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TerrorismusDeutschland

Nach Festnahmen in Berlin: Wie groß ist die Terrorgefahr?

14. Dezember 2023

Die Beschuldigten sollen Hamas-Anhänger sein und Anschläge auf jüdische Einrichtungen in Europa geplant haben. Der Verfassungsschutz warnte erst vor kurzem vor einer erhöhten Terrorgefahr.

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Vermummte Polizisten stehen während einer Razzia gegen mutmaßliche Hamas-Anhänger im Flur eines Hauses in Berlin.
Im November fanden in Berlin Razzien im Zusammenhang mit dem Hamas-Verbot statt, jetzt wurden vier mutmaßliche Mitglieder verhaftet Bild: Fabrizio Bensch/REUTERS

Gut zwei Monate nach den Terroranschlägen der Hamas in Israel hat die Bundesanwaltschaft in Deutschland und den Niederlanden vier mutmaßliche Mitglieder der radikal-islamischen Palästinenserorganisation festnehmen lassen. Israel, Deutschland, die Europäische Union, die USA und einige arabische Staaten stufen die Hamas als Terrororganisation ein.

Die aus dem Libanon, Ägypten und den Niederlanden stammenden Männer sind dringend verdächtig, Anschläge auf jüdische Einrichtungen in Europa geplant zu haben. Ihnen wird vorgeworfen, einer ausländischen terroristischen Vereinigung anzugehören.

Kooperation mit niederländischen Sicherheitsbehörden

Die Festnahme von Abdelhamid Al A., Mohamed B. und Ibrahim El-R. erfolgte durch Beamte des Bundeskriminalamts (BKA) in Berlin. Nazih R. wurde auf der Grundlage eines Europäischen Haftbefehls von der niederländischen Polizei in Rotterdam festgenommen, heißt es in einer Mitteilung des Generalbundesanwalts (GBA).

Bundesweite Razzien gegen Reichsbürger und Islamisten

Abdelhamid Al A. soll spätestens ab dem Frühjahr 2023 damit befasst gewesen sein, im Auftrag der Hamas ein von ihr angelegtes Erddepot mit Waffen ausfindig zu machen. Im Oktober habe er sich dafür mit Mohamed B. und Nazih R. mehrfach von Berlin aus auf die Suche nach den Waffen gemacht. Ibrahim El-R. soll sie dabei unterstützt haben. Ziel sei es gewesen, die Waffen nach Berlin zu bringen und für mögliche Anschläge auf jüdische Einrichtungen in Europa bereitzuhalten.

Verfassungsschutz muss sein Hamas-Bild womöglich revidieren

Sollten sich die Vorwürfe als zutreffend herausstellen, wäre das eine neue Qualität der Terrorgefahr. Der Verfassungsschutz ging nämlich lange davon aus, dass Deutschland für die Hamas nur ein Rückzugsort sei. In den Berichten der Behörde war bislang lediglich von Propaganda-Aktivitäten und dem Sammeln von Spenden die Rede. Deshalb waren 2002 und 2005 zwei der Hamas nahestehende Vereine verboten worden.

Als Reaktion auf die Terrorakte der Hamas in Israel vom 7. Oktober hatte die deutsche Innenministerin Nancy Faeser für die radikal-islamische Palästinenserorganisation ein Betätigungsverbot in Deutschland erlassen. Nach der jetzt erfolgten Festnahme von vier mutmaßlichen Hamas-Mitgliedern sieht sie sich in ihrem Kurs bestätigt.

Deutschlands Innenministerin Nancy Faeser steht mit entschlossenem Blick vor einem Mikrofon.
Die deutsche Innenministerin verschärft den Kurs gegen die Hamas und andere islamistische OrganisationenBild: Arne Dedert/dpa/picture alliance

"Wir haben die islamistische Szene im Visier"

"Wir haben die islamistische Szene im Visier. Der Schutz von Jüdinnen und Juden hat für uns höchste Priorität. Wir gehen mit allen rechtsstaatlichen Mitteln gegen diejenigen vor, die das Leben von Jüdinnen und Juden und die Existenz des Staates Israel bedrohen", heißt es in einer ersten Stellungnahme. Ähnlich äußerte sich Bundesjustizminister Marco Buschmann.

Der Schlag gegen die vier Terrorverdächtigen passt zu einer Gefahrenanalyse, die Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang Ende November gegeben hat: "Wir sind aktuell durch parallele Krisen mit einer komplexen und angespannten Bedrohungslage konfrontiert, die durch die barbarischen Verbrechen der Hamas noch verstärkt wird."

Hass auf Juden und Israel auch in anderen Milieus

Der Verfassungsschutz ist ein deutscher Inlands-Nachrichtendienst, der vor allem Informationen über Pläne sammelt und auswertet, die sich gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung der Bundesrepublik wenden. Dabei hat der Verfassungsschutz sehr unterschiedliche Milieus auf dem Schirm und beobachtet auch Schnittmengen zwischen Gruppierungen, die sonst wenig bis gar nichts miteinander zu tun haben: "Antisemitismus und Israel-Feindlichkeit sind verbindende Element zwischen Islamisten, deutschen und türkischen Links- und Rechtsextremisten und Anhängern extremistischer palästinensischer Organisationen", fasst Thomas Haldenwang die Erkenntnisse seiner Fachleute zusammen.

Verfassungsschutz-Präsident Thomas Haldenwang mit nachdenklichem Blick.
Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang: "Die Gefahr ist real und so hoch wie seit langem nicht mehr"Bild: Sebastian Rau/photothek/picture alliance

Das gemeinsame Feindbild Israel bringe zwischen einigen dieser Akteure alte, aber auch neue Verbindungen hervor, die künftig in Einzelfällen zu einer stärkeren Zusammenarbeit führen könnten, befürchtet der Verfassungsschutz. Deshalb geht Deutschland seit Beginn des Nahostkriegs verstärkt gegen antiisraelische und antisemitische Hetze vor - unter anderem mit Betätigungs- und Vereinsverboten. Davon betroffen ist neben der Hamas das palästinensische Netzwerk Samidoun.  

Fake News wirken als Brandbeschleuniger

Die digitale Bilderflut in sozialen Medien, oft gepaart mit Fake News, trage zur Emotionalisierung bei und könne als Radikalisierungsfaktor fungieren, heißt es in der Analyse. Verschärft werde die Situation durch staatliche Akteure im Ausland, die diese Stimmungslage für sich auszunutzen oder zu verstärken suchten. Die Erkenntnisse des Verfassungsschutzes decken sich mit Einschätzungen Bundeskriminalamtes (BKA).     

Eine weitere Eskalation hält Verfassungsschutzchef Haldenwang für möglich: "Wir beobachten bereits seit längerem den erklärten Willen von Islamisten, Anschläge im Westen zu verüben, und ich habe immer wieder betont, dass jeden Tag auch in Deutschland ein islamistischer Anschlag verübt werden kann." Die Festnahmen der vier Hamas-Mitglieder scheinen Haldenwangs Befürchtungen zu bestätigen.

Demonstrantinnen und Demonstranten schwenken Palästina-Fahnen und Fahnen des verbotenen Netzwerks Samidoun.
Auf pro-palästinensischen Demonstrationen sind immer wieder antisemitische Parolen zu hörenBild: Jochen Tack/picture alliance

Verfassungsschutz warnt vor weiterer Radikalisierung

Durch den Nahostkrieg zeichne sich derweil eine neue Qualität ab: Man sehe im dschihadistischen Spektrum Aufrufe zu Attentaten. Diese Gefahr treffe auf hoch emotionalisierte, durch Trigger-Ereignisse inspirierte Personen. "Dies kann zur Radikalisierung von allein handelnden Tätern führen, die 'weiche Ziele' mit einfachen Tatmitteln angreifen. Die Gefahr ist real und so hoch wie seit langem nicht mehr", betont Thomas Haldenwang.

Bislang ist es in Deutschland bei - teilweise gewalttätigen - Solidaritätskundgebungen mit dem palästinensischen Volk und antiisraelischen Parolen geblieben. Auch in den sozialen Medien beobachtet der Verfassungsschutz zunehmenden Antisemitismus. Muslime und die Palästinenser werden nach Angaben der Behörde vor allem als Opfer des Westens dargestellt.  

Hassbotschaften auf pro-palästinensischen Demos

Zugleich wird betont, dass es sich bei der Mehrheit auf pro-palästinensischen Demonstrationen nicht um Extremisten handele. Allerdings blieben Hassbotschaften unwidersprochen, was mitunter dazu führe, Versammlungen zu emotionalisieren, zu radikalisieren und zu eskalieren.

Die Sicherheitsbehörden seien mit allen Radikalisierungsfaktoren und möglichen Szenarien befasst, sagt Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang. "Wir arbeiten mit Hochdruck daran, potenzielle Planungen gegen die Sicherheit von Jüdinnen und Juden, israelischen Einrichtungen, aber auch von Großveranstaltungen zu durchkreuzen."

Deutsche Welle Marcel Fürstenau Kommentarbild ohne Mikrofon
Marcel Fürstenau Autor und Reporter für Politik & Zeitgeschichte - Schwerpunkt: Deutschland