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Raketeneinschlag bei Gaza-Klinik: was bis jetzt bekannt ist

18. Oktober 2023

Nach dem Raketeneinschlag bei einem Krankenhaus in Gaza-Stadt beschuldigen sich militante Palästinenser und Israel gegenseitig. Was ist über die Explosion bekannt? Und welche Auswirkungen könnte sie haben?

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Verletzte werden nach der Explosion in ein anderes Krankenhaus gebracht
Verletzte werden nach der Explosion in ein anderes Krankenhaus gebrachtBild: REUTERS

Welche Fakten gelten als gesichert?

Bei der von einer Rakete getroffenen Einrichtung handelt es sich um die Al-Ahli-Arab-Klinik im Zentrum von Gaza-Stadt, nach Angaben der Betreiber das einzige christlich-geleitete Krankenhaus im Gazastreifen. Laut übereinstimmenden Augenzeugenberichten wurde das Gelände der Klinik am Dienstagabend gegen 20:30 Uhr Ortszeit getroffen. Über die genauen Opferzahlen ist bisher wenig bekannt.

Was sagt die Hamas?

Die radikalislamische Palästinenserorganisation Hamas, die von der Europäischen Union, den USA und weiteren Ländern als Terrororganisation betrachtet wird, hat Israel für den Raketeneinschlag verantwortlich gemacht. Die Hamas-Regierung spricht von 470 Toten und weiteren 300 Verletzten. Bislang gibt es aber keine Belege dafür, dass diese Zahlen stimmen. Das israelische Militär hatte bereits früher genannte, niedrigere Zahlen bezweifelt. Es gebe keine direkten Treffer auf die Einrichtung, so Armeesprecher Daniel Hagari.

Was sagt Israel zur Zerstörung der Klinik in Gaza?

Israel weist jede Verantwortung für den Angriff zurück. Stattdessen macht das Land die Terrororganisation "Islamischer Dschihad", die an der Seite der Hamas kämpft, für die Tat verantwortlich. Der israelische Präsident Isaac Herzog schrieb auf X (ehemals Twitter): "Schande über die abscheulichen Terroristen in Gaza, die vorsätzlich das Blut Unschuldiger vergießen."

Die israelische Armee veröffentlichte inzwischen ein Video, welches zeigen soll, dass eine Rakete der Terroristen für den Einschlag verantwortlich sei. Darauf werden Luftaufnahmen vor und nach dem Vorfall verglichen. Laut israelischer Armee sei kein Krater zu sehen, welcher sonst bei Angriffen durch einen israelischen Luftangriff entstehe.

Zerstörte Fahrzeuge auf dem Krankenhausgelände
Zerstörte Fahrzeuge auf dem KrankenhausgeländeBild: MAHMUD HAMS/AFP/Getty Images

Der israelische Militärsprecher Jonathan Conricus sagte dem US-Nachrichtensender CNN, man habe außerdem vom Geheimdienst abgehörte Gespräche vorliegen, in denen Hamas-Terroristen über die "Fehlfunktion" von Raketen diskutierten.

Inzwischen stellte sich auch US-Präsident Joe Biden hinter die israelische Darstellung. "Auf Grundlage dessen, was ich gesehen habe, scheint es so, als sei es von der Gegenseite ausgeführt worden, nicht von euch", so Biden kurz nach seiner Ankunft in Israel am Mittwoch.

Lassen sich die Darstellungen zur Gaza-Klinik überprüfen?

Die Informationslage ist aktuell zu unübersichtlich, um faktenbasierte Schlussfolgerungen ziehen zu können. Erste Untersuchungen stützen allerdings die Version des israelischen Militärs. Die Geolokalisierungsplattform "Geoconfirmed" untersuchte die bisherigen Aufnahmen und kommt zu dem Ergebnis, dass eine von den palästinensischen Gebieten abgeschossene Rakete zu früh explodierte und Teile auf das Krankenhausgelände stürzten. Diese Version passt zur Einschätzung zahlreicher Militärexperten, welche die oft selbstkonstruierten Raketen militanter Palästinenser als technologisch veraltet und unzuverlässig einstufen.

Die Plattform "Geoconfirmed" wurde im Zuge des russischen Angriffs auf die Ukraine gegründet. Ihre bisherige Arbeit gilt als glaubwürdig, basiert aber weitgehend auf einem freiwilligen Zusammenschluss von Experten, die Informationen aus frei verfügbaren, offenen Quellen sammeln, sogenannter "Open Source Intelligence" (OSINT). Untersuchungen von offizieller Seite, die als weitgehend unabhängig eingestuft werden können, fehlen weiterhin. 

Wie reagieren andere Staaten aus der Region?

In vielen muslimisch geprägten Ländern kommt es seit dem Vorfall zu teilweise gewalttätigen Protesten. In Vororten der libanesischen Hauptstadt Beirut gingen Hunderte Anhänger der Hisbollah-Miliz auf die Straße und forderten eine Bombardierung Israels vom Libanon aus. Die radikal-schiitische Hisbollah, die von Israel, den USA, Deutschland und einigen arabischen Staaten als Terrororganisation gelistet wird, rief noch am Abend einen "Tag des Zorns" aus. Auch in anderen Staaten der Region, darunter Jordanien, Iran und Tunesien, kam es zu massiven Protesten, wie Augenzeugen und staatliche Nachrichtenagenturen aus den Ländern berichten.

Pro-Palästinensische Demonstration am Mittwoch in Tunesiens Hauptstadt Tunis
Pro-Palästinensische Demonstration am Mittwoch in Tunesiens Hauptstadt TunisBild: Hasan Mrad/ZUMA Wire/IMAGO

Auch  die Regierungen zahlreicher muslimisch geprägter Länder machten Israel direkt für die Explosion verantwortlich. Saudi-Arabiens Staatsführung verurteilte "das abscheuliche Verbrechen" und die "anhaltenden Angriffe der israelischen Besatzung". Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan schrieb auf X, der Beschuss des Krankenhauses, in dem unschuldige Zivilisten Zuflucht suchten, sei das jüngste Bespiel israelischer Angriffe, denen es an "grundlegenden menschlichen Werten fehle".

DW-Korrespondentin Fanny Fascar hebt in ihrer Analyse der Lage hervor, dass auch Staaten, die bis vor kurzem für einen Annährungsprozesses zwischen Israel und arabischen Ländern standen, die Verantwortung für die Explosion klar bei Israel sehen. Hierzu gehören sowohl Israels Nachbar Ägypten wie auch die Vereinigten Arabischen Emirate. 

Gaza: Hunderte Tote bei Raketeneinschlag in Krankenhaus

Wie reagiert der Westen auf den Beschuss der Klinik?

Deutschlands Bundeskanzler Olaf Scholz hatte gerade seinen Besuch in Israel beendet, als die Nachricht vom Beschuss öffentlich wurde. Auf X äußerte er sich erschüttert: "Ich bin entsetzt über die Bilder, die uns von der Explosion in einem Krankenhaus in Gaza erreichen", schrieb er Mittwoch am frühen Morgen auf der Internet-Plattform. Der Kanzler fügte die Forderung hinzu, dass es nun essenziell sei, "dass dieser Vorfall sehr genau aufgeklärt wird."

Auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron verurteilte den Vorfall aufs Schärfste. "Nichts kann einen Angriff auf ein Krankenhaus rechtfertigen", schrieb er noch in der Nacht auf der Plattform X. Direkte Schuldzuweisungen sprach er nicht aus, forderte aber, die Hintergründe müssten vollständig offengelegt werden. Zudem müsse der Zugang für humanitäre Hilfe für die Zivilisten im Gazastreifen unverzüglich wieder geöffnet werden.

Auch US-Präsident Joe Biden, der am heutigen Mittwoch seine Gespräche vor Ort beginnt, sprach den Opfern bereits vor seiner Ankunft in Israel sein Beileid aus, wie ein Sprecher des Präsidenten mitteilte.

Welche Auswirkungen hat der Angriff auf diplomatische Bemühungen?

Der Angriff auf das Krankenhaus hat bereits nach wenigen Stunden verheerende Auswirkungen auf die diplomatischen Anstrengungen der vergangenen Tage gezeigt. Insbesondere die aktuelle Israel-Reise von US-Präsident Joe Biden wird von dem Vorfall überschattet. Jordanien sagte ein geplantes Treffen zwischen König Abdullah II. und US-Präsident Joe Biden kurzfristig ab. Das Treffen, an dem auch Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi teilnehmen sollte, hatte im Vorfeld große Erwartungen geweckt. Die Vereinigten Arabischen Emirate und Russland beantragten kurz nach den Ereignissen eine Dringlichkeitssitzung des UN-Weltsicherheitsrats.

Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Volker Türk, forderte alle Staaten der Region auf, die Tragödie zu einem Ende zu bringen. Doch genau das ist laut Ansicht vieler Experten seit den gestrigen Ereignissen schwerer als je zuvor. Laut Andreas Krieg vom King's College in London sind die Handlungsoptionen für Israel seit dem Angriff drastisch gesunken. Der Vorfall habe längst seine Wirkung in der Region entfaltet - auch wenn die wahren Hintergründe im Unklaren blieben.  

Ägyptens Präsident Al-Sisi warnte davor, dass sich die Entwicklung im Nahen Osten bald nicht mehr kontrollieren lasse, sollten die Kämpfe zwischen Israel und der Hamas weitergehen. Auch Deutschlands Verteidigungsminister Boris Pistorius rief nach dem Angriff zur Besonnenheit auf. "Jeder falsche Schritt kann dazu führen, dass die Situation eskaliert.