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Kommentar: Vertagen statt entscheiden

Bernd Riegert20. Dezember 2013

Die Banken-Union hat die Europäische Union gerade noch so hinbekommen, alle weiteren Reformschritte wurden aus Angst vor der Europawahl 2014 vertagt. Das ist ein Fehler, meint Bernd Riegert.

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Deutsche Welle Bernd Riegert
Europakorrespondent Bernd Riegert, DW-Studio Brüssel

Manchmal hilft ein Blick ins Archiv, um das europäische Gedächtnis ein wenig aufzufrischen. Vor einem halben Jahr hat der EU-Gipfel exakt das gleiche beschlossen wie heute: Wir verschieben als notwendig erkannte Reformen. Diesmal werden die bessere wirtschaftspolitische Koordination und verbindliche Beschlüsse auf den Oktober 2014 geschoben. Griffige Begründung des österreichischen Bundeskanzlers Werner Faymann: Das sei alles noch nicht ausgereift. Warum also Unsinn beschließen, den keiner verstehe, dann doch lieber vertagen. Bereits im Juni 2012, also vor inzwischen eineinhalb Jahren, hatten die vier Präsidenten der Europäischen Kommission, des Europäischen Rates, des Europäischen Parlaments und der Europäischen Zentralbank in einem Fahrplan die Reformen für die Wirtschafts- und Währungsunion vorgegeben. Von dieser angedachten Revolution ist nur noch eine verwässerte Banken-Union übrig. Die wird auch noch Jahre brauchen, um ihre volle Wirkung zu entfalten.

Von Reformen keine Rede mehr

Vom damaligen Reformeifer will nun keiner der Staats- und Regierungschefs so recht etwas wissen. Die wiedergewählte Kanzlerin zuckt mit den Schultern und murmelt kleinlaut, da sei noch viel Arbeit und Überzeugungsarbeit nötig. Nur einen Tag vor dem Gipfel hatte sie im Bundestag noch verbindliche Verpflichtungen angekündigt, die die Staaten gegenüber Europa in Sachen Wirtschaftsreformen eingehen sollten. Davon ist nun fast nichts mehr übrig, außer der mehrfach bereits gehörten Ankündigung, man wolle irgendwann entscheiden. Man könnte es auch so sagen: Merkels Reformeifer für die Europäische Union ist verpufft. Selbst ihr Lockangebot, für brave Reformen und Sparanstrengungen sollte es aus einen neuem Topf Belohnungen geben, zieht nicht mehr. Nicht nur die Krisenstaaten winken ab, sondern auch die gesünderen EU-Staaten im Norden. Die erlahmende Truppe will nicht schon wieder über Geld streiten müssen, denn den Bonus für Reformen müssten ja die üblichen Nettozahler finanzieren. So war viel Geschwurbel zu hören, untermalt von latenten britischen Forderungen, dass man Kompetenzen aus Brüssel zurückhaben wolle.

Ruhe vor den Wahlen

Woran liegt es, dass aus dem EU-Gipfel so schnell die Luft raus war? Auch das hat Bundeskanzlerin Merkel klar erkannt und auf einer ihrer Pressekonferenzen im Nebensatz auch eingeräumt: Die Finanzmärkte geben den Takt vor. Da die Märkte nun schon seit einigen Monaten ruhig sind und keinen erkennbaren Angriff auf die Krisenländer der Euro-Zone planen, ist der Reformwille in der EU plötzlich erlahmt.

Experten warnen zwar, dass die Finanz- und Schuldenkrise keineswegs gelöst, sondern nur halbwegs unter Kontrolle ist und jederzeit wieder aufbrechen kann. Aber das ficht die europäischen Staatenlenker offenbar nicht an. Sie wollen erst einmal heil über die nächsten Monate kommen. Da soll zunächst die Wahl zum Europäischen Parlament möglichst unspektakulär über die Bühne gebracht werden. Danach wird eine neue EU-Kommission zusammengesetzt. Die wirtschaftlich schwachen Staaten Griechenland und Italien werden 2014 den Vorsitz in der EU führen. Keiner hat so richtig Lust, sich mit schmerzhaften Reformen zu befassen und mit den Wählern ernsthaft über neue Kompetenzverteilungen zwischen der EU und den Nationalstaaten zu streiten.

Europäisches Projekt bleibt auf der Strecke

Doch die vorweihnachtliche Ruhe könnte trügerisch sein, denn irgendwann werden die europäischen Wähler, die im Mai ein neues Parlament wählen sollen, erkennen, dass die Staats- und Regierungschefs bei Zukunftsfragen mit ziemlich leeren Händen dastehen. Ein gemeinsames Zukunftsrezept für Europa? Fehlanzeige. Weiterwurschteln lautet das Motto im Moment. Ein erster Warnhinweis ist die Herabstufung der EU durch die Ratingagentur Standard and Poor's. Die EU ist nach Ansicht der US-Agentur nicht mehr voll kreditwürdig.

Die Finanz- und Schuldenkrise sollte auch als Chance begriffen werden, eine bessere Wirtschafts- und Finanzpolitik für die Euro-Zone anzupacken. Viele gute Ansätze bei der Konsolidierung und der strengeren Haushaltskontrolle sind auf halbem Wege stecken geblieben. Es fehlt nach wie vor ein glaubwürdiger Ansatz für eine gemeinschaftliche Sozial- oder gar Steuerpolitik. Eine kraftvolle Antwort auf die viel zu hohe Arbeitslosigkeit in vielen Teilen Europas bleibt bislang aus. Wenn die Staats- und Regierungschefs weiter so auf der Stelle treten und sich gegenseitig blockieren, müssen sie sich nicht wundern, dass die Begeisterung für das europäische Projekt bei den Wählerinnen und Wählern und Europa eher gedämpft bleiben wird. Die Wahlbeteiligung bei den Europawahlen im Mai wird das widerspiegeln. In einigen Krisenländern könnte die Europawahl zu einer Denkzettel-Wahl für die nationalen Regierungen werden. In Frankreich droht gar ein massiver Rechtsruck hin zum "Front National". Der EU-Gipfel hat die Union als "Ankündigungs-Union" entlarvt, gebraucht wird aber eine handelnde "Reform-Union".