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Wenn die Kündigung die Existenz bedroht

Sabrina Kessler New York
2. Dezember 2022

Amerikas Tech-Firmen entlassen Tausende Mitarbeiter. Mit der Kündigung verlieren viele von ihnen das Recht, in den USA zu leben. Vor allem asiatische Visumsinhaber stehen vor dem Nichts.

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Logos von Google, Apple, Facebook und Amazon, m Schatten davor eine Hand mit Smartphone
Logos von Google, Apple, Facebook und AmazonBild: Damien Meyer/AFP/Getty Images

Nach zweieinhalb Jahren ist für Sujatha Krishnaswamy Schluss. "Am Freitag war mein letzter Arbeitstag bei Twitter", schrieb die ehemalige Tech-Mitarbeiterin vor einigen Wochen auf LinkedIn. Sie habe ihre Arbeit und ihr Team geliebt und sei stolz auf ihre Leistung bei Twitter gewesen. "Nur leider wurde diese Liebe nicht von meinem Arbeitgeber erwidert."

Egal ob Meta, Twitter, Cisco oder Lyft: Amerikas Tech-Unternehmen setzen zum Kahlschlag an. Steigende Zinsen und Überkapazitäten führen zu Entlassungswellen. Fast 46.000 US-Tech-Angestellte mussten allein im November ihren Schreibtisch räumen, zeigen Grafiken des Daten-Anbieters layoffs.fyi.

Fachkräftemangel 'Made in USA'

Besonders hart treffen die Kündigungen ausländische Mitarbeiter. Die meisten von ihnen besitzen ein sogenanntes H-1B Visum, eine Arbeitsgenehmigung, die in 70 Prozent aller Fälle an Angestellte der Tech-Industrie geht. Diese Nicht-Einwanderungs-Visa können zwar von einem Arbeitgeber zum nächsten transferiert werden, allerdings haben Inhaber dafür nur 60 Tage Zeit. Wer innerhalb dieser zwei Monate keinen neuen Job an Land zieht, muss die USA verlassen.

"Diese Entlassungen sind etwas, was ich noch nie erlebt habe", sagt Mahir Nasir, ein New Yorker Anwalt für Arbeitsrecht, der seit 2010 Tausende Klienten in Arbeitsfragen beraten hat. In den vergangenen Wochen hätten sich viele Betroffene bei ihm gemeldet, auch Mitarbeiter von Meta, Twitter und Amazon. Auffällig dabei: "Besonders viele von ihnen stammen aus Indien und anderen Ländern Asiens."

Dass der Anteil an asiatischen Mitarbeitern so hoch ist, liegt auch am Fachkräftemangel in den USA. Denn nur dann, wenn Unternehmen nachweislich belegen können, dass sie die ausgeschriebenen Stellen nicht an eine amerikanische Fachkraft vergeben können, werden H-1B Visa ausgegeben.

Zwei Männer mit Rucksäcken stehen in Kalifornien vor dem Logo des Meta Campus
Arbeiten für ein Big-Tech-Unternehmen: Für viele ist der Traum nun geplatztBild: Terry Schmitt/UPI Photo/Newscom/picture alliance

Tiefsitzender Schock

Auch Sujatha Krishnaswamy konnte sich jahrelang auf den Hunger amerikanischer Tech-Firmen verlassen. Nach mehreren Jahren beim Computer-Hersteller Dell und einem Zwischenstopp bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC, stieg sie im Mai 2020 bei Twitter ein.

"Tag und Nacht habe ich daran gearbeitet, wichtige Datenschutzfunktionen für die Nutzer zu entwickeln", schreibt Krishnaswamy, die als Technical Program Manager für den Bereich Security & Privacy zuständig war. Selbst als sie hochschwanger war, habe sie sich "mit Leib und Seele dafür eingesetzt, dass Twitter seine Sicherheits- und Datenschutzversprechen" einhalte. 

Die Kündigung Anfang November traf sie deshalb vollkommen unvorbereitet. "Ich habe erstmal zwei Tage gebraucht, um zu verarbeiten, was da gerade passiert ist", schreibt die Datenexperten. Zu behaupten, sie sei "am Boden zerstört", wäre eine Untertreibung gewesen. "Mein H-1B-Visum verschlimmert meine Situation."

Eine Zukunftsplanung in Trümmern

Bis zu sechs Jahre lang können Inhaber dieses Visums ­ von denen jedes Jahr rund 85.000 ausgegeben werden ­ normalerweise in den USA leben und arbeiten. Viele bewerben sich in dieser Zeit über ihren Arbeitgeber auf eine Green Card, um darüber hinaus in den USA bleiben zu dürfen. Wer nun also entlassen wird, verliert nicht nur seine Arbeitsstelle, sondern auch die Chance auf den begehrten Aufenthaltstitel. Selbst ein bereits laufender Green-Card-Prozess wird beendet, sofern kein neuer Visums-Sponsor in Aussicht ist. 

Das H-1B-Visum ermöglicht aber nicht nur die Anwartschaft auf eine Green Card, die ansonsten unerreichbar scheint. Sie erwirbt auch das Recht, Eigentum in den USA zu kaufen - und sich so ein Leben fernab der Heimat aufzubauen. "Viele H-1B-Beschäftigte halten sich seit Jahren in den Vereinigten Staaten auf. Infolgedessen haben viele von ihnen längst Wurzeln geschlagen", sagt Julia Gelatt, Senior Policy Analyst beim Migration Policy Institute.

Aus dem sozialen Umfeld gerissen

Freundschaften, gesellschaftliches Engagement und Kinder, die in den USA zur Schule gehen: all das werde durch den Verlust des Visums gefährdet. "Die Aussicht, innerhalb von 60 Tagen einen Job finden oder das Land verlassen zu müssen, ist sehr belastend", sagt die Einwanderungsforscherin.

Immerhin: einige Firmen versuchen ihren Ex-Mitarbeitern in dieser Notlage unter die Arme zu greifen, indem sie die 60-Tages-Frist künstlich verlängern. Der Fahrtdienstleister Lyft etwa erklärt sich bereit, Betroffene einige Wochen länger auf der Gehaltsliste stehen zu lassen, ohne sie jedoch tatsächlich zu beschäftigen. Amazon wiederum gibt seinen Mitarbeitern 60 Tage Zeit, um intern einen anderen Job zu finden, bevor der Konzern sie endgültig aus den Büchern streichen wird.

Indien | IIT Indian Institute of Technology
Am indischen Institute of Technology werden sehr viele Tech-Spezialisten ausgebildet, die später weltweit arbeitenBild: Sujit Jaiswal/AFP/Getty Images

Es gibt zwar Möglichkeiten, den Aufenthalt in den USA über die 60 Tage hinaus zu verlängern. Ein Besuchsvisum etwa, mit dem sich ausländische Unternehmer und Privatleute bis zu 180 Tagen in Amerika aufhalten dürfen. In dieser Zeit dürften entlassene Mitarbeiter zwar nicht arbeiten, aber immerhin vor Ort nach neuen Jobs suchen. Allerdings geht die Wahrscheinlichkeit, ein solches Visum zeitnah zu erhalten, vor allem für Inder gegen null.

Stille Freude in Indien

Schuld daran ist der Bearbeitungsrückstau in indischen Konsulaten. Mehr als 900 Tage Wartezeit wird hier für manche Visa aufgerufen. Wer etwa in New Delhi ein sogenanntes B1/B2-Visum beantragen möchte, muss 984 Tage auf seinen Visumstermin warten. Mit anderen Worten: wer sich aktuell auf ein US-Besuchsvisum in der indischen Hauptstadt bewirbt, wird erst im August 2025 einen Termin erhalten. 

In Indien wiederum freut man sich durchaus über die Entwicklungen in den USA. Ansässige Unternehmen hoffen hier, von der Rückkehr ihrer Landsleute zu profitieren. "Angesichts der vielen Entlassungen sollten wir alle Inder daran erinnern, in ihre Heimat zurückzukehren", schreibt etwa Harsh Jain, CEO und Mitbegründer von Dream Sports, einem Software-Unternehmen im Sport- und Gaming-Bereich. Sie alle könnten dabei helfen, "das enorme Wachstumspotential Indiens im nächsten Jahrzehnt auszuschöpfen".