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Gespräche in der Endlosschleife

Claudia Witte, Genf12. Februar 2014

Die Evakuierungen in Homs zeigen, wie katastrophal die Lage vieler Menschen in Syrien ist. Ein baldiger Friede für das Land ist weiter nicht in Sicht. Bei den Verhandlungen in Genf sind die Fronten verhärtet.

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Evakuierung von Zivilisten aus Homs (Foto: Reuters)
Bild: Reuters

Die Genfer Gespräche zwischen syrischer Opposition und Vertretern der Regierung über eine mögliche politische Lösung des blutigen Konflikts sind wieder aufgenommen worden - aber Bewegung ist in dieser zweiten Gesprächsrunde noch keine zu spüren. UN-Vermittler Lakhdar Brahimi musste zum Abschluss des zweiten Verhandlungstags eingestehen: "Der Anfang dieser Woche war genauso mühsam wie die erste Woche der Gespräche. Wir machen kaum Fortschritte." Er werde sich anstrengen, den Verhandlungsprozess endlich in Gang zu setzen, versicherte Brahimi.

"Soll ich ihnen ein Gewehr an den Kopf halten?"

Wie der erfahrene algerische Diplomat das schaffen will, bleibt unklar. Die Konfliktparteien treten in Genf kompromisslos auf und verschanzen sich hinter altbekannten Positionen: die Opposition will ohne Umschweife die Bildung einer Übergangsregierung diskutieren, während die Regierungsdelegation nur über das Thema "Terrorismus" reden will. Terrorismus, so wie ihn die Gesandten von Präsident Baschar al-Assad verstehen, umfasst die gesamte Bandbreite des militärischen Widerstands in Syrien.

Der Syrien-Beauftragte Brahimi möchte beide Themen parallel verhandeln, kann sich aber in diesem Punkt bislang nicht durchsetzen. "Ich glaube nicht, dass ich Leuten gegen ihren Willen eine Tagesordnung aufzwingen kann. Soll ich ihnen etwa ein Gewehr an den Kopf halten?" Doch früher oder später werden die Kriegsparteien auf den Wunsch der Bevölkerung nach einer Beendigung des Kriegs hören müssen, ist sich Vermittler Brahimi gewiss.

Lakhdar Brahimi (Foto: picture alliance)
Versucht zu vermitteln: Sondergesandter BrahimiBild: picture-alliance/dpa

Schwach, ausgezehrt und verängstigt

Wie kriegsmüde die Syrer sind, das hat sich während der "humanitären Pause" in Homs gezeigt. Allein in den ersten vier Tagen der vorübergehenden Waffenruhe haben mehr als 1100 Personen die belagerte Altstadt verlassen. Das waren mehr als gedacht und es befanden sich auch viele Männer darunter. "Homs darf als Erfolg gelten", meint Brahimi, "aber es hat sechs Monate Vorbereitung gebraucht. Sechs Monate um einige hundert Menschen aus der Stadt heraus und einige Nahrungsmittel hineinzubekommen! Und es gibt zahlreiche andere belagerte Orte, an denen noch nichts geschehen ist."

40 dieser vollkommen abgeriegelten Orte mit insgesamt 250.000 Bewohnern soll es nach Angaben von UN-Hilfsorganisationen im ganzen Land geben. Wie schlimm es um die Menschen in diesen belagerten Gebieten stehen muss, lässt sich anhand der schlechten Verfassung der Evakuierten aus Homs erahnen. Vertreter des Kinderhilfswerks UNICEF haben in den vergangenen Tagen Hunderte von Kindern aus Homs betreut und auch die Eltern befragt. "Meine Kollegen sagen, die Kinder sahen schwach und ausgezehrt aus, und sie wirkten verängstigt“, berichtet UNICEF-Sprecherin Marixie Mercado in Genf. "Alle Evakuierten nennen die gleichen Dinge, unter denen sie gelitten haben: Kälte, Hunger, schmutziges Wasser und Dauer-Beschuss."

Blick über Homs (Foto: Reuters)
Weitgehend zerstört: HomsBild: Reuters

Zu wenig Essen und zu wenig Ärzte

Nach Beobachtungen des Welternährungsprogramms (WFP) gibt es unter den Bewohnern der Altstadt von Homs Anzeichen von Fehlernährung. "Ein Mann berichtete, er habe eine Woche lang von einem Löffel Bulgur gelebt", erklärt Elisabeth Byrs vom WFP. "Sie sagen, dass sie Blätter, Gras und Oliven gegessen haben und manchmal sei Weizenmehl aufgetaucht. Das hätten sie dann mit Wasser vermengt um eine Art Brot herzustellen."

In der Empfangsstelle für die Evakuierten aus Homs steht medizinisches Personal bereit. Viele der Eingeschlossenen leiden nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) an Hautausschlägen, die auf einen Mangel an Wasser und Hygiene zurückzuführen seien. Außerdem habe man mit zahlreichen nur notdürftig verarzteten Verletzten zu tun, berichtet Fadela Chaib von der WHO. "Viele Patienten mit Verletzungen sind innerhalb der Altstadt von Homs nur unzureichend medizinisch versorgt worden. In Homs gab es nur ein Feldlazarett mit sehr beschränkter Ausstattung und wenig Personal."

Was passiert mit den Männern?

Unter den Evakuierten befinden sich auch 336 Männer und Jungen im Alter von 15 bis 54 Jahren, die die Altstadt von Homs gar nicht hätten verlassen dürfen, wenn es nach dem Willen der syrischen Regierung gegangen wäre. Sie sind trotzdem gekommen, weil sie nicht von ihren Familien getrennt werden wollten, heißt es beim Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR).

Diese Männer werden von Vertretern der Assad-Regierung sofort nach ihrer Evakuierung ausgesondert und in einer Schule verhört. Einige der Männer wurden inzwischen freigelassen. In der Schule sind Vertreter verschiedener UN-Organisationen anwesend, die sicherstellen sollen, dass die Männer korrekt behandelt werden. Bei den Verhören selbst dürfen sie aber nicht dabei sein, räumt Melisssa Fleming vom UNHCR ein. "Wir tun unser Bestes, vor Ort anwesend zu sein und das Geschehen zu beobachten. Wir garantieren die neutrale, unparteiische humanitäre Gegenwart der Vereinten Nationen."

UNHCR-Sprecher Rupert Colville
UNHCR-Sprecher Rupert Colville: "Es ist wichtig, dass der kleine Durchbruch in Homs sich rasch ausweitet."Bild: United Nations Geneva/Jean-Marc Ferré

Kleiner Durchbruch mit Folgen

Das Hochkommissariat für Menschenrechte in Genf zeigt sich besorgt über das Schicksal der in der Altstadt von Homs zurückgebliebenen Personen. "Es geht nicht an, dass alle diejenigen, die in der Altstadt von Homs zurückgeblieben sind, jetzt alle als Kämpfer gelten", erklärt Rupert Colville, der Sprecher des Hochkommissariats. "Wir weisen darauf hin, dass Individuen, die aufgrund von Krankheit, Verletzung, Gefangennahme oder Kapitulation kampfunfähig sind, laut humanitärem Völkerrecht nicht angegriffen werden dürfen." Colville unterstreicht, dass die "humanitäre Pause" in Homs nur ein Anfang sein könne: "Es ist wichtig, dass der kleine Durchbruch in Homs sich rasch ausweitet, so dass mehr Menschen erlöst werden vom grauenhaftem Leid, von den Entbehrungen und von der Gefahr, verletzt oder getötet zu werden. Dem sind sie gegenwärtig an zahlreichen Orten in ganz Syrien ausgesetzt."