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Dressurreiten fürchtet um Zukunft bei Olympischen Spielen

1. März 2024

Ist Reiten bei Olympia in Gefahr? Nachdem Dressurreiter in Dänemark und den USA Fälle schwerer Tierquälerei überführt wurden, ist der Dressursport ins Kreuzfeuer geraten. Top-Athleten befürchten harte Konsequenzen.

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Symbolbild Dressurreiten, Pferdehufe auf sandigem Untergrund im Detail
Wegen Tierquälerei-Vorfällen ist das Dressurreiten in die Kritik geratenBild: Friso Gentsch/dpa/picture alliance

"Unser Sport ist ernsthaft in Gefahr. Die aktuellen Skandale und der existenzgefährdend schlechte Ruf könnten das Ende der Dressur und Para-Dressur als olympische Disziplinen und das Ende ihrer olympischen Zukunft bedeuten." So steht es in einem Brief, der Mitte Februar an den Welt-Reitverband FEI ging. Absender waren führende Athleten, Trainer und Offizielle aus dem Dressurreiten, unter anderem die siebenfache Olympiasiegerin Isabell Werth aus Deutschland. Sie ist Präsidentin der Interessenvertretung IDRC (International Dressage Riders Club).

Das Schreiben, adressiert an FEI-Präsident Ingmar de Vos und FEI-Generalsekretärin Sabrina Ibanez, war die Reaktion auf die neuesten Fälle von Tierquälerei im Dressursport. Anfang der Woche folgte ein weiterer Brief der nordeuropäischen Reitsport-Verbände aus Schweden, Dänemark, Finnland und Norwegen mit der Aufforderung an die FEI, auf internationaler Ebene zu handeln. Trotz aller bisherigen Bemühungen sei "noch viel zu tun, um das Wohlergehen der Pferde jederzeit zu gewährleisten", hieß es in dem Brief.

Gepeitscht, getreten, gequält

Im Herbst 2023 hatte der dänische Fernsehsender TV2 verstörende Bilder aus dem Stall des dänischen Nationenpreis-Reiters Andreas Helgstrand gezeigt: Pferde, die beim Training aus den Mäulern und an den Flanken bluteten, weil die Reiter die Trense - das Mundstück aus Metall am Zaumzeug des Pferdes - und die Sporen zu heftig gebraucht hatten.

Noch schlimmer waren ältere Videos vom Training des Dressurreiters Cesar Parra, die im Januar an die Öffentlichkeit kamen. Der gebürtige Kolumbianer startet für die USA. Im Stall Parras wurden Pferde während ihrer Übungen immer wieder in kurzen Abständen mit Peitschen geschlagen, teilweise getreten und der schmerzhaften sogenannten Rollkur unterzogen. Dabei zieht der Reiter das Maul des Pferdes mit den Zügeln weit nach unten, so dass sich das Tier fast in die eigene Brust beißt. Der Pferdehals wird dabei stark gebeugt und überdehnt. Zu den Anwesenden vor Ort gehörte auch ein deutsches Paar von Pferdezüchtern.

Vielseitigkeitsreiterin Klimke: "Abartig und schrecklich"

Die Reaktionen aus der deutschen Reitsport-Szene waren deutlich: Dressur-Bundestrainerin Monica Theodorescu wurde in einer Mitteilung des deutschen Reitsportverbands FN zitiert: Sie verurteile "solchen Umgang mit dem Partner Pferd aufs Schärfste. Wir distanzieren uns deutlich von Trainingsmethoden dieser Art", so Theodorescu. Hubertus Schmidt, 2016 in Rio de Janeiro Mannschafts-Olympiasieger mit der deutschen Equipe, bezeichnete die Praktiken als "Vergewaltigung". Die deutsche Vielseitigkeitsreiterin Ingrid Klimke nannte im deutschen Fernsehen vor allem den Fall Parra "abartig und schrecklich".

Dressur-Bundestrainerin Monica Theodorescu beobachtet ernst das Geschehen auf dem Trainingsplatz.
Dressur-Bundestrainerin Monica Theodorescu (l.) und der deutsche Verband distanzierten sich von "Trainingsmethoden dieser Art"Bild: Frank Heinen/rscp-photo/picture alliance

Beide Fälle hatten für die verantwortlichen Reiter bereits Konsequenzen: Der dänische Verband sperrte Helgstrand bis 2025 und erkannte dessen Unternehmen "Helgstrand Dressage" den Status als Ausbildungsbetrieb ab. Parra wurde vom Weltverband FEI suspendiert.

Auch ein deutscher Dressurreiter geriet zuletzt in den Fokus: Matthias Rath, der einst mit dem 2020 verstorbenen Wunderhengst Totilas für Deutschland bei Europameisterschaften und Nationenpreisen antrat, soll sein Pferd im Januar bei einem Turnier in Norddeutschland im Training ebenfalls der Rollkur unterzogen haben. Rath wehrte sich gegen die Vorwürfe. Gegenüber dem Reitsport-Magazin "Reiterrevue" sagte Rath, dass "eine falsche Kopf-Hals-Haltung weder meine Absicht noch Teil meines Trainings ist".

Moderner Fünfkampf als abschreckendes Beispiel

Ungeachtet dessen ist die Diskussion über das Tierwohl im Dressurreiten im Gang. Als warnendes Beispiel dürfte Aktiven, Trainern und Offiziellen das Springreiten im Modernen Fünfkampf gelten. Die Wettbewerbe in der Teildisziplin gerieten bei den Olympischen Spielen in Tokio 2021 zur Farce und lieferten ein Beispiel, wie Pferdesport nicht aussehen soll. Trauriger Höhepunkt war damals der Auftritt der deutschen Goldmedaillen-Anwärterin Annika Schleu und ihrer Bundestrainerin Kim Raisner. Auch mit Gewalt und Zwang konnten sie das verschreckte und überforderte Pferd kaum dazu bewegen, den Parcours zu absolvieren.

Die Folge war eine weltweite Diskussion, die letztlich dazu führte, dass künftig im Modernen Fünfkampf nicht mehr geritten wird. Das Springreiten wird zum Wohl der Pferde durch einen Hindernis-Parcours im Stile der "Ninja Warrior"-Wettbewerbe ersetzt, allerdings erst nach den Olympischen Spielen 2024 in Paris. Beim beliebten TV-Format "Ninja Warrior" balancieren, klettern und hangeln sich die Teilnehmer über verschiedene Hindernisse und müssen dabei versuchen, nicht abzurutschen oder herunterzufallen.

Die deutsche Fünfkämpferin Annika Schleu auf dem ihr zugelosten Pferd Saint Boy bei den Olympischen Spielen in Tokio
Die deutsche Fünfkämpferin Annika Schleu auf dem ihr zugelosten Pferd Saint Boy bei den Olympischen Spielen in TokioBild: Stanislav Krasilnikov/picture alliance/dpa

Ob die Fälle schwerer Tierquälerei in der Dressur nun ebenfalls dazu führen, dass die Disziplin aus dem olympischen und paralympischen Programm gestrichen wird, muss sich zeigen. Der Unterschied zum Fünfkampf in Tokio ist, dass die Vorfälle nicht während der Olympischen Spiele stattgefunden haben und zudem die zuständigen Verbände schnell reagiert und die Verantwortlichen gesperrt haben. Gleichwohl gibt es die Debatte über Tierwohl im Pferdesport schon länger - bei der Tierschützer und Pferdesportler oft miteinander unvereinbare Positionen einnehmen.

Sie wünsche sich, dass "wir zukünftig eine ehrliche und faire Diskussion führen, die ganz klar zwischen schlechtem Reiten und Tierquälerei unterscheidet", schrieb Isabell Werth auf ihrem Instagram-Kanal: Reiterliche Fehler "dürfen und müssen diskutiert werden. Aber bitte sachlich, objektiv und fair."

Projekt des CHIO Aachen als Chance?

Beim CHIO in Aachen, dem größten und wohl renommiertesten Pferdesport-Event der Welt, war im vergangenen Jahr eine Pilotstudie an zunächst sechs Pferden (darunter einem Dressurpferd von Isabell Werth) zur objektiven Überprüfung des Tierwohls im Reitsport vorgestellt und gestartet worden. Es ging dabei um Langzeitbeobachtungen mit Kameras zum Verhalten der Pferde während des Turniers, zum Schlafrhythmus in der Box, außerdem um die Messung des Stresshormons Cortisol im Pferdekot.

Die Auswertung läuft derzeit, präsentiert wurden die Ergebnisse noch nicht. Wenn herauskommen sollte, dass alle getesteten Pferde sich während des Turniers in Aachen nicht gestresst, sondern entspannt und wohlgefühlt haben, wäre das zwar eine gute Nachricht für die besorgten Reiterinnen und Reiter.

Allerdings darf man eine Tatsache nicht ausblenden: Das Aachener Turnier ist so etwas wie der Goldstandard unter den Reitturnieren. Was hier gilt, ist nicht unbedingt repräsentativ für den gesamten Reitsport und kann nicht ohne Weiteres verallgemeinert werden. Denn die meisten anderen Pferdesport-Veranstaltungen der Welt können mit den quasi perfekten Bedingungen für die Pferde beim Aachener Turnier nicht mithalten.