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Entlassungswelle bei indischen Tech-Giganten

Murali Krishnan
27. November 2022

Große Technologieunternehmen in Indien haben umfangreiche Entlassungen angekündigt. Tausende von Arbeitnehmern blicken in eine ungewisse Zukunft. Viele fürchten, die Entlassungswelle könnte nur der Anfang sein.

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Eine Inderin loggt sich beim indischen Twitter-Klon "Tooter" ein. Indien ist für globale Tech-Firmen ein Riesenmarkt, spürt aber auch Krisen der Branche mit als erstes.Bild: Manjunath Kiran/AFP/Getty Images

Neha Sethia ist leitende Angestellte bei einem globalen Technologieunternehmen in Indiens Finanzmetropole Mumbai. Vor einem Monat sah sie bereits Unheil aufziehen, als mehreren ihrer Freunde, die bei einem anderen Unternehmen der Tech-Branche arbeiteten, gekündigt wurde.

"Ich wusste, dass E-Commerce während der Corona-Pandemie geradezu explodiert war. Doch jetzt stehen die Unternehmen vor einer Krise, aber ich habe nicht damit gerechnet, dass ich so bald an der Reihe sein würde", erzählt Sethia, der ebenfalls von ihrer Firma gekündigt wurde, der Deutschen Welle. 

Pragya Kapur, die als Angestellte auf mittlerer Ebene in Neu Delhi arbeitet, berichtet von dem Moment, als ihre Vorgesetzten ihr mitteilten, dass sie aufgrund der globalen Wirtschaftskrise Stellen abbauen würden. "Mir wurde gesagt, dass ich nicht länger gebraucht würde. Mit meinen Leistungen hatte das nichts zu tun. Ich erhielt eine Abfindung und gehörte ab sofort nicht mehr zum Unternehmen." 

Sethia und Kapur sind nur zwei von tausenden jungen Indern, denen in den vergangenen Monaten von großen Technologieunternehmen gekündigt wurde. Bislang galten diese Unternehmen als sehr ausgabefreudig, doch nun greifen sie zu massiven Maßnahmen zur Kostensenkung.

Entlassungen auch bei großen Marken

Technologieunternehmen im Bildungsbereich wie Byju's und Unacademy haben ebenso wie weitere Firmen zahlreiche Mitarbeiter entlassen. Bei Byju's, einem der am höchsten bewerteten Start-ups Indiens, mussten dieses Jahr 2500 Mitarbeiter gehen. Mindestens 44 weitere Start-ups in Indien sind Brancheninsidern zufolge von massiven Entlassungen betroffen. Internationale Marken wie Apple, Meta und Amazon kürzen ebenfalls Stellen oder besetzen diese nicht mehr neu.

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Entlassungen gibt es auch bei zahlreichen bekannten MarkenBild: Manjunath Kiran/AFP/Getty Images

"Als die globale Tech-Branche im August begann, weniger Mitarbeiter einzustellen, war klar, dass der Sturm auch Indien treffen würde", erklärt ein leitender Angestellter eines Jobportals, der anonym bleiben will, der Deutschen Welle. "Unter anderem führte die rasant steigende Inflation in den USA dazu, dass Markenunternehmen weniger Geld für Werbung ausgaben und daraufhin Mitarbeiter entlassen wurden."

Berichten zufolge hat Twitter etwa 50 Prozent seiner Belegschaft gekündigt, nachdem Elon Musk die Leitung des Social-Media-Unternehmens übernahm. Kurz darauf folgte die Mitteilung, dass der Facebook-Konzern Meta Platforms plane, etwa 11.000 Mitarbeiter zu entlassen. Davon betroffen waren auch Mitarbeiter in Indien. Von weiteren Unternehmen wie Microsoft, Salesforce und Oracle wird ebenfalls berichtet, sie hätten inmitten der weltweit wachsenden wirtschaftlichen Turbulenzen, die durch den Ukraine-Krieg und die Folgen der Corona-Pandemie noch verschärft werden, Mitarbeiter entlassen.

Die Misere der Weltwirtschaft

Bei den jüngsten Entlassungen handelt es sich um die größte Kündigungswelle in der Geschichte dieser Unternehmen. Sie hat eine Diskussion darüber ausgelöst, wie lange diese düsteren Zeiten für die Tech-Giganten, die Indien als wichtigen Wachstumsmotor betrachten, wohl dauern werden.

Es besteht die Sorge, dass die Technologiebranche zusammenbrechen könnte, weil viele ihrer Geschäftsmodelle nicht belastbar sind. Die Bewertungen vieler Start-ups sind dadurch unter Druck geraten; viele Unternehmen haben Entlassungen angekündigt, während sie ihr Geschäft umstrukturieren.

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Für Tech-Giganten und ihre Mitarbeiter scheinen düstere Zeiten angebrochen zu seinBild: Kabir Jhangiani/Pacific Press/picture alliance

"Während der Pandemie sind diese großen Technologieunternehmen übermäßig gewachsen und haben massiv Leute eingestellt. Doch offensichtlich ist es nicht gelaufen wie erwartet", meint Shrijay Sheth, Mitbegründer von LegalWiz.in, einem Unternehmen, das Rechts- und Compliance-Dienstleistungen für Tech-Start-ups in Indien anbietet.

Sheth weist darauf hin, dass Unternehmen jetzt mit steigenden Zinsen zu kämpfen haben, die die Kreditkosten für ihre Geschäftserweiterungen erhöhen. "Der globale wirtschaftliche Abschwung zwingt Unternehmen weltweit, sich an Umstände anzupassen, die einem rasanten Wandel unterworfen sind. Indien spürt die Auswirkungen ebenfalls. Es wird ein oder zwei Wirtschaftsquartale dauern, bis sich die Dinge wieder beruhigen", fügt er hinzu.

Wie steht es um die Arbeitnehmerrechte?

Einige der entlassenen Mitarbeiter erhalten weiterhin Krankenversicherungsschutz, um die schwierigen Zeiten besser zu meistern. Andere werden durch kleinere Maßnahmen wie Karriereberatungen oder bezahlten Urlaub unterstützt. Doch viele Menschen müssen anderweitig sehen, wie sie klarkommen.

Viele Mitarbeiter in der IT-Branche schließen sich nur ungern einer Gewerkschaft an, weil sie Konsequenzen seitens der Geschäftsleitung fürchten. Gewerkschaftsmitglieder werden oft gezwungen, zu kündigen und müssen Nachteile bei der Suche nach einem neuen Job befürchten. Unter diesen Umständen fühlen sich Mitarbeiter häufig isoliert und verängstigt und geben schließlich den Forderungen ihres Unternehmens nach. Vertreter der National Association of Software and Service Companies (NASSCOM), des Interessenverbandes der indischen IT-Branche, wurden von der DW um eine Stellungnahme gebeten, wollten sich jedoch in dieser Angelegenheit nicht äußern.

"Angestellte in Indien, die von großen Technologieunternehmen entlassen werden, haben derzeit keine Möglichkeit, sich zu wehren, denn die meisten Arbeitsverträge geben den Unternehmen das Recht dazu", so Pavan Duggal, Experte für Cybersicherheitsrecht, gegenüber der DW. "Für Tausende entlassene Inder sieht die Situation rechtlich also nicht sehr vielversprechend aus."

Aus dem Englischen adaptiert von Phoenix Hanzo.