1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Zwischenruf einer jungen Christin

Pia Schneider26. August 2014

"Die Kirche ist in meinem Alltag abhanden gekommen" sagt die junge DW-Journalistin Pia Schneider, die derzeit in Polen studiert. Sie fragt: "Was heißt es eigentlich, Christ zu sein und was passiert mit unserer Religion?"

https://p.dw.com/p/1CzMU
Zwischenruf einer jungen Gläubigen
Bild: DW/Pia Schneider

Ein normaler Sonntag in Polen. Ich wohne in einem Studentenwohnheim in Posen und teile mir ein Zimmer mit meiner polnischen Mitbewohnerin Jagoda. „Ich gehe in die Kirche“, sagt sie und putzt ihre Schuhe. Eigentlich muss ich mich auf die Uni vorbereiten, aber ich bin neugierig, wie so ein polnischer Gottesdienst abläuft. „Kann ich mitkommen?“ Jagoda schaut mich verdutzt an. „Seit wann gehst du in die Kirche?“

Jagoda ist nicht erstaunt darüber, dass ich die Kirche nur an Weihnachten besuche. Sie ist eher verwundert, dass ich überhaupt mitkommen will. Ihre Stereotypen, die sie von Deutschen hat, passen nicht wirklich in eine christliche Lebensweise. Es fällt mir schwer, ihr zur widersprechen. Zwei meiner Freundinnen haben schon ein Kind abgetrieben. Aus meiner Schulklasse waren fast alle Elternpaare geschieden, zum Teil wiederverheiratet. Meine Eltern, die letztes Jahr ihre Silberhochzeit gefeiert haben, zählten zur Minderheit. Eine Freundin von mir studiert Religion auf Lehramt, nicht, weil sie sich so sehr dafür interessiert, eher weil es auf dieses Fach keinen Numerus Clausus gab. Von meinem unchristlichen Verhalten ganz zu schweigen.

Polen - Außenansicht einer Kirche in Poznan
Die Kirche Fara Poznanska im polnischen PoznanBild: DW/P. Schneider

Ich erzähle Jagoda, dass ich nach meiner Kommunion Messdienerin war. Das überrascht sie, denn in Polen darf nur das männliche Geschlecht dem Pfarrer dienen. Allerdings habe ich es in meiner Messdiener-Karriere nicht weit gebracht. Als ich mit 14 meinen ersten Freund hatte und anfing, mit meinen Freundinnen durch die Stadt zu ziehen, war der wöchentliche Kirchgang eher lästig. Ein Hobby, an dem man mit der Zeit die Lust verliert, wie der Klavierunterricht, zu dem man sich jede Woche mehr oder weniger quält, bis man es irgendwann aufgibt.

Messe in Polen

Der Gottesdienst in Polen verläuft genau wie eine Messe in Deutschland. Man steht, sitzt und kniet im Wechsel. Gemeinsam wird das Vater Unser gesprochen, man holt sich die Hostie ab, wünscht sich einander den Frieden. Es gibt keine special effects, nichts Modernes, das mir eine Erklärung für die vielen jungen Leute hier geben könnte. Die Lieder, die gesungen werden, kennen alle auswendig, ein Gebetbuch hat niemand vor sich liegen.

Jagoda erkundigt sich für mich, ob es in Poznań einen deutschsprachigen Pfarrer gibt. Tatsächlich findet sie jemanden, bei dem ich die Beichte in meiner Muttersprache ablegen könnte. Aus Höflichkeit bedanke ich mich für ihre Suche. Aber beichten? Ich habe nur ein einziges Mal im Leben gebeichtet, das war vor meiner Kommunion, als ich neun Jahre alt war. Das behalte ich jedoch lieber für mich, denn Jagoda geht mindestens ein Mal im Monat.

Polen - Außenansicht einer Kirche in Poznan
Die Kirche des Seraphischen Hl. Franziskus im polnischen PoznanBild: DW/P. Schneider

Traditionsverlust

Das ist mir dann doch etwas zu viel, aber in die Kirche begleite ich sie jetzt öfters. Die Messen sind immer gut besucht, egal zu welcher Tageszeit. Jagoda möchte wissen, warum ich in Deutschland nicht in die Kirche gehe. Ehrlich gesagt, weiß ich es selbst nicht, ich denke einfach nicht daran. Und wenn ich es mir einmal vornehme, kommt doch wieder etwas dazwischen. Wahrscheinlich ist auch das nur eine Ausrede. In meinem Freundeskreis scheint der Kirchgang jedenfalls out zu sein. Eigentlich schade, denn dadurch geht ein Stück Kultur verloren.

Das habe ich vor allem an Ostern dieses Jahr gespürt, als ich die Feiertage bei Jagodas Familie verbrachte. Die ganze Familie zusammen, es wurde gegessen, getrunken, gelacht. Endlich mal wieder richtig Ostern zu feiern, mit einer Messe, Gebeten, Liedern, in einer Gemeinschaft zu sein, die die gleichen Werte teilt wie ich. Im vergangenen Jahr um diese Zeit bin ich in Japan gewesen, davor in den USA. Die Ostertage dort waren wie jeder andere, die Geschäfte geöffnet, die Stadt voller Menschen. Wahrscheinlich wird es in Deutschland auch darauf hinauslaufen, denke ich mir.

Aber woran liegt das? An den Kirchensteuern? Das kann ich nicht beurteilen, denn als Studentin muss ich mich darum glücklicherweise noch nicht kümmern. Jedenfalls gehe ich nicht öfter, weil ich sie nicht bezahle. Meine muslimischen Freunde gehen regelmäßig in die Moschee, meine buddhistischen in den Tempel. Und das ist auch gut so, finde ich, denn die Kulturen-Vielfalt, die wir auf der Welt haben, macht die Erde doch erst so interessant und einzigartig. Sie jedenfalls machen etwas dafür, dass ihre Religionen erhalten bleiben.

Junge Frau betet
Für viele junge Leute in Polen gehört der Kirchgang zum Alltag.Bild: Fotolia/milkovasa

Für einen Großteil der Christen in Polen gehört der Kirchgang auch zum Leben dazu. In Deutschland scheint dieses Gefühl mehr und mehr zu verschwinden. Wir schlafen lieber aus oder hetzen von einem Termin zum nächsten, ohne uns einen Moment der Ruhe zu gönnen, den man in der Kirche doch bekommt. Und irgendwie fürchte ich mich ein wenig, dass meine Urenkel oder sogar schon meine Enkelkinder gar keine Kirche mehr haben werden, in die sie noch - wenn auch nur an Weihnachten - gehen können. Da kann man nur hoffen, dass in Polen für uns mit gebetet wird.