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Zerrissene Familien zusammenführen

Christoph Hasselbach6. Mai 2015

Der Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes wird 70 Jahre alt. Begonnen hat alles mit den Verschollenen des Zweiten Weltkrieges. Doch der Suchdienst ist heute so wichtig wie damals.

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Screenshot DRK Suchdienst Foto: www.drk-suchdienst.de
Bild: www.drk-suchdienst.de

Auch heute noch, 70 Jahre nach Kriegsende, klären sich dank dem DRK-Suchdienst noch menschliche Schicksale aus dieser Zeit auf. Ende 2014 füllte die 74-jährige Helga Worzischek online ein Suchformular beim DRK aus. Sie wollte wissen, was mit ihrem Vater Emil Zippro geschehen war, der von der Ostfront nicht mehr zurückgekehrt war. Zippros Ehefrau hatte irgendwann die Suche aufgegeben. "Meine Mutter ließ meinen Vater nach ihren Recherchen, die mir leider unbekannt sind, für tot erklären", schreibt Worzischek auf der Internetseite des Suchdienstes. Sie selbst hat keine Erinnerungen an ihren Vater, doch "je älter ich werde, je mehr denke ich an ihn und was mit ihm passiert sein mag bis zu seinem Tode irgendwo in Russland". Die Anfrage war ein neuer Versuch und möglicherweise die letzte Hoffnung für Helga Worzischek, doch noch etwas über ihren Vater herauszufinden.

Einblick in sowjetische Archive

Kurz nach dem Krieg war etwa jeder vierte Deutsche entweder Suchender oder Gesuchter. Zwischen 1945 und 1950 hat der Suchdienst nach eigenen Angaben in rund neun Millionen Fällen Menschen wieder zueinander gebracht. Damals wurden mühsam Karteikarten mit Personenangaben von Suchenden mit denen von heimkehrenden Soldaten abgeglichen. Heute hat der Suchdienst digitalisierte Datenbanken. Das macht das Auffinden ungleich schneller. Doch vielleicht noch wichtiger ist, dass das DRK inzwischen Einsicht in alte sowjetische Akten hat. Damit können nun viele Schicksale aufgeklärt werden, die früher im Dunkeln blieben. Nach den Worten von Ronald Reimann, dem stellvertretenden Leiter der Suchdienst-Leitstelle, "hat die Rote Armee relativ akribisch über die Kriegsgefangenen Buch geführt". Im Fall von Emil Zippro konnte der Suchdienst herausfinden, dass der Gefreite "höchstwahrscheinlich am 24. März 1945 in Danzig in sowjetische Kriegsgefangenschaft geriet. Er war in mehreren Lagern interniert und starb am 16.04.1948 im Kriegsgefangenenlager Orsk, 1800 Kilometer südöstlich von Moskau an allgemeiner körperlicher Schwäche". Helga Worzischek, die so lange mit der Ungewissheit über ihren Vater leben musste, hat damit endlich Klarheit.

Kriegsgefangene Foto: picture alliance / akg-images
Noch immer sind mehr als eine Million Schicksale deutscher Kriegsteilnehmer ungeklärtBild: picture alliance / akg-images

Suchmeldungen der DW im Bosnien-Krieg

Noch immer bekommt der Suchdienst jedes Jahr etwa 10.000 Anfragen im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg. Und noch immer sind aus dieser Zeit nach Schätzungen 1,3 Millionen Schicksale ungeklärt. Doch jeder neue Krieg, jeder neue Konflikt, jede Naturkatastrophe reißt Familien auseinander, bringt neue Vermisstenfälle mit sich. So war es auch während der Kriege im ehemaligen Jugoslawien in der ersten Hälfte der 1990er Jahre. Auch die Deutsche Welle hat sich an der Suche nach Verschollenen beteiligt. Während des Bosnien-Krieges hat zum Beispiel die Bosnische Redaktion der Deutschen Welle Tausende von Suchmeldungen über vermisste Kriegsflüchtlinge herausgegeben.

Getrennte Flüchtlingsfamilien heute

Heute kümmert sich der DRK-Suchdienst nach den Worten von Ronald Reimann nicht zuletzt "um Flüchtlinge, die sich auf den Weg nach Europa machen, die häufig unter dramatischen Umständen voneinander getrennt werden". Um sie wieder zusammenzuführen, "haben wir mit 20 europäischen Rotkreuz- und Rothalbmond-Gesellschaften eine Internetseite geschaltet ('familylinks'), auf der wir die Fotos der Suchenden einstellen mit dem Hinweis 'Ich suche meine Frau, ich suche meinen Bruder, ich suche mein Kind'." Doch ist ein Suchdienst in Zeiten von Internet und Facebook überhaupt noch relevant? Reimann meint: Ja. Das Netz funktioniere in Krisengebieten oder Diktaturen oft nicht. Oder Schlepper nähmen Flüchtlingen das Handy weg, "um eine Handy-Ortung beim illegalen Grenzübertritt zu verschleiern".

Flüchtlingsboot Foto: Italienische Marine/dpa
Auseinandergerissene Familien durch Flucht nach EuropaBild: Italienische Marine/dpa

Suchdienste werden wichtig bleiben

Der Suchdienst verzichtet bewusst auf die Veröffentlichung von personenbezogenen Daten, um die Betroffenen zu schützen. Doch begibt er sich damit nicht auf schwieriges rechtliches Terrain, wenn er hilft, dass Flüchtlinge nicht ins Fadenkreuz der Behörden kommen? Ronald Reimann räumt das ein, betont aber: "Für uns als Rotes Kreuz ist die Unabhängigkeit ein ganz wichtiger Grundsatz, und das heißt auch Unabhängigkeit von staatlichen Stellen." Wer sich an den Suchdienst wende, könne sich darauf verlassen, dass die Informationen vertraulich behandelt würden. Auch würden die Betroffenen ausdrücklich gefragt, ob Fotos ins Netz gestellt werden sollten. In Deutschland sorge ein extra Suchdienste-Datenschutzgesetz dafür, dass alle Daten ausschließlich für Suchdienstzwecke genutzt werden dürften. "Wir haben keinen Austausch zum Beispiel mit Ausländerbehörden", so Reimann kategorisch.

Wird der DRK-Suchdienst auch noch den 100. Jahrestag erleben? Reimann meint: "Leider ja." In Deutschland habe der Suchdienst zwar viel mit den Folgen des Zweiten Weltkrieges zu tun. Aber "heute sind 50 Millionen Menschen auf der Flucht. Und Flucht führt immer dazu, dass Familien getrennt werden." Daher werde sich diese Arbeit für das Rote Kreuz weltweit leider auch nach 100 Jahren nicht erledigt haben.