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KonflikteNahost

Faktencheck: Hat Ägypten Panzer nach Gaza entsandt?

18. Oktober 2023

Während Israel offenbar eine Bodenoffensive gegen die Hamas vorbereitet, ist auf Social Media ein Video viral gegangen: Ägypten soll Hunderte Panzer in den Gazastreifen geschickt haben. Stimmt das?

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Screenshot des Videos mit der Behauptung "Egypt Joins the Israeli War! Hundreds of Tanks Entered Gaza! Muslim Countries Vow Revenge". Im Bild: zwei Panzer mit Soldaten darauf
Angeblich hat Ägypten Panzer in den Gazastreifen entsendet. Belege dafür hat das DW-Faktencheck-Team nicht gefunden. Experten halten das für nahezu ausgeschlossenBild: YouTube/@DCM Global

Entlang der israelischen Grenze zum Gazastreifen formiert sich die israelische Armee. Offenbar macht sie sich bereit zum Einmarsch in das palästinensische Gebiet. Das erklärte Ziel: Die Hamas zu vernichten. Die EU, Deutschland und die USA sowie einige arabische Staaten stufen die militant-islamistischen Hamas als terroristische Vereinigung ein. Unterstützt wird die Hamas dagegen unter anderem vom Iran und Katar. Nach dem großanlegten Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober hat auch die - ebenfalls von den USA, Deutschland und mehreren sunnitischen arabischen Staaten als Terrororganisation eingestufte - Hisbollah-Miliz Israel aus dem Libanon mit Raketen beschossen. Doch nun unterstützt angeblich ein weiteres Land in der Region die Hamas militärisch.

Behauptung: Die Urheber eines YouTube-Videosbehaupten, Ägypten habe mit Panzern die Grenze zum Gazastreifen überquert, um die Palästinenser gegen Israel zu verteidigen. Das Video wurde am 14. Oktober 2023 veröffentlicht und binnen drei Tagen etwa 1,4 Millionen Mal aufgerufen.

DW Faktencheck: Unbelegt

Das Vorschaubild des Videos zeigt ein vermutlich KI-generiertes Bild einer schier unendlichen Reihe von Militärfahrzeugen im Wüstensand geschmückt mit ägyptischen Flaggen. Davor ist ein ernst dreinblickender israelischer Premier Benjamin Netanjahu zu sehen. Der englische Titel des Videos lautet übersetzt: "Ägypten tritt in den israelischen Krieg ein! Hunderte Panzer sind in Gaza eingedrungen! Muslimische Länder schwören Rache."

Keine Beweise und widersprüchliche Aussagen

Das Video selbst liefert keinerlei Beweise für die in dem Titel aufgestellten Behauptungen. Sämtliche Bilder dienen lediglich "zur Illustration" - so wird es als Hinweis im Video angegeben. Statt des angeblichen Kriegseintritts des ägyptischen Militärs ist anscheinend eine Aneinanderreihung aus dem Zusammenhang gerissener Bilder zu sehen - etwa von beliebigen Truppenbewegungen, Kampfhandlungen oder -übungen sowie Israels Premier Benjamin Netanjahu, der stets nur zu sehen, aber nie zu hören ist. Das DW-Faktencheck-Team hat das Videomaterial stichprobenartig per Bildrückwärtssuche geprüft und keinen Zusammenhang mit aktuellen Ereignissen erkannt.

Screenshot aus dem Video: Ein Soldat in Kampfmontur liegt auf auf einem sandigen Hügel, das Sturmgewehr auf einem Stativ im Anschlag, im Hintergrund mehrere Panzer
Das Video zeigt eher willkürlich zusammengeschnittene Kampf- und Übungsszenen. Das DW-Faktencheck-Team konnte anhand von Stichproben keine Sequenzen den aktuellen Vorgängen in Ägypten, Israel oder dem Gazastreifen zuordnenBild: YouTube/@DCM Global

In dem Video selbst ist auch gar nicht mehr die Rede davon, dass die ägyptische Armee in den Gazastreifen vorgedrungen sei, sondern nur Militär an die Grenze entsandt habe, um sie zu sichern. Doch der Inhalt des Videos widerspricht nicht nur dem Titel, sondern auch sich selbst. Denn zunächst heißt es, Kairo helfe den Palästinensern, weil das eigene Volk dies verlange. Später wird behauptet, die ägyptische Regierung lasse Palästinenser zum Ärger der eigenen Bevölkerung im Stich.

Eine Online-Suche hat ergeben, dass kein etabliertes Medium bisher über einen geplanten oder tatsächlichen Kriegseintritt Ägyptens berichtet hat, auch die betreffenden Regierungen haben dazu keine Erklärung abgegeben. Die ägyptischen Ministerien der Verteidigung und Außenpolitik hatten eine Bitte der DW um Stellungnahme zum Zeitpunkt der Veröffentlichung nicht beantwortet. Eine geheime Militäroperation an der Grenze Ägyptens zu Israel und dem Gazastreifen ist indes nahezu unmöglich - nicht nur, weil mehrere internationale Nachrichtensender und -agenturen Reporter vor Ort haben, die darüber prominent berichtet hätten.

Die Halbinsel Sinai, auf der die Grenze liegt, wird auch seit 1981 von einer internationalen Beobachtermission überwacht, die gewährleisten soll, dass beide Seiten die Auflagen des Friedensvertrags zwischen Ägypten und Israel von 1979 einhalten. Darin ist sehr genau beschrieben, welche Sicherheitskräfte in welcher Stärke in welchen Zonen des Sinai operieren dürfen. Die internationale Beobachtermission auf dem Sinai "Multinational Force and Observers" haben einen Kommentar auf eine DW-Anfrage abgelehnt.

Israel und Ägypten kooperieren auf dem Sinai

In den letzten Jahren seien die damals vereinbarten Auflagen zwar aufgeweicht worden, schreibt zum Beispiel die ägyptische Journalistin Shahira Amin. Dies sei jedoch in gegenseitigem Einverständnis geschehen. Tatsächlich gibt es glaubwürdige Berichte, dass Ägypten und Israel auf dem Sinai sogar schon militärisch miteinander kooperiert haben. Dabei soll die israelische Luftwaffe in Ägyptenmutmaßliche Stellungen islamistischer Rebellen attackiert haben.

Faktencheck: Wie erkenne ich KI-Bilder?

Experten halten die Behauptung, Ägypten mische sich in die militärische Auseinandersetzung zwischen Israel und Hamas ein, nicht nur deshalb für sehr unglaubwürdig: "Ich glaube nicht, dass Ägypten den Friedensvertrag mit Israel für die Hamas im Gazastreifen opfern würde, den es ja zusammen mit Israel die ganzen Jahre blockiert hat", sagt Eckart Woertz, Direktor des "GIGA Instituts für Nahost-Studien" in Hamburg.

"Ägypten unterstützt die Hamas nicht"

Jeannie Sowers, Vorsitzende der Fakultät für politische Wissenschaften und Außenpolitik der Universität New Hampshire, sieht das ähnlich: "Ägypten unterstützt die Hamas nicht und sieht in ihr einen Ableger der Muslimbruderschaft, die die Regierung von Präsident Al-Sisi unterdrückt, seit sie durch einen Putsch an die Macht gelangt ist." 2013 hatte Abdel Fatah Al-Sisi als Oberbefehlshaber der ägyptischen Streitkräfte die gewählte Regierung der Muslimbruderschaft von Präsident Mohammed Mursi gestürzt.

Richtig sei, dass viele Ägypter im Nahostkonflikt auf Seiten der Palästinenser stünden, schreibt Sowers in einer Antwort an die DW, aber: "Die Mehrheit der Ägypter, wie auch der Palästinenser, unterstützen weder die Hamas noch Angriffe auf Zivilisten und Geiselnahmen." Zudem verfüge Ägypten nicht über die militärische und auch nicht die wirtschaftliche Basis für einen Krieg mit Israel.

Auch Nahost-Experte Woertz meint: "Es gibt große Sympathien in der ägyptischen Bevölkerung für die Palästinenser, aber keine Regierung würde dafür einen aussichtslosen Krieg riskieren."

Sicherheitskräfte zum Grenzschutz entsandt

Die Behauptung, Ägypten greife militärisch in den Krieg zwischen Israel und Hamas ein, ist nicht nur unbelegt, sondern auch höchst unglaubwürdig. Diese Einschätzung hat die DW auch aus dem Korrespondentenbüro des deutschen öffentlich-rechtlichen Rundfunkverbunds ARD in Kairo erhalten.

Richtig ist hingegen, dass Ägypten Tausende Sicherheitskräfte an die Grenze zum Gazastreifen verlegt hat, um die Grenze gegen die unkontrollierte Einwanderung und Flucht von palästinensischen Flüchtlingen zu schützen. Dies haben unter anderem der Sender Al-Jazeera Mubasher(zugehörig zum Al-Jazeera-Mediennetzwerk aus Katar) und die US-amerikanische Nachrichtenagentur AP berichtet.

Dieser Faktencheck entstand unter Mitarbeit von Mahmoud Hussein und Silja Thoms.

Der Artikel wurde aktualisiert.

Jan Walter Autorenfoto
Jan D. Walter Jan ist Redakteur und Reporter der deutschen Redaktion für internationale Politik und Gesellschaft.