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PolitikPolen

Polens Präsident entschärft Streit um verhaftete Minister

Jacek Lepiarz (aus Warschau)
12. Januar 2024

Polens Präsident Duda macht im Streit um zwei inhaftierte Ex-Minister eine Kehrtwende. In Warschau demonstrieren Zehntausende gegen die Tusk-Regierung, und Jaroslaw Kaczynski ruft zum Machtwechsel auf.

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Demonstranten mit Fahnen protestieren vor dem Parlament in Warschau gegen die Regierung
Proteste in Warschau gegen die Regierung Tusk - Anhänger der rechts-konservativen PiS-Partei sorgen für UnruheBild: Czarek Sokolowski/AP Photo/picture alliance

Nach Wochen der politischen Zuspitzung hat Polens Präsident Andrzej Duda einen Schritt in Richtung Deeskalation gemacht. Er leitete ein Verfahren zur Begnadigung der beiden Ex-Politiker ein, die am Mittwoch Abend (10.01.2024) in seinem Amtssitz verhaftet und ins Gefängnis gebracht worden waren. Ex-Innenminister Mariusz Kaminski und sein Vize Maciej Wasik waren am 20. Dezember 2023 in zweiter Instanz zu zwei Jahren Haft verurteilt worden. Duda hatte stets behauptet, seine Begnadigung der beiden Politiker nach ihrer Verurteilung in erster Instanz vor acht Jahren sei wirksam gewesen und die Neuaufnahme des Verfahrens sowie der Richterspruch seien ein Rechtsverstoß. Die meisten Juristen sowie das Oberste Gericht hatten dagegen Dudas Begnadigung von 2015 in Frage gestellt, weil sie noch vor dem Abschluss des Verfahrens getroffen worden war. Kaminski und Wasik, beide von der früheren Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS), waren wegen Amtsmissbrauchs im Jahr 2007, in ihrer Zeit als Chefs der Antikorruptionsbehörde CBA, verurteilt worden.

Duda macht eine Kehrtwende

Nach einem Treffen mit den Ehefrauen der beiden inhaftierten Politiker am Donnerstag (11.01.2024), wandte sich Duda an Generalstaatsanwalt Adam Bodnar, der gleichzeitig Justizminister ist, mit der Bitte, die Haft bis zum Abschluss des Begnadigungsverfahrens auszusetzen.

Präsidenten Andrzej Duda steht am Rednerpult in seinem Amtssitz vor den Fahnen Polens, der EU und der NATO. Neben ihm stehen mit angespannten Mienen die beiden Ehefrauen der inhaftierten Ex-Politiker Mariusz Kaminski und Maciej Wasik
Präsident Andrzej Duda und die Ehefrauen der beiden inhaftierten Ex-Politiker Mariusz Kaminski und Maciej WasikBild: Marek Borawski/KPRP

"Mariusz Kaminski ist mein Freund, ich kenne ihn, er ist ein kristall-aufrichtiger Mensch", sagte das national-konservative Staatsoberhaupt. Die beiden Politiker seien verurteilt worden, weil sie dem Staat gedient und die Korruption - "auch in der Machtelite" - bekämpft hätten. "Sie sind die ersten politischen Häftlinge seit 1989", unterstrich Duda und fügte hinzu, dass jeder weitere Tag im Gefängnis eine Gefahr für ihre Gesundheit darstelle. Kaminski und Wasik waren am Mittwoch (10.01.2023) in Hungerstreik getreten. Barbara Kaminska und Romualda Wasik äußerten die Hoffnung, ihre Ehemänner "noch heute zu Hause" zu sehen.   

Justizminister Bodnar bestätigte bei einer Pressekonferenz am Freitag Nachmittag (12.01.2024) in Warschau, dass er das Schreiben des Präsidenten über das Verfahren zur Begnadigung erhalten habe. "Das Verfahren ist eingeleitet worden. Ich habe die Gerichtsunterlagen angefordert", sagte er. Er habe aber noch keine Entscheidung getroffen. Seine Aufgabe sei es, zu analysieren, ob die vom Präsidenten geforderte Aussetzung der Haft möglich sei. Auf den Zeitrahmen wollte sich Bodnar nicht festlegen. "Wir werden nicht voreilig handeln", sagte er.       

Entschärfung oder Eskalation?

"Ich freue mich, dass der Präsident den Pfad der Deeskalation betreten hat", sagte Parlamentschef Szymon Holownia dem privaten Fernsehsender TVN am Freitag (12.01.2023). "Das ist ein guter Ausweg aus dieser rechtlichen und politischen Krise", bestätigte auch Ex-Präsident Aleksander Kwasniewski. "Duda hat sein Gesicht gewahrt und gleichzeitig zur Lösung des Problems beigetragen, das zu einem Zündfunken hätte werden können in einem Streit, der die ganze polnische Politik in die Luft sprengen könnte", schreibt Boguslaw Chrabota, Chefredakteur der Tageszeitung Rzeczpospolita.  

Parlamentspräsident Szymon Holownia von der Partei Dritter Weg, hier bei der ersten Sitzung des neuen polnischen Parlaments auf dem Sitz des Parlamentsoräsidenten im Sejm in Warschau
Parlamentspräsident Szymon Holownia gehört der Koalitionspartei Dritter Weg anBild: Czarek Sokolowski/AP/picture alliance

Der von Duda gewählter Begnadigungsweg, der die Einschaltung des Generalstaatsanwalts vorsieht, bedeutet allerdings, das das Verfahren mehrere Monate dauern kann. Wie die Internetplattform Onet unter Berufung auf eine Quelle im Justizministerium berichtete, wolle die Behörde "nicht in Eile" handeln.

Die Freilassung der Inhaftierten forderten am Donnerstag Abend auch die Teilnehmer eines Protestmarsches in Warschau. Ursprünglich war die Demonstration unter dem Motto "Marsch der freien Polen" als Protest gegen den durch die Tusk-Regierung forcierten Umbau der bisher von der PiS kontrollierten öffentlich-rechtlichen Medien gedacht. Vor dem Parlamentssitz in der Stadtmitte versammelten sich mehrere zehntausend PiS-Anhänger. Die Warschauer Behörden sprachen von 35.000 Teilnehmern, die PiS-Politiker von 300.000. Der Vorsitzende der PiS, Jaroslaw Kaczynski, machte deutlich, dass er auf die totale Konfrontation mit der neuen Regierung setzt.

Kaczynski wettert gegen Tusk und Deutschland

"Diese Staatsmacht ist nicht polnisch. Wir müssen sie ablösen", sagte Kaczynski und rief zur "großen Schlacht" um ein souveränes Polen auf. Er betonte jedoch, dass die Auseinandersetzung "mit dem Wahlzettel" ausgetragen werden sollte. Der PiS-Chef warnte vor einem "deutschen, teilweise auch französischen Plan", dessen Ziel die "Beseitigung unseres Vaterlandes" sei. "Der deutsche Imperialismus kehrt zurück", sagte er. Kaczynski stellte auch den Verlauf der vergangenen Parlamentswahl in Frage. "Wie es war bei dieser Wahl und beim Referendum, das weiß niemand", sagte er.

PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski, umringt von Mitstreitern, spricht bei einer Demonstration gegen die Regierung Tusk am Abend des 11.01.2024 zu Anhängern und Journalisten. Auf dem Bild sind rot-weiße polnische Fahnen zu sehen, die von Demonstranten geschwenkt werden.
PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski spricht zu seinen Anhängern bei einer Demonstration gegen die Regierung Tusk am 11.01.2024Bild: Czarek Sokolowski/AP Photo/picture alliance

Die Teilnehmer des "Marsches der freien Polen" zogen zum Regierungssitz. Sie skandierten Parolen, die die Mitte-Links-Regierung von Donald Tusk mit dem kommunistischen Militärregime von General Wojciech Jaruzelski Anfang der 1980er Jahre gleichsetzten.

"Kaczynski träumt vom Sturm aufs Kapitol", urteilte Mariusz Witczak, Abgeordneter der Regierungskoalition.

Haushaltsberatungen unter Druck

"Kaczynski radikalisiert seine Partei, um sie - vor allem den harten Kern - vor den anstehenden Kommunal- und Europa-Wahlen zu mobilisieren", erläutert die Politologin Barbara Brodzinska-Mirowska. "Gläubige PiS-Anhänger halten Donald Tusk für einen schwarzen Charakter. Das ist aber eine Bagatelle im Vergleich zu den Gefühlen, die Jaroslaw Kaczynski für ihn hegt. Hier kann man von Hass sprechen", kommentiert die Journalistin Zuzanna Dabrowska in Rzeczpospolita.

Mitglieder und Anhänger der PiS-Partei, fast alle mit rot-weißen Nationalfahnen, versammeln sich am 11.01.2024 in Warschau, um gegen die Regierung zu demonstrieren
Mitglieder und Anhänger der PiS-Partei - hier bei der Demonstration am 11.01.2024 - wollen der Regierung das Leben schwer machenBild: Aleksandra Szmigiel/REUTERS

Die Begnadigung der Politiker hat den Streit entschärft, aber ihn nicht beendet. Eine Verurteilung und die Aberkennung der Bürgerrechte bedeutet automatisch den Verlust der Parlamentsmandate von Kaminski und Wasik. Das wollen aber weder die Betroffenen, noch die PiS oder Duda akzeptieren.

Bereits vor seiner Verhaftung hatte Kaminski gewarnt, dass ihn nur physische Gewalt von der Teilnahme an der Sejm-Sitzung abbringen könne. Der Streit im Parlament kann die Arbeit am Haushaltsgesetz 2024 behindern. Dabei muss der Entwurf spätestens am 29. Januar dem Präsidenten zur Unterschrift vorgelegt werden. Andernfalls kann Duda das Parlament auflösen und Neuwahlen ausschreiben.

Porträt eines Mannes mit grauem Haar vor einem Regal mit Büchern
Jacek Lepiarz Journalist in der polnischen Redaktion mit Schwerpunkt auf deutsch-polnischen Themen.