„Die Menschen haben sich lange vergessen gefühlt“ – Medienentwicklung in Krisenregionen | DW AKADEMIE | DW | 12.03.2024
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DW AKADEMIE

„Die Menschen haben sich lange vergessen gefühlt“ – Medienentwicklung in Krisenregionen

„Kwizera“ bedeutet Hoffnung. Seit 2020 unterstützt die DW Akademie den gleichnamigen Radiosender im Nordwesten Tansanias, der Geflüchtete und umliegende Gemeinden mit lebenswichtigen Informationen versorgt.

Tansania | Radio Kwizera

Redakteure von Radio Kwizera beim Interview

Es ist ein Anblick, der den Menschen in diesen entlegenen Dörfern vertraut ist: sobald es ein Problem gibt, taucht jemand von Radio Kwizera auf. Junge Journalistinnen und Journalisten, die im bewaldeten Grenzgebiet zwischen Tansania, Burundi, Ruanda und der Demokratischen Republik Kongo auf ihren Motorrädern umherkreuzen – mit Aufnahmegerät und Mikrofon im Rucksack, mühelos zwischen Sprachen wechselnd, und immer engagiert für die Menschen.

In den nebligen Bergen des westlichen Tansania, in dem kleinen Ort Ngara, steht das Gebäude von Radio Kwizera, umgeben von großen Satellitenschüsseln. Und inmitten von Gemüsegärten, die der Direktor Angelo Munduni Dema voller Stolz zeigt: „Wir versuchen, uns selbst zu versorgen. Niemand hat viel Geld, und die Versorgungslage ist schlecht.“

Tansania | Radio Kwizera

Jesuitenpater Angelo ist seit 2019 der Direktor des Senders

“Unser Motto ist: ‚Deine Stimme ist unsere Stimme‘“

Angelo Munduni Dema ist Jesuit; er kennt Radio Kwizera seit seiner Studienzeit und ist seit 2019 der Direktor des Senders. Der Ugander hat schon in vielen Ländern Afrikas gearbeitet. „Dies hier ist eine Konfliktregion mit vielen Schutzsuchenden aus dem Kongo und Burundi, die nach Tansania fliehen“, erklärt er. „Die Menschen haben sich lange vergessen und ignoriert gefühlt. Was Informationen anging, herrschte in dieser Gegend eine große Leere. Die Leute sind froh, dass wir ihre Sicht und ihre Schwierigkeiten publik machen. Unser Motto ist: ‚Your Voice is our Voice‘, und das nehmen wir ernst. Durch die Unterstützung der DW Akademie sind wir in der Lage, unsere Arbeit zu professionalisieren.“

Die DW Akademie unterstützt den Sender seit 2020 in seiner Berichterstattung über Flucht und Migration. Im Mittelpunkt stehen Programme, die Geflüchteten besseren Zugang zu Informationen geben, wie auch ein friedliches Zusammenleben zwischen Geflüchteten und der Aufnahmegesellschaft fördern. In Trainings lernen Redakteure und Redakteurinnen die Prinzipien der konflikt- und gendersensiblen Berichterstattung, Faktenchecks und professionelle Recherche. Zuletzt fand ein Workshop über „Trauma & Mental Health Reporting“ statt, auf ausdrücklichen Wunsch der Redaktion.

Krieg und Krisen sind große Themen in dieser Gegend: Die Westgrenze Tansanias läuft an vielen Konfliktherden entlang. Sowohl aus dem nahegelegenen Burundi wie auch aus der Demokratischen Republik Kongo sind rund 250.000 Menschen ins Nachbarland geflohen. Die Flüchtlingspolitik Tansanias ist restriktiv; Geflüchtete leben in Camps, die sie nur in Ausnahmefällen verlassen dürfen. Vor allem kongolesische Asylsuchende finden sich hier – manche leben schon seit Jahrzehnten im Lager; jedes Mal, wenn der Krieg im östlichen Kongo aufflammt, kommen neue hinzu. So wie jetzt.

In der kongolesischen Provinz Nord-Kivu leben bereits 2,5 Millionen intern Vertriebene; in jüngster Zeit sind laut UNHCR weitere 800.000 hinzugekommen. Rebellen und Regierung liefern sich seit Anfang des Jahres heftige Gefechte, die Zivilisten massenhaft in die Flucht treiben. Überschwemmungen und der Ausbruch von Cholera verschärfen die ohnehin schwierige Lage. Viele Menschen versuchen, sich nach Tansania in Sicherheit zu bringen.

Rund neun Millionen Menschen können den Sender empfangen

Die Redaktion von Radio Kwizera weiß, dass sie jetzt gefordert ist. Das Sendegebiet des Radios umfasst rund 13.000 Quadratkilometer – das gesamte westliche Tansania, wo auch die großen Geflüchtetenlager Nyarugusu und Nduta liegen. Das Signal reicht sogar bis nach Burundi und die Demokratische Republik Kongo. Rund neun Millionen Menschen können den Sender empfangen. In einer Krisensituation wie Vertreibung ist es lebenswichtig, verlässliche Informationen zu haben.

„Unsere Korrespondentinnen und Korrespondenten aus dem Grenzgebiet machen Interviews mit Hilfsorganisationen, Flüchtenden und Fachleuten vor Ort. Die Gefahr eines größeren Krieges ist akut“, sagt Angelo Munduni Dema. „Die Lage ist sehr angespannt. Wir versuchen, den Menschen Orientierung zu geben.“

So nahm Radio Kwizera auch seinen Anfang, denn Ngara ist nur wenige Kilometer von Ruanda entfernt: 1994, während des Genozids, kamen Hunderttausende Schutzsuchende über einen nahegelegenen Grenzübergang. Rapide entstanden riesige Flüchtlingslager; deswegen eröffnete der Jesuit Refugee Service (JRS) ein Radio mit dem Namen ‚Hoffnung‘ – Kwizera. Die Camps von damals gibt es nicht mehr, stattdessen aber große Lager an der Grenze zum Kongo. Und Radio Kwizera ist für viele Menschen dort die wichtigste Informationsquelle.

Fortbildung zu Trauma und psychischer Gesundheit

„Bedingt durch kriegerische Konflikte und auch durch Armut gibt hier es viele Probleme mit psychischen Krankheiten“, sagt der Direktor. „Unsere Journalisten müssen dafür ausgebildet sein, damit sie adäquat mit Themen wie Trauma umgehen können.“ In einem zweiwöchigen Workshop der DW Akademie lernten die Redaktionsmitglieder unter anderem spezielle Interviewtechniken für den Umgang mit traumatisierten Menschen. Der kenianische Trainer organisierte sogar eine Live-Schalte mit einem renommierten Psychiater, damit die Journalistinnen und Journalisten Fragen stellen konnten.

Tansania | Radio Kwizera

Kanyesha Faustine, Redakteurin bei Radio Kwizera

„Diese Fortbildung über Trauma und psychische Gesundheit war sehr wichtig für uns. Normalerweise betrachten die Leute psychische Störungen mit Misstrauen. Entweder lacht man die betroffenen Menschen aus, oder es heißt, jemand ist verhext, was eine soziale Ächtung nach sich zieht“, sagt Redakteurin Kanyesha Faustine. Die 29-Jährige ist vor kurzem Mutter geworden und arbeitet weiterhin Vollzeit. „Jetzt sind wir selbst besser informiert. Ich denke, die Menschen müssen mehr über Trauma und psychische Krisen erfahren, um Verständnis dafür zu entwickeln und auch professionelle Hilfe zu suchen.“

Radio Kwizera arbeitet lösungsorientiert

Nicht nur Krieg und Vertreibung können Traumata hervorrufen – auch Armut wirkt sich sehr negativ auf die psychische Gesundheit aus. Das Team von Radio Kwizera bereitet eine Sendereihe zu diesem Thema vor. Redakteur Elias Zephania spricht mit Clemensia Gwassa, die mit ihrer Tochter und Enkelkindern in einer abgelegenen Hütte lebt.

Tansania | Radio Kwizera

Elias Zephania im Interview mit Clemensia Gwassa

Die Tochter der alten Frau hat schwere psychische Probleme. „Sie kann nicht arbeiten oder sich um die Kinder kümmern“, erzählt Clemensia Gwassa. „Wir haben nicht genug zu essen.“ In der Sendung erfahren die Hörer und Hörerinnen auch viel Nützliches über Hilfsangebote – Radio Kwizera arbeitet lösungsorientiert.

Tagtäglich erhält die Redaktion Hunderte von Textnachrichten von Menschen aus der gesamten Region, auch aus den Flüchtlingscamps. Diese werden elektronisch ausgewertet, um zu sehen, welche Themen sich häufen. Wenn in einem Geflüchtetenlager auf ein akutes Problem hingewiesen wird, beispielsweise Wassermangel, alarmiert das Radio sofort die zuständigen Hilfsorganisationen.

Teil des DW Akademie-Projektes sind die Hörergruppen, genannt "Salaam Clubs", die überall in der Region verteilt sind. Es gibt insgesamt 41 Clubs mit rund 650 Mitgliedern, einfache Menschen aus den umliegenden Dörfern. Sie treffen sich monatlich und besprechen die Themen, die sie im Radio gehört haben; Radio Kwizera produziert eine zweistündige wöchentliche Sendung nur für die Salaam Clubs – Mitglieder können anrufen und live auf Sendung gehen.

„Früher habe ich Flüchtlinge einfach gehasst“

Tansania | Radio Kwizera

Die Hörerclubs treffen sich monatlich, um zu besprechen, was sie im Radio gehört haben

Alle diese Clubs haben auch landwirtschaftliche Projekte; beispielsweise erhalten sie von Spendengeldern des Radios Setzlinge, um Bäume zu pflanzen. Das heißt, die Hörerclubs tragen auch zur Ernährungssicherung ihrer Mitglieder bei. In dieser armen Gegend ist so etwas von zentraler Bedeutung. Die Ressourcen sind knapp; auch deswegen sind Flucht und das Zusammenleben mit Geflüchteten vieldiskutierte Themen.

Bei einem Meeting erhebt sich ein alter Mann und sagt in die Runde: „Früher habe ich Flüchtlinge  gehasst. Aber nachdem ich Sendungen von Radio Kwizera gehört habe, merkte ich, dass sie einfach Menschen in Not sind, die sich in Sicherheit bringen. Es ist mir klargeworden, dass wir Brüder sind.“ Dieser Hörerclub spendet nun einen Teil seiner Ernte an Geflüchtete.

„Journalismus bedeutet für mich, dass ich etwas für meine Community tun kann“

Radio Kwizera hat großen Einfluss in der gesamten Region. Eine Studie, die die DW Akademie im westlichen Tansania durchführen ließ, zeigt klar, dass dieses Radio bei weitem der beliebteste Sender ist, und auch der, dem die Menschen am meisten vertrauen.

Tansania | Radio Kwizera

Samuel Samsoni ist der Erste aus seinem Dorf, der Journalist geworden ist

Das liegt vor allem an der Professionalität und dem Engagement seiner Mitarbeitenden, wie zum Beispiel Samuel Samsoni, Redakteur bei Radio Kwizera. Er ist der Erste aus seinem Dorf, der Journalist geworden ist. „Das war immer meine Leidenschaft“, sagt der 24-Jährige. „Journalismus bedeutet für mich, dass ich etwas für meine Community tun kann. Im Radio können wir auf soziale Probleme hinweisen und dazu beitragen, dass Lösungen gefunden werden.“

Dieses Projekt wird unterstützt vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ).

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