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Geschäfte statt Verteidigung

3. März 2011

Sie handeln mit Kühlschränken oder Waschmaschinen und betreiben Hotelanlagen: Ägyptens Generäle zerbrechen sich kaum noch den Kopf über den militärischen Ernstfall. Sie widmen sich lieber ihren Wirtschaftsinteressen.

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Ägyptische Soldaten beim Weltwirtschaftsforum in Sharm el Sheik 2006 (Foto:ap)
Ägyptische Soldaten beim Weltwirtschaftsforum in Sharm el Sheik 2006Bild: AP

Die Armee ist die zentrale Quelle der Macht in Ägypten - in der Politik und in der Wirtschaft. Nach unbestätigten Schätzungen kontrollieren die Unternehmer in Uniform rund ein Drittel der ägyptischen Volkswirtschaft. Und so spielten nicht nur politische, sondern auch wirtschaftliche Motive eine Rolle, als die Armee mit ihren Panzern auf dem Tahrir-Platz in Kairo verhinderte, dass das Land im Chaos versinkt. Denn dort, wo Chaos herrscht, kann man keine guten Geschäfte machen.

Der Nahost-Experte Robert Springborg, Professor an der Hochschule der US-Marine im kalifornischen Monterey, bringt es im Interview mit dem US-Radiosender NPR auf den Punkt: "Das letzte, was das Militär will, ist Instabilität oder Krieg. Stabilität ist den Militärs das Wichtigste überhaupt. Das Militär kann nicht einmal die Rüstungsgüter bedienen, die es besitzt. Es konzentiert sich nicht auf die Kriegsführung - das ägyptische Militär konzentriert sich auf den Konsum."

Vom Kühlschrank bis zum Brutkasten

Und da mischen die Generäle kräftig mit, sagt Politologe Springborg, der sich seit mehr als 20 Jahren mit den Machtstrukturen am Nil beschäftigt und mehrere Jahre in Kairo gelebt und gearbeitet hat: "Da geht es um Auto-Produktion, um Kleidung, um den Bau von Straßen, Autobahnen und Brücken. Es geht um Töpfe und Pfannen, um Küchengeräte." Wenn man in Ägypten ein Küchengerät kaufe, dann sei es ziemlich wahrscheinlich, dass es vom Militär hergestellt wurde, sagt Springborg. Viele Nahrungsmittel würden vom Militär angebaut, weiterverarbeitet und abgepackt, so Springborg: "Es gibt praktisch kaum einen Wirtschaftsbereich, in dem das ägyptische Militär nicht aktiv ist."

Ägyptische Soldaten vor einer Baustelle in Kairo (Foto:ap)
Ägyptische Soldaten vor einer Baustelle in KairoBild: picture-alliance/dpa

Selbst Brutkästen für Frühgeburten werden von Firmen des Militärs hergestellt. Die Aktivitäten von Rüstungsholdings wie der "Arab Organization for Industrialization" seien nahezu unbegrenzt.

Thomas Demmelhuber von der Universität Erlangen-Nürnberg beschäftigt sich seit Jahren intensiv mit den Wirtschafts-Eliten Ägyptens. Er weiß, dass der Einsatz von Wehrpflichtigen, die praktisch zum Nulltarif arbeiten, im Firmen-Imperium des Militärs die Regel ist: "Wir wissen, dass in dieser Wertschöpfungskette Wehrdienstleistende eine zentrale Rolle einnehmen. Wir sehen das zum Beispiel bei großen Infrastrukturprojekten, wie dem Toshka-Projekt." Dort werden mit dem Wasser aus dem Nasser-Stausee auf Wüstenböden Kartoffeln, Trauben und Melonen angebaut, vor allem für den Export nach Europa. Seit vielen Jahren versucht Ägypten so, im Süden des Landes riesige neue Agrar-Nutzflächen zu schaffen.

Strandhotels als Friedensdividende

Touristen am Strand von Sharm el Sheik (Foto:dpa)
Auch die Touristen auf dem Sinai spülen Geld in die Kasse des ägyptischen MilitärsBild: picture alliance/dpa

Startschuss für die unternehmerischen Aktivitäten der Generäle war der Friedensvertrag mit Israel im März 1979, der die Weichen zum Abzug der israelischen Truppen aus dem Sinai stellte. 1982 war es dann soweit: Die Sinai-Halbinsel war wieder unter der Kontrolle Ägyptens und das Militär, dessen Truppenstärke um fast die Hälfte auf rund 500.000 reduziert wurde, suchte nach neuen Herausforderungen. Und die lagen praktisch auf dem Präsentierteller, erinnert sich Springborg.

"Nach dem Friedensvertrag mit Israel stellte sich die Frage: Was machen wir jetzt mit diesem militärischen Sperrgebiet, das riesig ist und in einem der reizvollsten Teile des Landes liegt? Mit einigen der schönsten Korallenriffe der Welt, das buchstäblich um touristische Erschließung bettelte?" Die Antwort lag auf der Hand: Die Armee kam mit privaten Bau-Unternehmern ins Geschäft. Die Generäle erhielten im Austausch gegen Grund und Boden Geschäftsanteile an den neuen Unternehmen. "Und so wurden die Generäle zu Mitbesitzern all dieser Tourismus-Hochburgen an Ägyptens Stränden", erklärt Springborg.

Bis heute weiß niemand genau, wo in Ägypten das Militär überall mitverdient. Die Schätzungen über den Anteil der Armee an der zweitgrößten Volkswirtschaft Afrikas rangieren zwischen 15 und 45 Prozent. Und das hat seine Gründe, meint Andreas Jacobs von der Konrad-Adenauer-Stiftung in Kairo: "Das Militär hält diese Dinge seit vielen Jahren vor der Öffentlichkeit verborgen. Es hat Wirtschaftsunternehmen unter sich aufgebaut und profitiert von politischen Privilegien und vom Zugang zu Informationen und politischen Machtzentren. Das ist der Grund, warum so wenig darüber bekannt ist."

Geschäftsführer Tantawi

Mohammed Hussein Tantawi, Chef des Obersten Militärrats (Foto:dpa)
Mehr Geschäftsmann als Militär? Mohammed Hussein Tantawi, Chef des Obersten MilitärratsBild: picture alliance / dpa

Der Mann, bei dem alle Fäden zusammenlaufen, ist Verteidigungsminister Mohammed Hussein Tantawi, der tonangebende Mann im derzeit regierenden Obersten Militärrat. Für Robert Springborg ist der Feldmarschall so etwas wie der Geschäftsführer von Ägyptens Militär GmbH: "Tantawi verbringt, so berichten Insider, mehr Zeit seines Arbeitstages mit geschäftlichen als mit militärischen Belangen. Tantawis Job ist es, sicherzustellen, dass es Belohnungen gibt für die wichtigen Leute im Offiziers-Corps, um deren Loyalität zu kaufen."

Aus diesem Grund sind sich die Experten einig, dass an der Armee auch künftig kein Weg vorbeiführt - ganz gleich, wie die neue Regierung in Ägypten aussehen wird: Das Militär wird es nicht zulassen, dass seine dominante wirtschaftliche Rolle von irgendjemandem in Frage gestellt wird. Davon ist Elitenforscher Demmelhuber überzeugt:

"Ich denke es ist naiv zu glauben, das Militär könnte ein Partner der Protestbewegung im demokratischen Transformationsprozess sein." Schließlich sei das Militär die zentrale Quelle der Macht in Ägypten, aus der alle Präsidenten seit der Revolution der 'Freien Offiziere' im Jahre 1952 hervorgegangen sind, unterstreicht Demmelhuber. Sein US-Kollege Springborg wird noch deutlicher: "In der jetzigen Situation werden die Militärs ihre Interessen schützen und sicherstellen, dass kein Zivilist jemals so viel Macht erlangt, dass sie gezwungen sind, ihre wirtschaftlichen Aktivitäten offenzulegen." Springborg glaubt, Mohammed El Baradei und die anderen Oppositionellen hätten keine Chance, wirkliche Veränderungen herbeizuführen: "Die Generäle werden eine zivile Kontrolle über die Armee nie zulassen."

Autor: Thomas Kohlmann
Redaktion: Thomas Latschan