1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Zoellick: "Die EU ist noch nicht über den Berg"

Michael Knigge / rbr4. Februar 2013

Die Brisanz der Schuldenkrise habe nachgelassen, doch die EU stehe vor weiteren Herausforderungen, so Ex-Weltbank-Chef Robert Zoellick. Im DW-Interview erläutert er außerdem, warum die Mali-Krise absehbar war.

https://p.dw.com/p/17Xs6
Ex-Weltbank-Präsident Robert Zoellick Foto Ulises Ruiz Basurto (EPA)
Bild: picture-alliance/dpa

DW: Die Euro-Schuldenkrise ist seit Tagen nicht mehr das Dauerthema in den Medien. Ist das ein Signal dafür, dass Europa nun endlich die Krise gemeistert hat und über den Berg ist?

Robert Zoellick: Die gute Nachricht ist, dass sich die Lage etwas stabilisiert hat. Bestes Beispiel: die niedrigen Zinssätze in einigen südeuropäischen Ländern. Aber ich stimme hier Mario Draghi zu, dem Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), der vor Nachlässigkeit warnt. Auch deutsche Politiker warnen davor.

Die EZB hat im vergangenen Jahr, insbesondere im Sommer, außergewöhnliche Maßnahmen getroffen. Dadurch hat der Druck nachgelassen - Zeit wurde gewonnen. Aber die grundlegenden Themen wie Haushalts- und Strukturreformen müssen erst noch angepackt werden. In diesem Jahr werden wir sehen, ob die neue italienische Regierung die Reformen fortsetzen und ob die spanische Regierung, die bereits sehr schwierige Schritte unternommen hat, ihren Reformkurs weiterführen wird. Der griechische Ministerpräsident Samaras sagte neulich bei einem Treffen, dass er nur 2013 Zeit habe, um einen Aufschwung im Land zu bewirken, weil er es mit Populisten der Rechten und der Linken zu tun habe. Wir sind also bei Weitem nicht über den Berg.

Für negative Überraschung sorgten vor Kurzem die USA, als bekannt wurde, dass die US-Wirtschaft im vergangenen Quartal leichte Rückgänge verzeichnete. War das ein einmaliger Ausrutscher oder sehen sie dunkle Wolken am Himmel heraufziehen?

Viele Experten sagen ein Wirtschaftswachstum von zwei Prozent voraus - und es ist eigentlich ziemlich ungewöhnlich, dass so viel Einigkeit in dieser Frage herrscht. Ich glaube, dass es im Laufe des Jahres zu Steuererhöhungen kommen wird, die bereits im vergangenen Jahr beschlossen wurden. Das könnte die Wirtschaft etwas ausbremsen. Und sogar die prognostizierten zwei Prozent Wachstum können die US-Wirtschaft nicht dahin bringen, wo sie eigentlich hingehört. Die USA stehen also noch vor einigen Herausforderungen.

Das einzig Neue in der Rede von US-Vizepräsidenten Joe Biden auf der Münchener Sicherheitskonferenz war seine Unterstützung für die Idee eines transatlantischen Freihandelsabkommens. Was halten Sie von dieser Idee?

Ich unterstütze jede Initiative, die sich für offene Märkte und freien Handel ausspricht. Ein transatlantisches Abkommen würde beiden Partnern gerade bei der Umsetzung von Strukturreformen helfen: Sie werden wettbewerbsfähiger, ohne dabei viel Geld ausgeben zu müssen. So ein Abkommen ist also eine gute Sache. Worüber sich die Europäer aber verständlicherweise Sorgen machen, ist die Frage, ob es Präsident Obama wirklich ernst meint.

Als ehemaliger Unterhändler ist mir durchaus klar, dass es einen Unterschied zwischen Worten und Taten gibt. Das Abkommen zwischen der EU und den USA könnte sehr komplex werden - gerade wenn es um die Landwirtschaft sowie Regeln und Normen geht. Es gibt Politiker der EU, die bereit sind, diesen Schritt zu gehen. Aber sie wollen wissen, ob es die USA ernst meinen.

In seiner Rede zu Europa versprach der britische Premier David Cameron seinem Volk, ein Referendum über die EU-Mitgliedschaft durchzuführen. Die Beziehung zwischen Großbritannien und der EU ist  längst abgekühlt. Wäre es nicht für beide Seiten besser, wenn sie sich einfach trennen würden?

Die Beziehungen zwischen Großbritannien und der EU zeichnen sich durch Tiefe und Nachhaltigkeit aus. Die politischen, historischen und wirtschaftlichen Verbindungen, aber auch die Handelsinteressen sind stark. Was Cameron sagen will, ist, dass man mehr Flexibilität innerhalb der EU braucht und dass Großbritannien in der EU bleiben soll. Er argumentiert im Grunde gegen die Skeptiker. Aber, wie er selber sagte, Änderungen sind notwendig, gerade im Dienstleistungssektor, damit wir wettbewerbsfähiger werden. Wir brauchen außerdem Flexibilität bei einigen Vorschriften im Arbeits- und Sozialrecht.

Diese Forderungen sind in einigen Teilen Europas umstritten. Aber ich denke, dass Cameron damit auch die wichtigsten Punkte aufzeigt, die Europa überprüfen muss. Wenn ich deutsche und britische Politiker höre, die über Wirtschaft sprechen, sind viele Gemeinsamkeiten festzustellen. Beide Seiten wollen mehr Haushaltsdisziplin. Beide setzen sich für mehr Wettbewerb ein. Beide glauben an den freien Handel. Deutschland wird der dominierende Akteur in der EU bleiben, kann seine Ziele aber nicht allein erreichen. Auf der anderen Seite stellt sich für die Briten die Frage: Wollen sie es bei der Rede belassen?

Frankreich hat sich entschieden, in Mali allein, also ohne die Hilfe der EU, militärisch zu intervenieren. Waren Sie von dem französischen Vorstoß und von der Tatsache überrascht, dass die Intervention ohne die europäischen Partner und die USA durchgeführt wurde?

Ich habe Mali in den vergangenen Jahren mehrmals besucht. In der Weltbank haben wir oft über die Schwierigkeiten im Norden Malis und über die Tuareg diskutiert. Ich habe versucht, einige Regierungen - darunter die US-amerikanische - zu überzeugen, die Weltbank einzuschalten. Schließlich hat die mangelnde Entwicklung der Region zum Unmut der Tuareg geführt. Aber auch um die Sicherheitslage hätte man sich frühzeitig kümmern müssen. Dann kam der Umsturz in Libyen und man musste kein Genie sein, um vorherzusehen, dass Menschen und Waffen von dort nach Mali gelangen würden. Insofern war ich sehr erstaunt, dass Europa und die Vereinigten Staaten sich so überrascht davon zeigten. Mit anderen Worten, ich glaube das alles war vorhersehbar. Ich respektiere den Vorstoß der Franzosen, aber jeder muss wissen, dass das nur der Anfang ist. Auch wenn sich die Besiegten scheinbar plötzlich in Luft aufgelöst haben: sie sind nicht verschwunden. Man konnte es in anderen Regionen beobachten: Die Gefahr besteht darin, dass man zwar  zunächst einen klassischen Gewaltausbruch stoppt, dann aber mit Selbstmordattentätern und Weiterem rechnen muss. Ich hoffe, dass die USA und andere Länder Frankreich unterstützen werden.

Robert Zoellick war von 2007 bis 2012 Präsident der Weltbank. Zuvor war er von 2005 bis 2006 US-Vize-Außenminister und von 2001 bis 2005 US-Handelsrepräsentant. In den Jahren 1989 bis 1990 war Zoellick der führende US-Vermittler in den sogenannten "Zwei-Plus-Vier"-Verhandlungen über die deutsche Wiedervereinigung.