archiv
Teurer als gedacht: Sonne und WindBild: picture-alliance/dpa

Berlin will weitere EU-Reformen

Die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft muss gestärkt werden, lautet Merkels Forderung. Die Rahmenbedingungen sollen sich unter anderem durch den Ausbau des schnellen Internets verbessern. Der neue zuständige Minister Alexander Dobrindt (CSU) kündigt vollmundig an, die Netzinfrastruktur Deutschlands zur besten in der Welt zu machen.

In der "Chefsache" Euro-Rettung möchte Kanzlerin Merkel endlich weitere Reformen durchsetzen. "Konstruktionsmängel" der EU sollen beseitigt werden. Berlin will deutsche Steuermilliarden nur noch in denjenigen Krisenländern riskieren, die sich verbindlich zu Haushaltsdisziplin und mehr Wettbewerbsfähigkeit verpflichten. Dies soll in Verträgen mit der EU-Kommission geschehen. Nachdem der jüngste EU-Gipfel im Dezember keinen Beschluss zustande brachte, wird es im kommenden Oktober einen neuen Anlauf geben. Außerdem will Merkel die hohe Jugendarbeitslosigkeit in Europa reduzieren und dabei Jugendlichen aus anderen Ländern auch mehr Ausbildungsplätze und Jobs in Deutschland anbieten. Denn vor der Europa-Wahl im Mai will Berlin den im Aufwind befindlichen rechtspopulistischen Parteien in verschiedenen Ländern möglichst viel Wind aus den Segeln nehmen.

"Gute Arbeit" endlich salonfähig

Die Sozialdemokraten haben den Begriff "gute Arbeit" in der Regierung salonfähig gemacht. Das heißt: Das Arbeitsrecht soll modernisiert werden. Geplant ist, die Gleichbehandlung von Leiharbeitern mit der Stammbelegschaft festzuschreiben, wenn sie neun Monate im Unternehmen sind. Sie dürfen auch nicht als Streikbrecher eingesetzt werden. Auch gegen den Missbrauch von sogenannten "Werkverträgen" als Instrument für Lohndumping will die Regierung gesetzlich vorgehen. Ab Januar 2015 soll dann deutschlandweit der lang diskutierte Mindestlohn von 8,50 Euro gelten.

Deutschland hat mit einem Durchschnittsalter von 45 Jahren die älteste Bevölkerung Europas. Der demographische Wandel zwingt die Regierung, sich immer stärker mit der Situation von pflegebedürftigen alten Menschen zu befassen. Ihre Zahl hat mit 2,5 Millionen einen Höchststand erreicht, darunter sind immer mehr Demenzkranke - aber es gibt zu wenige Pflegekräfte. Abhilfe soll eine "Fachkräfte-Offensive" schaffen, inklusive Anwerbung von Personal im Ausland und einer Aufwertung der Pflegberufe.

Hände alter Menschen umfassen Krückstöcke Foto:Archiv
Deutschland hat die älteste Bevölkerung EuropasBild: picture-alliance/dpa

Datenschutz wird Außenpolitik

Wer auf eine wesentlich aktivere Rolle Deutschlands in der Welt hofft, könnte von der neuen Regierung enttäuscht werden, meint der renommierte Ex-Diplomat Wolfgang Ischinger, Chef der Münchner Sicherheitskonferenz. Besonders bei militärischen Einsätzen in fernen Ländern dürfte sich Deutschland unter dem neuen Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) weiter Zurückhaltung auferlegen. Der Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan soll vollendet werden. Augenmerk gilt Konfliktherden wie Mali, wohin die Bundeswehr im Rahmen einer europäischen Mission Ausbilder entsandt hat. Berlin möchte gern auch militärische Ausrüstung schicken, sieht sich aber mit dieser Strategie der "Ertüchtigung von Partnern" in der Kritik, die Rüstungsexporte in Konfliktregionen voranzutreiben.

Bundeswehrsoldat begleitet einen malischen Soldaten beim Minensuchen zwischen Sträuchern Foto: Archiv
Bundeswehr bei der Ausbildung von Minensuchern in MaliBild: DW/S. Blanchard

Zwei sensible Themen dürften die Regierung weiterhin beschäftigen: Über dem Verhältnis zum Verbündeten USA liegt noch immer der Schatten der NSA-Affäre. Berlin hofft auf eine Versöhnungsgeste Washingtons. Spätestens beim G8-Gipfel im Juni in Sotschi treffen sich Obama und Merkel persönlich. Als Reaktion auf die Bespitzelung der deutschen Kanzlerin und der brasilianischen Präsidentin Dilma Rousseff haben Deutschland und Brasilien erreicht, dass sich Menschenrechtskommission und Vollversammlung der Vereinten Nationen 2014 mit dem Thema Internetspionage befassen. Datenschutz, bisher eher Domäne der Innenpolitiker, ist ein neues Thema deutscher Außenpolitik. Demokratie und Menschenrechte sind es sowieso, und deshalb bergen die Olympischen Winterspiele in Russland nicht nur sportlichen, sondern auch politischen Zündstoff, der das Verhältnis zwischen Berlin und Moskau auf eine neue Probe stellen könnte.