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PolitikPolen

Polen: Mit antideutscher Stimmung auf Wählerfang

Rosalia Romaniec
10. Oktober 2023

Im Wahlkampf der polnischen Regierungspartei PiS spielt Deutschland wider Willen eine prominente Rolle - als Sündenbock. Mit demonstrativer Feindseligkeit warnt das Regierungslager vor Berlin.

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Bildkombo der beiden polnischen Politiker Donald Tusk (links) und Jaroslaw Kaczynski. Beide Politiker sehen auf diesen Porträtaufnahmen grimmig aus
Oppositionsführer Donald Tusk (links) und PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski sind sich in Feindschaft verbundenBild: JANEK SKARZYNSKI/PAULO NUNES DOS SANTOS/AFP/

Ob es um Migration oder Sicherheit geht, schuld ist immer Berlin - so das Narrativ der polnischen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS). Es vergeht kein Tag und kaum eine Sendung des polnischen Staatsfernsehens TVP, ohne dass das Wort "Niemcy" (die Deutschen) in negativem Kontext auftaucht.

Deutsch: schlecht, böse, antipolnisch

Nachdem Polen beim letzten EU-Gipfel in Granada (05.10.2023) das Migrationspaket der EU blockiert hatte, wurde im polnischen Staatsfernsehen über Tage dieser Schriftzug eingeblendet: "Deutscher Migrationspakt und die absurde Zwangssolidarität". Damit wurde das deutsche Drängen auf EU-weite Solidarität bei der Aufnahme von Flüchtenden kritisiert. Polnische Staatsmedien lassen sich schon lange vor den Karren der PiS spannen und übernehmen das antideutsche Narrativ der Regierungspartei. Mit "Deutsch" ist also gemeint: dominant, schlecht, böswillig und antipolnisch.

PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski spricht bei einer Parteikonferenz an einem Rednerpult das mit der polnischen Fahne dekoriert ist
PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski spricht bei einer Parteikonferenz zu seinen AnhängernBild: Pawel Malecki/AGENCJA WYBORCZA/REUTERS

In seinen Wahlkampfreden warnt PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski ausdrücklich vor Nähe zum deutschen Nachbarn: "Die Deutschen behandeln uns von oben herab". Man müsse Polen vor dem "Stockholm-Syndrom" gegenüber Deutschland bewahren, "bei dem das Opfer den eigenen Henker liebt". Sichtbar aufgebracht schreit Kaczynski bei seinen Wahlkampfauftritten ins Mikrophon: "Deutschland ist keine Weltmacht, es ist nur eine starke Regionalmacht! Aber Berlin würde sehr gerne wieder eine Weltmacht sein!" Die Aussage darf als Anspielung auf die NS-Zeit verstanden werden. Polen war im Jahr 1939 das erste Opfer des von Nazi-Deutschland entfachten Zweiten Weltkriegs.

Der schmutzigste Wahlkampf aller Zeiten

Bei Wahlkampfauftritten wird Tausenden Wählern auch ein kurzer Unterricht über die jüngere Geschichte geboten: Man solle sich an 1989 erinnern, an das Jahr der Wende in Europa, als die kommunistischen Regime untergingen und in Berlin die Mauer fiel. In Polen kam im August 1989 die erste nicht kommunistisch geführte Regierung ins Amt. "Wie haben uns die Deutschen in Europa begrüßt?", so Kaczynski im Rückblick auf diese Zeit. "Sie wollten unsere Grenzen nicht anerkennen und wollten nichts von Reparationsforderungen für den Zweiten Weltkrieg hören!" Wer es nicht glaube, solle in den Memoiren des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl nachlesen.

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock und Altbundespräsident Horst Köhler legen am 01.09.2023 zum Gedenken an den Beginn des Zweiten Weltkriegs Blumen in den polnischen Farben rot und weiß nieder
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock und Altbundespräsident Horst Köhler legen am 01.09.2023 zum Gedenken an den Beginn des Zweiten Weltkriegs Blumen in den polnischen Farben niederBild: Fabian Sommer/dpa/picture alliance

"Das ist der schmutzigste Wahlkampf, den Polen je erlebt hat", sagt David Gregosz, Leiter der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) in Warschau. Polens Regierung greife im Wahlkampf "obsessiv die eigenen Partner wie Deutschland und die Ukraine an - aus rein innenpolitischen Erwägungen". Er frage sich, "wie die PiS-Regierung selbst bei einem Sieg zu einem pragmatischen Miteinander mit den Nachbarn zurück will."

Tusk - "Verräter", "Python" und "deutscher Agent"

Genauso scharf wie Deutschland greift die PiS ihren größten Herausforderer Donald Tusk an. Der liberale Politiker und ehemalige polnische Premierminister gilt als Deutschland-freundlich. 2014 wurde er mit Unterstützung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zum Präsidenten des Europäischen Rats gewählt. Seither wird er von Kaczynski und dessen politischen Weggefährten als "deutscher Agent", "Verräter" und die "Marionette der Deutschen" verunglimpft.

Bundeskanzlerin Angela Merkel und der polnische Premierminister Donald Tusk stehen nebeneinander an Rednerpulten und lächeln sich zu
Ein Bild aus besseren Zeiten: Donald Tusk, damals polnischer Premierminister, und Bundeskanzlerin Angela Merkel im Jahr 2010Bild: picture-alliance/dpa

Premierminister Mateusz Morawiecki nannte Tusk kürzlich bei einem öffentlichen Auftritt "den größten Schädling der polnischen Politik" und verglich ihn mit der Würgeschlange Python: "Er schmiegt sich an, um zu erwürgen". Seine Partei, die Bürgerplattform (PO), wird zudem als "Sekte" diffamiert.

Dass Tusk in erster Linie deutsche Interessen vertrete, wird vor allem in Verbindung mit dem Migrationsthema behauptet. Denn der Liberale ist für eine europäische Lösung, wie sie auch von Deutschland favorisiert wird. Morawiecki interpretiert es bei Wahlkampfauftritten so: "Tusk will Berlin helfen, Polen mit illegalen Eindringlingen zu überschwemmen".

Dem Bundeskanzler platzte der Kragen

Berlin reagierte bisher nicht auf Provokationen aus Warschau. Man ignorierte die antideutsche Rhetorik und reduzierte die offiziellen Termine auf das Minimum. Seit vielen Monaten finden keine offiziellen Besuche statt, offensichtlich, um keine Angriffsflächen zu bieten. Doch kürzlich platzte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) der Kragen.

Anlass gab die neueste Visa-Korruptionsaffäre in Polen. In mehreren polnischen Konsulaten in Afrika wurden offenbar Zigtausende EU-Visa gegen Bares ausgegeben, wodurch Einwanderer nach Polen und von da weiter nach Deutschland reisen konnten. Scholz kritisierte infolgedessen die steigenden Flüchtlingszahlen an der deutsch-polnischen Grenze. Er wolle nicht, dass Polen die Flüchtlinge einfach durchwinke, so der Kanzler. Wer in Polen ankomme, müsse dort registriert werden und ein Asylverfahren bekommen. Daraufhin warf Warschau Scholz "Frechheit" vor und sprach von "deutscher Einmischung in den polnischen Wahlkampf".

David Gregosz vom KAS-Büro in Warschau kritisiert die Bundesregierung für das Aussetzen des Dialogs. Mit Polen zu sprechen sei nicht einfach, aber gar keine Kontakte zu pflegen, sei ein Fehler. "Die Haltung der deutschen Regierung ist unproduktiv", sagt Gregosz, zumal "kein politisches Bemühen um das derzeitige bilaterale Verhältnis sichtbar" sei. Mit Desinteresse und Arroganz komme man nicht weiter.

Experten sehen den Tiefpunkt noch nicht

Was sind die Motive der PiS? Taktik und ideologische Gründe, so die Experten. Als Antreiber gilt seit Jahren Parteichef Kaczynski. Er hatte seine antideutsche Haltung noch nie verborgen und immer eine Abrechnung mit Nachkriegsdeutschland gefordert. Gleichgesinnte um ihn herum wollen aus Reparationsforderungen an Berlin politisches Kapital schlagen, teilweise mit Erfolg. Mittlerweile wächst die Zustimmung für diese Forderungen in der polnischen Gesellschaft. Mit antideutschen Ressentiments sind durchaus Stimmen zu bekommen, so David Gregosz von der KAS. "Rund fünf bis sieben Prozent der Wähler erwarten diese Rhetorik von der PiS, dem Rest ist es egal, aber es stört sie auch nicht."

Plakat mit der Schrift "Reparationen machen frei" in Anlehnung an den Schriftzug "Arbeit macht frei" über dem Vernichtungslager Auschwitz
Mit einem Plakat, das den zynischen Schriftzug über dem Vernichtungslager Auschwitz "Arbeit macht frei" simuliert, wurde in Polen schon 2021 antideutsche Stimmung gemacht Bild: M. Gwozdz-Pallokat

Dass die antideutsche Rhetorik gesellschaftlich verfängt, zeigt das Deutsch-Polnische Barometer - eine repräsentative Umfrage, die seit 20 Jahren durchgeführt wird. "Immer mehr Polen beurteilen die Entwicklung in Deutschland negativ, ebenso wie den Zustand der deutsch-polnischen Beziehungen", sagt Agnieszka Lada, Autorin des Barometers. Noch 2020 bewerteten 72 Prozent der Polen das Verhältnis zu Deutschland als gut und nur 19 Prozent als schlecht. 2023 finden es nur 47 Prozent gut und 39 Prozent schlecht.

"Der Wahlausgang wird auch darüber entscheiden, wie sehr die antideutsche Rhetorik dem deutsch-polnischen Verhältnis auf Dauer schadet", so Kai Olaf Lang, Polen-Experte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Mit einem Premierminister Tusk wäre es nicht idyllisch, aber "ein Neubeginn und eine Versachlichung der Debatte wären möglich". Zunächst müsse man aber sehr viel "zerschlagenes Porzellan aufsammeln". Sollte jedoch die PiS an der Macht bleiben, "wird die Luft sehr dünn für das bilaterale Verhältnis", befindet Lang. Auch der Politologe Gregosz sieht in diesem Fall "den Tiefpunkt der deutsch-polnischen Beziehungen noch nicht erreicht".

Rosalia Romaniec | DW Mitarbeiterin | Leiterin Current Politics
Rosalia Romaniec Leiterin Current Politics / Hauptstadtstudio News and Current Affairs@RosaliaRomaniec