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Gemeinsames Lexikon christlicher und islamischer Theologen

Stefan Dege31. Oktober 2013

Das gab es noch nie: Christliche und muslimische Wissenschaftler haben ein gemeinsames Nachschlagewerk über ihre Religionen geschrieben. Das "Lexikon des Dialogs" könnte weltweit Schule machen.

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Image #: 13543334 Egyptian protesters holds a Christian cross and the Koran, Islam's holy book, while others shout slogans at Cairo's Tahrir Square on March 11, 2011 as hundreds of Egyptians demonstrated against sectarianism, following religious clashes that left at least 13 people dead. UPI/Mohammed Hosam /LANDOV
Bild: picture-alliance/landov

Was haben das "Jüngste Gericht" und der "Der Jüngste Tag" gemeinsam? Warum stehen Begriffe wie Kreuzzüge, Islamismus oder Dschihad zwischen Muslimen und Christen? "Wir haben einfach keine gemeinsame Sprache", sagt der christliche Religionsphilosoph Richard Heinzmann. Selbst ähnlich klingende Worte würden von beiden Religionsgruppen unterschiedlich verwendet. "Da helfen auch die besten Übersetzer nicht!"

Es war ein Schlüsselerlebnis vor acht Jahren, das Heinzmann zu dem Lexikon-Projekt bewog. Bei einem Symposium in Istanbul wollten sich christliche und muslimische Theologen über "Menschenwürde" unterhalten, doch brachten sie damit vor allem die türkisch-deutschen Übersetzer ins Schwitzen. Missverständnisse folgten. Was definitiv fehlte, war ein Wörterbuch für die Grundbegriffe der jeweiligen Religion.

Muslime und Christen sollen sich verstehen lernen

So wurde aus der Not eine Idee geboren. Nicht zufällig ist Heinzmann Verwalter des geistigen Nachlasses von Eugen Biser, einem katholischen Religionsphilosophen. Dessen Stiftung hat sich dem "Dialog aus christlichem Ursprung" verschrieben. Nach sieben Jahren des Ringens um Begriffe und Bedeutungen in etlichen Redaktionssitzungen präsentierte die Eugen-Biser-Stiftung jetzt in München ihr "Lexikon des Dialogs".

Erschienen ist zunächst eine deutsche Fassung. In wenigen Wochen soll die türkische Version folgen. "Wir haben dieses Lexikon gemacht", sagt Heinzmann der Deutschen Welle, "weil wir in Deutschland vier Millionen Muslime haben, davon 3 Millionen aus der Türkei." Also hätten sich die Initiatoren gesagt: "Wenn Integration gelingen soll, wenn das Zusammenleben dieser beiden Religionsgruppen gelingen soll, dann müssen sie sich gegenseitig verstehen können."

Ein Minarett und zwei Kreuze in Beirut (Foto: AP Photo/Petros Karadjias)
Auf der Suche nach einer gemeinsamen Sprache: Islam und ChristentumBild: AP

Was heißt "Seele" auf Türkisch? Wie macht man einem Muslim klar, was ein christliches Sakrament ist? Und: Darf man "Allah" eigentlich übersetzen? Mit solchen Problemen mussten sich die rund 50 türkischen und 25 deutschen Autoren herumschlagen. Herausgekommen ist ein zweibändiges Kompendium. Auf rund 850 Seiten werden 660 Stichworte abgehandelt, von "A" wie "Abendmahl" bis "Z" wie "Zorn Gottes".

Sprachliche Neuschöpfungen mussten her

Zu vielen Begriffen gibt es je eine christliche und muslimische Erläuterung, die im Lexikon nebeneinander stehen. Im Laufe der Arbeit habe sich gezeigt, berichtet Heinzmann, dass sich in der religiösen Gedankenwelt des Gegenübers oder auch in dessen Muttersprache keine angemessene Entsprechung finden lässt. Also mussten sprachliche Neuschöpfungen her.

Das Lexikon wendet sich nicht nur an Fachleute. Auch Oberstufenschüler, Lehrer, Erwachsenenbildner oder Entscheider in Politik und Wirtschaft sollen damit solide Informationen auf wissenschaftlicher Basis an die Hand bekommen, um das bisher Fremde besser verstehen zu können.

Hauptherausgeber Heinzmann ist selbst überrascht, welche Erkenntnisse er bei der jahrelangen Arbeit an dem Nachschlagewerk gewonnen hat: Zum Beispiel, dass der vielfach als Schlagwort kursierende "Dschihad" nicht einfach mit dem von Päpsten in der Kreuzzugszeit geprägten Kampfbegriff "Heiliger Krieg" gleichgesetzt werden dürfe. "Dschihad meint primär Askese, die Selbstherrschung des einzelnen Muslim", so Heinzmann.

Zentralrat der Muslime gratuliert

Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrates der Muslime in Deutschland (Foto: dpa)
Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralsrats der Muslime in DeutschlandBild: picture-alliance/dpa

Beifall erregt das Lexikon-Projekt schon jetzt in muslimischen Kreisen. "Viele meinen, etwas über den Islam zu wissen", sagt etwa Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in Deutschland, "aber faktisch plappern sie nur nach, was sie hier gehört oder dort gelesen haben." Auf beiden Seiten werde mit Begriffen wie Scharia oder Dschihad "Schindluder getrieben". Deshalb könne er der Eigen-Biser-Stiftung zu ihrer Pionierarbeit nur gratulieren. Mazyek regt an, ein ähnliches Projekt nun auch mit arabischen Wissenschaftlern zu starten.

Für ein "Standardwerk, das den interreligiösen Dialog voranbringen wird", hält Wolf Walther das "Lexikon des Dialogs". Er ist Abteilungsleiter im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Für das 850 Seiten starke, zweibändige Werk sieht er viele Einsatzmöglichkeiten etwa in Schulen, Universitäten oder auch in christlich-muslimischen Gesprächskreisen auf Gemeindeebene.

Viele öffentliche Geldgeber haben sich das Pionierprojekt etwas kosten lassen: die Europäische Union, der Bundestag, das Bundesinnenministerium sowie mehrere Stiftungen. Das zeigt, wie sehr die Politik die Bedeutung des interreligiösen Dialogs für das Gelingen von Integration ernst nimmt. Herausgeber Richard Heinzmann fühlt sich bestätigt: "Wir haben gehandelt aus einer konkreten gesellschaftlichen Situation in Deutschland heraus – die außerordentlich gefährlich werden könnte, wenn es uns nicht gelingt, dass wir uns verständigen."