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Haitis Ex-Diktator vor Gericht

Jan D. Walter27. Februar 2013

Dreimal hat sich Jean-Claude Duvalier gedrückt. Diesmal muss "Baby Doc" vor Gericht erscheinen - bisher wegen Korruption. Doch Opfer wollen den Ex-Diktator wegen Verletzungen der Menschenrechte anklagen.

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Der Ex-Diktator kurz nach seiner Rückkehr, umgeben von Getreuen. (Foto: AP)
Jean-Claude DuvalierBild: AP

"Hat Haiti nicht genug Probleme, auf die Füße zu kommen, als dass es sich einem Ex-Diktator widmen müsste?" fragt Reed Brody in der US-Tageszeitung The Miami Herald.

Brody ist Haiti-Experte der US-Nichtregierungsorganisation Human Rights Watch (HRW). Es ist eine rhetorische Frage, deren Antwort Nein ist. Doch sie spiegelt zwei Haltungen wider: Denn während die jungen Haitianer sich kaum für Duvalier interessieren, fordern die alten seine Verurteilung als Menschenrechtsverletzer.

Allein, dass ein haitianischer Ex-Präsident vor einem Gericht erscheinen müsse, sei historisch, meint der brasilianische Politologe Antonio Jorge Ramalho. "Doch die meisten Haitianer haben genug damit zu tun, ihr Überleben zu sichern oder sich eine Zukunft aufzubauen." Hinzu kommt: Wie in vielen armen Ländern ist die Bevölkerung sehr jung. Die meisten Haitianer lebten noch gar nicht, als Duvalier das Land verlies.

Das war 1986. Seither hatte Duvalier in Frankreich gelebt. 2011 - ein Jahr nach dem verheerenden Erdbeben - war er dann völlig überraschend nach Haiti zurückgekehrt. Wahrscheinlich spekulierte er gerade auf das existentielle Desinteresse der Haitianer. Zudem steckte das Land mitten in einer vollkommen chaotischen Präsidenten-Wahl, deren einzige verbliebene Kandidaten einst zu seinen Anhängern gehörten.

Präsident Michel Martelly (l.) und sein ehemaliger Ministerpräsident Garry Conille schütteln sich die Hände. (Foto: AP)
Präsident Michel Martelly (l.) und sein ehemaliger Ministerpräsident Garry Conille standen dem Duvalier-Regime nahBild: AP

Wahrscheinlich hatte er geglaubt, er würde vollkommen unbehelligt in seine Heimat zurückkehren können. Doch da hatte er sich verspekuliert. Wenige Tage nach seiner Ankunft erhob die Staatsanwaltschaft Anklage wegen Korruption, Veruntreuung und Diebstahl. Duvalier wurde mehrfach vorgeladen, erachtete es aber bisher nicht für nötig zu erscheinen. Nun ordnete das Gericht die Präsenz des Ex-Diktators an. Und tatsächlich bestätigten seine Anwälte, er werde kommen.

Dieb oder Mörder?

Bei der am Donnerstag (28.02.2013) anstehenden Verhandlung wird sich allerdings noch nicht entscheiden, ob Duvalier ins Gefängnis muss; bisher stehen maximal fünf Jahre im Raum. Es wird zunächst festgestellt, ob weitere Anklagepunkte hinzu kommen.

Dies ist das Anliegen der anderen, der interessierten, der älteren Haitianer. Derer, die das Regime erlebt und unter ihm gelitten haben. Sie fordern, dass sich der 61-Jährige für seine Verbrechen gegen die Menschenrechte verantwortet.

Der HRW-Sprecher Brody kennt Duvaliers Verbrechen genau, war er doch zuvor Menschenrechtsbeauftragter der Vereinten Nationen für Haiti. Und er kennt die Opfer des Regimes und deren Angehörige persönlich. In einem Dokumentarfilm von Brody berichten sie von Folter und Mord. Einer von ihnen ist Bobby Duval. Er überlebte 17 Monate im berüchtigtsten Gefängnis von "Baby Doc". 180 Menschen habe er während dieser Zeit sterben sehen, berichtet Brody.

Die Duvalier-Regimes

Seinen Spitznamen "Baby Doc" erbte Jean-Claude Duvalier von seinem Vater, genau wie die Macht in Haiti. Der Arzt François Duvalier war 1957 zum Präsidenten gewählt worden und hatte sich seinen Beinamen "Papa Doc" als Mediziner verdient, der einst in Haiti Seuchen bekämpfte. Als Präsident bekämpfte er vor allem politische Gegner. Die so konsolidierte Macht übertrug er kurz vor seinem Tod 1971 dem 19-jährigen Sohn.

Baby Doc setzte das verbrecherische Regime seines Vaters fort: Für 40.000 bis 60.000 Todesopfer sollen die beiden Duvaliers in 29 Jahren Herrschaft direkt oder indirekt verantwortlich sein. Unzählige weitere Menschen waren Folter und anderen Repressalien ausgesetzt. "Dabei ging es nicht nur darum, direkte politische Gegner aus dem Weg zu räumen", sagt der Politologe Antonio Jorge Ramalho von der Universität Brasilia. "Auch die Masse der Bevölkerung sollte eingeschüchtert werden."

Portrait des Ex-Diktators Dr. François Duvalier, genannt Papa Doc. (Foto: picture-alliance/United Archives/TopFoto)
Dr. François Duvalier, genannt Papa Doc, etablierte das Gewalt-Regime Ende der 50er-JahreBild: picture-alliance / United Archives/TopFoto

Das perfide System wiegelte die schwarze Mittel- und Unterschicht und die mulattische Oberschicht gegeneinander auf. Dazu rekrutierte Duvalier Senior seine Leibgarde aus der armen Bevölkerung: Die "Tonton Macoutes" - benannt nach einer Art Butzemann, der ungehorsame Kinder in seinen Sack steckt und verschleppt - hatten den Ruf, skrupellos, brutal und dem Diktator vollkommen ergeben zu sein. Der besoldet nur höhere Offiziere, den niederen Rängen erteilte er das Privileg, Schutzgelder erpressen zu dürfen.

"Anhänger der Diktatur betonen, dass während dieser Zeit eine gewisse Ordnung herrschte", erklärt Ramalho. Das habe auch zum Wohlwollen des Westens beigetragen und sogar für einen leichten Aufschwung des Tourismus gesorgt. "Genug, um die kleine Mittelschicht und die noch kleinere Oberschicht ökonomisch bei der Stange zu halten", so der Politologe der Universität Brasilia. Das Gros der Bevölkerung habe nichts davon gehabt.

Luxus-Exil in Frankreich

Haiti blieb das ärmste Land der westlichen Hemisphäre. Auch, weil Baby Doc sein Volk systematisch ausraubte: Schätzungen zufolge häufte Jean-Claude Duvalier ein Vermögen von einer halben Milliarde Dollar an, und schaffte es rechtzeitig außer Landes, bevor er 1986 im Zuge eines Volksaufstandes aus Haiti flüchtete.

Dieses Vermögen erlaubte ihm, mehr als ein Vierteljahrhundert unbehelligt in Frankreich zu leben. Die meiste Zeit soll er in einer Villa an der Côte d'Azur verbracht haben. Doch er habe auch mehrere Wohnsitze in und um Paris besessen, heißt es.

Baby Doc wies stets alle Vorwürfe von sich: Er habe niemals Morde angeordnet und auch sein Reichtum sei nichts als eine Legende.

Forderung nach Gerechtigkeit

Die Opfer-Verbände und Menschenrechtsaktivisten haben ein klares Ziel: Sie wollen die Menschenrechtsfrage in den Fokus rücken. Nicht nur vor Gericht, sondern auch im kollektiven Gedächtnis. Die Duvaliers stehen nicht einmal in den Geschichtsbüchern. Deshalb erzählen Robert Duval und seine Mitstreiter auch den jungen Menschen von den Verbrechen des Regimes.

Vor allem aber fordern sie, dass Duvalier wegen seiner Verbrechen gegen die Menschenrechte verurteilt wird." Nur wenn er wirklich ins Gefängnis muss, wird es eine Zeitenwende geben", glaubt der Brasilianer Ramalho.

Und der US-Amerikaner Reed Brody beantwortet seine Ausgangsfrage selbst: "Duvalier zur Rechenschaft zu ziehen und ihm einen fairen Prozess zu gewähren, würde zeigen, dass der haitianische Staat noch funktioniert."