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Krise in Ankara

Thomas Seibert3. Februar 2014

Korruption wird ihm und seiner Regierung vorgeworfen. Rechtsbeugung. Willkür. Machthunger. Während der türkische Ministerpräsident nach Berlin reist, wachsen daheim die innenpolitischen Spannungen.

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Türkei Erdogan (Foto: Adam Berry/Getty Images)
Bild: Getty Images

Selten hat eine Kommunalwahl die Türkei dermaßen auf Trab gehalten. So spannungsgeladen wie die derzeitige seien bisher nur wenige Vorwahl-Phasen verlaufen, schrieb der Kolumnist Süleyman Seyfi Ögün am Montag (03.02.2014) in der regierungsnahen Zeitung "Yeni Safak". Am 30. März bestimmen die Türken neue Bürgermeister und Kommunalparlamente - aber gleichzeitig entscheiden sie über noch viel mehr. Es geht um einen politischen Kräftetest, der Klarheit darüber bringen soll, ob Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan stark genug ist, um im Sommer als Kandidat für das Amt des Staatspräsidenten anzutreten.

Diese Konstellation macht die Kommunalwahl so bedeutend. Einen Landesdurchschnitt von rund 40 Prozent strebt Erdoğans Regierungspartei AKP an; das wäre etwa so viel wie bei den zwei vorigen Kommunalwahlen. Nach einer am Montag von der Erdoğan-kritischen Zeitung "Zaman" veröffentlichten Umfrage muss die AKP am 30. März jedoch mit einer Ohrfeige der Wähler rechnen. Zudem sei Erdoğan als potenzieller Präsident längst nicht so beliebt wie Amtsinhaber Abdullah Gül. Umfragen aus dem Regierungslager zeichnen ein wesentlich freundlicheres Bild für Erdoğan.

Erdoğan will Merkel von Verschwörung überzeugen

Dass die Wahlkampf-Stimmung diesmal besonders hitzig ist, liegt auch an den Korruptionsvorwürfen gegen die Erdoğan-Regierung. Der Ministerpräsident weist die Vorwürfe als Verschwörung der "Hizmet"-Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen zurück. Diese Lesart dürfte Erdoğan auch bei seinem Treffen mit Bundeskanzlerin Angela Merkal an diesem Dienstag präsentieren.

Von Diplomaten und Beobachtern ist zu hören, dass der Ministerpräsident in Berlin wohl auf einige Skepsis treffen dürfte. Ein westlicher Vertreter in der Türkei, der nicht genannt werden möchte, sagte der Deutschen Welle, Erdoğan dürfte ähnlich wie bei seinem kürzlichen Gespräch mit EU-Spitzenvertretern in Brüssel versuchen, die Kanzlerin von der Existenz einer Gülen-Verschwörung zu überzeugen. Dass sich Merkel davon beeindrucken lässt, wird nicht erwartet. Sahin Alpay, Politologe und Kolumnist bei der zur Gülen-Bewegung gehörenden "Zaman", sagte im Gespräch mit der Deutschen Welle, er glaube nicht, dass die Kanzlerin auf Erdoğans Verschwörungstheorien eingehen werde. Erdoğans Reaktion auf den Korruptionsskandal - die Zwangsversetzung tausender Polizisten - hatte in der EU große Sorgen ausgelöst.

Proteste gegen die Korruption in Istanbul 29.12.13 (Foto: KOSE/AFP/Getty Images)
Korruptionsaffäre erschüttert Erdogans RegierungBild: Ozan Kose/AFP/Getty Images

Gezi-Prozess und Internet-Gesetz

Doch nicht nur der Korruptionsskandal heizt die Spannungen an. Wenige Stunden vor Erdoğans Abreise nach Berlin begann am Montag der Mordprozess gegen vier Polizisten, die den Tod eines jungen Teilnehmers an den regierungskritischen Gezi-Demonstrationen im vergangenen Jahr verschuldet haben sollen. Die vier Zivilpolizisten sollen den unbewaffneten 19-jährigen Studenten Ali Ismail Korkmaz bei einer Demonstration im westtürkischen Eskisehir mit Knüppeln so verprügelt haben, dass er später seinen Verletzungen erlag. Korkmaz war einer von sechs Todesopfer der Unruhen, die von Erdoğan als Werk von "Plünderern" gebrandmarkt wurden. Regierungsgegner befürchten, dass die Polizisten vom Staat vor allzu schweren Strafen bewahrt werden sollen.

Hinzu kommt, dass die Opposition der Regierung Erdoğan vorwirft, mit einem neuen Internet-Gesetz die Zensur und Willkür legalisieren zu wollen. Das Gesetz, das voraussichtlich im Laufe der Woche mit Hilfe der AKP-Mehrheit im Parlament verabschiedet werden wird, sieht die Sperrung von Internetseiten ohne Gerichtsbeschluss und auf Weisung der Regierung vor. Begründet wird dies mit der Notwendigkeit, die Persönlichkeitsrechte im Netz zu schützen. Die Oppositionspartei CHP spricht dagegen von einem "Internet-Putsch". Die Regierung sei wegen der anstehenden Wahlen und schlechter Umfragewerte in Panik verfallen.

Ein Internet Café in Istanbul (Foto: UGUR CAN/AFP/Getty Images)
Regierung möchte die Internetseiten sperren könnenBild: Ugur Can/AFP/Getty Images

Appelle an Staatspräsident Gül

Wegen der politischen Spannungen rückt Staatspräsident Gül zunehmen in den Mittelpunkt. Die Stiftung für Journalisten und Autoren, die wichtigste Vertreterin der Gülen-Bewegung in der Türkei, appellierte am Montag an das Staatsoberhaupt, es solle die Angriffe der Regierung stoppen. Andere Erdoğan-Kritiker hoffen, dass Gül sein Veto gegen das umstrittene Internet-Gesetz einlegen und so der Regierung die Grenzen aufzeigen wird.

Gül, ein alter Weggefährte des Ministerpräsidenten, hatte in den vergangenen Wochen mehrmals durchblicken lassen, dass er Erdoğans Kurs nicht gutheißt. Bisher hat der als Reformer und EU-Anhänger bekannte Gül die offene Konfrontation mit Erdoğan vermieden. Doch möglicherweise wird sich dies bald nicht mehr vermeiden lassen. Auch nach Erdoğans Besuch in Berlin dürfte die Lage in der Türkei höchst spannungsgeladen bleiben.