1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Zukunftscharta

Heiner Kiesel21. November 2014

Die deutsche Entwicklungspolitik soll ganzheitlicher werden. Grundlage soll ein Dokument werden, an dem jeder mitarbeiten konnte. Es könnte ein Problem für Entwicklungsminister Müller werden.

https://p.dw.com/p/1Dr3u
Entwicklungsminister Gerd Müller spricht in Mali mit örtlichen Verantwortlichen der Entwicklungszusammenarbeit (Foto: Hilke Fischer/DW)
Entwicklungsminister Gerd Müller (r.) hat mit der Zukunftscharta ein Prestigeprojekt angeschobenBild: DW

Es ist ein ambitioniertes Projekt, mit dem das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) der deutschen Entwicklungspolitik eine neue Grundlage geben will: Die "Zukunftscharta" mit dem Untertitel "Eine Welt - Unsere Verantwortung", die in diesen Tagen noch einmal breit diskutiert wird. "Wir werden gemeinsam untergehen, oder gemeinsam überleben", erklärt Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) die Bedeutung der Charta. Für den Minister ist sie der Versuch als politischer Gestalter Profil zu gewinnen und in der Öffentlichkeit sichtbarer zu sein. Die Zukunftscharta löst das bisherige, nur drei Jahre alte, entwicklungspolitische Konzept des BMZ ("Chancen schaffen - Zukunft entwickeln") des früheren Amtsinhabers Dirk Niebel (FDP) ab. Das Dokument fordert nicht nur von den politischen Entscheidern, ihr Handeln stärker von der Berücksichtigung der möglichen Auswirkungen auf die ärmeren Länder leiten zu lassen, sondern rückt auch den einzelnen Bürger in den Fokus. "Stellen Sie sich jeden Tag die Frage, wie sich Ihr Handeln auf unsere Welt auswirkt", appelliert Müller im Vorwort.

Frauen arbeiten am Webstühlen in Xieng Khouang (Foto: DW)
Entwicklungs-Anstrengungen sollen an allen Stufen der Fertigungsprozesse angreifenBild: DW/E. Felden

Die Zukunftscharta ist zwischen April und November 2014 in einem Dialog-Prozess erarbeitet worden, bei dem möglichst viele Akteure aus der staatlichen und nichtstaatlichen Sphäre mitarbeiten sollten. "Mich hat es sehr gefreut zu sehen, wie viele Frauen und Männer, jüngere und ältere, aus allen Bereichen der Zivilgesellschaft sich an der Formulierung der Zukunftscharta beteiligt haben," sagte Entwicklungsminister Müller unlängst anlässlich einer Rede über die Aufgaben der deutschen Entwicklungspolitik bei der CSU-nahen Hanns-Seidel Stiftung. Ziele für acht Handlungsfelder wurden erarbeitet. Darunter sind Menschenwürde, Umweltschutz, Friedenssicherung, die Chancen moderner Technologien und der Schutz kultureller und religiöser Vielfalt.

Deutscher Einsatz für eine bessere Welt

Extreme Armut und Hunger sollen bis zum Jahr 2030 beseitigt werden, auch ein Ende von Aids bis zu diesem Zeitpunkt wird in Aussicht gestellt, wenn alle Akteure zielgerichtet zusammen arbeiten. Es ist ein globalgesellschaftliches Unternehmen, dss in Müllers Ministerium angegangen werden soll: "Die deutsche Entwicklungspolitik setzt sich insgesamt für soziale Gerechtigkeit […] ein", so beginnt ein Passus des 66-Seiten-Werkes. In der Zukunftscharta werden Initiativen zur Bewältigung der globalen Flüchtlingsströme angeregt - bis hin zu einer "entwicklungsfreundlichen und menschenwürdigen" Migrationspolitik in Europa. In Deutschland sollen die gesetzlichen und finanziellen Rahmenbedingungen so gestaltet werden, dass vorwiegend Produkte aus ökologischer Wirtschaft und fairem Handel konsumiert werden. Bund, Länder und Gemeinden sollen bei ihren eigenen Beschaffungsvorhaben vorbildhaft vorangehen, wird in der Zukunftscharta gefordert. Nach Darstellung des Entwicklungsministeriums ist das vorliegende Papier eine wichtige Grundlage für die internationalen Verhandlungen zur Post-2015-Agenda und den G-7-Vorsitz Deutschlands im nächsten Jahr.

Großer Anspruch des Entwicklungsministeriums

Es haben viele mitgearbeitet und die Hilfe der vielen Akteure war wahrscheinlich notwendig, denn die Zukunftscharta erstreckt sich sichtbar über die herkömmlichen Bereiche der Entwicklungspolitik hinaus. Für die Erreichung der Ziele fordert Müller die entschiedene Mitarbeit seiner Kabinettskollegen ein. "Politik für ein menschenwürdiges Leben erfordert die Einbeziehung aller Politikfelder, insbesondere der Finanz-, Wirtschafts-, Handels-, Landwirtschafts-, Bildungs-, Gesundheits-, und Umweltpolitik", heißt es in der Charta.

Bundeskabinett im Gruppenbild bei einer Klausurtagung, im Zentrum Bundeskanzlerin Angela Merkel (Foto: AP Photo/Michael Sohn)
Alle Minister des Bundeskabinetts sollen sich für die Entwicklungpolitik einsetzenBild: picture-alliance/AP Photo

"Das geht klar über den klassischen Zuschnitt des Entwicklungsressorts hinaus", beobachtet Jens Martens, Leiter des Europa-Büros des Global Policy Forums (GPF). Seine Nichtregierungsorganisation hat sich ebenfalls an der Ausarbeitung der Charta beteiligt. Es zeige sich in dem Dokument "guter Wille", so der Entwicklungs-Aktivist, aber es werde nicht klar, wie die Umsetzung der Vorschläge bezahlt werde und wie die anderen Ministerien ins Boot geholt würden. "Das sind die beiden entscheidenden Kritikpunkte", sagt Martens. Er sieht auch wenig Bereitschaft in den übrigen Ministerien, sich der Charta des vergleichsweise leichtgewichtigen Entwicklungsministeriums unterzuordnen. "Das Dokument könnte seinen Anspruch nur erfüllen, wenn es eine Zukunftscharta der gesamten Bundesregierung wäre!"

Auch bei anderen Entwicklungs-Organisationen fällt das Urteil über die Zukunftscharta eher verhalten aus. "Da könnte man tatsächlich von einem wohlfeilen Papier sprechen", sagt Marwin Meier, Gesundheitsexperte bei World Vision. Sonst werde bei national und international verbindlichen Papieren immer um jedes Komma gerungen, aber hier sei alles erstaunlich einfach abgelaufen, sagt er zur Entstehung. Das zeige auch, wie ernst die Charta genommen werde. "Der großangelegte Dialog ist bestimmt nützlich, um die deutsche Gesellschaft für die Probleme zu sensibilisieren, aber für die internationalen Abstimmungsprozesse kommt das zu spät." Der politische Nutzen der Zukunftscharta erschließe sich ihm nicht wirklich, urteilt Meier kritisch.