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Moderner Fünfkampf künftig ohne Springreiten

5. November 2021

Das Springreiten im Modernen Fünfkampf der Olympischen Spiele in Tokio hat Konsequenzen. Nach den Spielen in Paris 2024 soll es ersetzt werden. Besonders der Ritt einer Deutschen hatte für Kritik gesorgt.

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Tokio 2020 - Olympia - Annika Schleu
Aufgeben war keine Option: Der Ritt der weinenden Annika Schleu sorgte weltweit für heftige KritikBild: Dan Mullan/Getty Images

Es ließ sich nach den verstörenden Bildern aus Tokio wohl kaum vermeiden - zumal die Kritik auch schon vor den Olympischen Spielen laut war: Der Moderne Fünfkampf findet demnächst ohne Springreiten statt. Anders als erwartet treten die Änderungen aber erst nach den Olympischen Spielen 2024 in Paris in Kraft. Wie der Weltverband UIPM am Donnerstag mitteilte, wurde nach der Empfehlung der Innovationskommission ein "Konsultationsverfahren" eingeleitet, um einen "geeigneten Ersatz" für die nicht erst seit dem Skandal um die deutsche Athletin Annika Schleu umstrittene Disziplin zu finden.

Wann die neue Disziplin bekannt gegeben wird, ist noch nicht bekannt. Laut übereinstimmenden Medienberichten soll das Springreiten durch eine Radkonkurrenz ersetzt werden, was der deutsche UIPM-Präsident Klaus Schormann aber nicht bestätigen wollte: "Wir haben unsere Ideen, werden damit aber noch nicht an die Öffentlichkeit gehen, sondern in Arbeitsgruppen sorgfältig planen und beraten", sagte Schormann den Tageszeitungen der Verlagsgruppe Rhein-Main. Dieser Prozess werde bis Ende 2022 dauern, weil auch in der Praxis getestet werden müsse, ob die Sportart in das Wettkampfformat passe.

Aufgelöste Schleu, boxende Raisner 

Die Diskussion über das Springreiten im Rahmen des Fünfkampfs schwelte bereits seit längerer Zeit, bevor die olympischen Wettbewerbe in Tokio noch einmal ein Schlaglicht auf eine der Problematiken warfen. Das Springreiten bei Frauen und Männern war geprägt von verängstigten und bockenden Pferden und zahlreichen Abwürfen, teilweise mit gefährlichen Stürzen. Im Wettbewerb der Frauen lag die deutsche Athletin Annika Schleu nach zwei Teildisziplinen auf Goldkurs, scheiterte aber beim Springreiten daran, ihr Pferd unter Kontrolle zu bringen. Das ihr zugeloste Tier Saint Boy war bereits zuvor mit einer anderen Reiterin nur mit großen Schwierigkeiten durch den Parcours gegangen, hatte mehrfach verweigert und sich einige Abwürfe geleistet. Als Schleu an der Reihe war, verweigerte das deutlich gestresste und ängstliche Pferd die Zusammenarbeit.

Unter Tränen versuchte Schleu, Saint Boy zum Mitmachen zu bewegen. Ihre Bundestrainerin Kim Raisner forderte sie vor laufender Kamera dazu auf, die Gerte einzusetzen. "Hau drauf, hau richtig drauf!", rief Raisner der vollkommen aufgelösten Schleu zu und boxte das Pferd über den Begrenzungszaun in die Flanke. Der Vorfall löste heftige Kritik aus und hatte auch ein offizielles Nachspiel. Raisner wurde von den Spielen ausgeschlossen und nach einer Untersuchung durch den Disziplinarausschuss des Weltverbandes offiziell verwarnt. Zudem gab es Anzeigen von Tierschutzverbänden gegen Schleu und Raisner wegen Tierquälerei.

Zahlreiche Reiterinnen und Reiter, darunter auch Dressur-Olympiasiegerin Isabell Werth und Springreiter Daniel Deußer, forderten eine Abschaffung des Springreitens im Modernen Fünfkampf. Deußer bezeichnete das Zulosen von Pferden, um mit ihnen nach nur kurzer Eingewöhnung über einen Parcours zu reiten, gegenüber der DW als "No-Go".

Auch außerhalb der Olympischen Spiele hatte die Reiterei als Teil des Fünfkampfs in den vergangenen Jahren wiederholt für Kritik gesorgt. Oft finden sich keine Besitzer geeigneter Pferde, die ihre Tiere den im Springreiten häufig nicht sehr geübten Fünfkämpfern zur Verfügung stellen wollten. Immer wieder gab es deshalb Fälle, bei denen ungeeignete, teilweise kranke Pferde aus Osteuropa zu den Turnieren gekarrt wurden.

Sorge um Generation von Sportlern

Dass sich etwas ändern muss, sah im Vorfeld der Entscheidung auch Bundestrainerin Raisner so, deren Team vor dem Eklat um Schleu auch schon 2016 in Rio eine Medaille durch die Lappen gegangen war, weil die Zusammenarbeit mit einem zugelosten Pferd nicht passte. Damals schied Lena Schöneborn nach vier Verweigerungen aus. "Es muss sich etwas ändern, sie müssen handeln", sagte Raisner dem SID am Dienstag. Sie "liebe das Reiten", und "von der Tradition her gehört Reiten zum Modernen Fünfkampf, aber wenn sich die Gesellschaft wandelt und das Reiten nur für negative Publicity sorgt", schade dies dem Sport eher.

Kim Raisner
Bundestrainerin Kim Raisner ist seit 2006 im Amt und war zuvor selbst erfolgreiche FünfkämpferinBild: picture alliance

Trotz dieser Einsicht gab Raisner zu bedenken, dass ein Tausch hin zum Radsport, wenn er denn tatsächlich käme, "einschneidende Veränderungen" mit sich bringen würde, mit vielen Folgen für das Training. "Wenn man so eine krasse Änderung macht, zerstört man eine ganze Generation von Sportlern", sagte sie. 

Raisner und Co. haben vor dem UIPM-Kongress Ende November zahlreiche Änderungsvorschläge eingereicht, wie man das Reiten im Modernen Fünfkampf reformieren könnte. "Was davon umgesetzt wird, weiß ich nicht", sagte sie. Wenn die Disziplin wirklich gestrichen werden sollte, "geht das nur langfristig", so Raisner: "Das ist für Athleten und Trainer eine Mammut-Aufgabe."

Der Moderne Fünfkampf wurde 1912 von Pierre de Coubertin, dem Vater der modernen Olympischen Spiele, ins Leben gerufen. Er besteht traditionell aus den soldatischen Disziplinen Schießen, Fechten, Schwimmen, Reiten und Laufen. Schießen und Laufen wurden inzwischen zur Disziplin Combined zusammengelegt.

Dieser Artikel wurde nach der Entscheidung des Weltverbands UIPM aktualisiert.