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Erdogans Schuldzuweisungen

Serkan Demirtas /kj29. Dezember 2013

Der türkische Ministerpräsident holt im Korruptionsskandal zum Rundumschlag aus: Erdogan spricht von einem Staat im Staate, der aus dem Ausland gesteuert wird. Einige sehen die Schuld bei einem Geistlichen in den USA.

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Recep Tayyip Erdogan (Foto: AP)
Bild: picture-alliance/AP Photo

Recep Tayyip Erdogan lässt sich feiern. An Tag Zehn nach Bekanntwerden des millionenschweren Korruptions- und Bestechungsskandals reist er nach Manisa, einer kleineren Stadt im Westen der Türkei. Dort wird er von tausenden Unterstützern empfangen und bejubelt. "Mit eurer Hilfe und Gottes Beistand werden wir diesen Kampf gewinnen", sagt er seinen Anhängern rund 90 Tage vor den Kommunalwahlen in der Region. "Ich möchte, dass ihr allen zeigt, wer den nationalen Willen in diesem Land hat."

Trotzig verspricht Erdogan, seine Regierung von "illegalen Organisationen" und einem "Staat im Staate" zu befreien. Viele glauben, dass die Gülen-Bewegung für die Aufdeckung des Skandals verantwortlich ist. Sie wird vom Prediger Fethullah Gülen angeführt, der seit den 90er Jahren in den USA lebt. Die Bewegung hat Verbündete in Justiz und Polizei und ist in wichtigen Institutionen des Staates stark vertreten. Das ist allerdings kein Wunder, denn die Gülen-Bewegung und Erdogans Partei AKP waren einst Partner. Sie hatten sich im Machtkampf gegen die türkische Armee zusammengetan.

Gegner sind "Verräter"

Erdogan selbst nennt keine Namen und bleibt bei Andeutungen: "Leider gibt es eine Organisation, eine Gruppe, die sich innerhalb des Staates formiert", sagte er am Samstagabend (28.12.2013). Ausländische Kräfte würden diese Gruppe steuern. Kritiker werfen dem Ministerpräsidenten vor, dass er zu alten Mustern zurückkehrt. Alle seine Gegner stempele er als Feinde, Verräter oder ausländische Spione ab. Ahmet Hakan von der Tageszeitung Hürriyet hält das für problematisch. "Man kann diese Krise nicht überwinden, indem man die Justiz, die Gerichte und Staatsanwälte in Frage stellt. So wird man das Land zum Untergang bringen", schrieb er.

Erdogan-Anhänger unterstützen den Ministerpräsidenten (Foto: Reuters)
Erdogan-Anhänger unterstützen den MinisterpräsidentenBild: Reuters

Experten und Journalisten glauben, dass der aktuelle Skandal die schon über zehn Jahre andauernde Regierung von Erdogans Partei AKP gefährden kann. Die türkische Öffentlichkeit reagierte schockiert, als sie die Bilder von Millionen von Euro sahen, die in Schuhkartons im Haus des Direktors der staatlichen Halkbank gefunden wurden. Andere Bilder zeigten Geldzählmaschinen im Wohnsitz vom Sohn eines ehemaligen Innenministers.

Lokalwahlen als Stimmungstest

Die türkischen Wähler werden eine klare Reaktion auf diese Anschuldigungen fordern, glaubt der bekannte Sozialforscher Bekir Agirdir. "Es ist ein weitverbreiteter Irrglaube, dass die Öffentlichkeit sich an die Korruption gewöhnt hat", schreibt er in einer Analyse im T24 Online-Journal. Die anstehenden Kommunalwahlen am 30. März könnten Klarheit bringen. Sie gelten als Stimmungstest für die Präsidentschaftswahlen im kommenden August. Viele glauben, dass Erdogan wieder antreten will. Dann müsste er aber sichergehen, dass seine Partei weiterhin eine komfortable Mehrheit bei den Wählern hat.

Demonstrant mit Erdogan-Plakat bei Ausschreitungen in Istanbul (Foto: dpa)
Demonstranten haben einen Schuldigen für die Korruption im Land ausgemachtBild: picture-alliance/dpa

"Wenn es an diesen Tagen eine Meinungsumfrage geben würde - in dieser frühen Phase der Entwicklungen - würden wir die AKP drei bis fünf Prozentpunkte schwächer sehen", glaubt Agirdir. Was letztendlich bei den Wahlen passieren wird, hänge aber stark davon ab, wie die Partei die Krise jetzt bewältige. Der Sozialforscher beobachtet seit zwei Jahren, dass die öffentliche Meinung sich zunehmend gegen die Regierung wendet. Die AKP hat in dieser Zeit ihren Einfluss auf das politische und kulturelle Leben in der Türkei verstärkt.

Zahnlose Proteste?

Der Stimmungswandel war bei den Gezi-Park-Protesten im vergangenen Sommer deutlich sichtbar. Erdogan und seine Regierung stuften die Proteste als Aufstand gegen Umstrukturierungen und wirtschaftliches Wachstum in der Türkei ein. Eine starke oppositionelle Kraft ist aus den Demonstrationen nicht hervorgegangen.

Demonstranten werden mit Wasserwerfern auseinandergetrieben (Foto: afp)
Demonstrationen wurden Ende Dezember schon vor dem eigentichen Beginn zerschlagenBild: Bulent Kilic/AFP/Getty Images

Der Ruf nach neuen Protesten ist aber nicht verstummt. Im Rahmen der Korruptionsaffäre sind sie am Wochenende wieder entbrannt, und wieder kam es zu Gewalt, Verletzten und Verhaftungen. Auf Parolen wie "Regierung, tritt zurück" und "Korruption ist überall" reagiert Recep Tayyip Erdogan aber scheinbar gelassen. Er vergleicht die neuen Demonstrationen mit denen im Mai und Juni 2013: "Bei den Gezi-Protesten haben sie versucht, den Aufbau einer neuen Türkei zu stoppen, aber sie sind gescheitert. Jetzt versuchen sie es halt wieder."