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Yattara: "Was die Islamisten tun, hat mit dem Islam nichts zu tun"

Adrian Kriesch, Jan-Philipp Scholz (lh)18. Dezember 2014

Der malische Wissenschaftler Aldiouma Yattara hat die Schreckensherrschaft der Islamisten in seiner Heimat selbst erlebt. Im DW-Interview spricht er darüber, wie sie Religion für ihre Zwecke manipulieren.

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Aldiouma Yattara Direktor des Sahel-Museums in Gao Mali
Aldiouma Yattara, Direktor des Sahel-Museums in Gao, MaliBild: DW/Scholz/Kriesch

DW: Im März 2012 haben Tuareg-Rebellen und Islamisten große Teile Nordmalis erobert, darunter auch Ihre Heimatstadt Gao. Anfang 2013 gelang es der französischen Militäroperation, die Islamisten aus der Stadt zu vertreiben. Wie viel Einfluss haben sie noch?

Aldiouma Yattara: Die dschihadistischen Bewegungen waren besonders in den Jahren 2011 und 2012 sehr aktiv. Momentan ist es etwas ruhiger um sie geworden, aber es gibt sie noch immer. Viele von ihnen wurden getötet oder vertrieben, aber ihre Doktrin lastet nach wie vor auf die Bevölkerung. In Gao, wo ich wohne, gibt es ständig Raketenangriffe und Selbstmordanschläge. Das ist das Werk der Dschihadisten. Sie sind noch immer präsent, weil sie noch immer Unterstützer in der Bevölkerung haben. Diese Leute haben sie entweder durch Geld oder durch Gehirnwäsche für sich gewinnen können. Auch wenn die Islamisten vielerorts selbst nicht mehr da sind - ein Teil der Bevölkerung bleibt ihnen treu und hilft ihnen, sich zu verstecken.

Gruppen wie Ansar Dine bezeichnen sich als "Verteidiger des Glaubens". Sie wollen in Nordmali islamisches Recht einführen. Glauben Sie, dass Religion die tatsächliche Motivation der Islamisten ist?

Als die islamistischen Gruppierungen gekommen sind, haben sie den Islam und den Dschihad als Vorwand genutzt. Was sie gemacht haben, hat mit dem Islam nichts zu tun. Sie haben Hände und Füße abgeschnitten. Sie haben Menschen ausgepeitscht. So etwas haben wir in Mali noch nie gesehen. Die Motivation dieser Gruppierung ist nicht der Islam. Sie wollen den Norden des Staates, der wenig bevölkert ist, als Basis nutzen, damit sie ihren Waffen- und Drogenschmuggel betreiben können. Wie kann man die Scharia durchsetzen wollen in einem Staat, der bereits muslimisch ist? 90 Prozent der Malier sind Muslime! Die wichtigsten Manuskripte der Welt und die größten Moschen Malis befinden sich in Timbuktu! Hier wird man jeden Morgen vom Ruf des Muezzin geweckt. Sogar die Marabout [islamische Heilige, Anm. d. Red.] von Gao haben die Dschihadisten konfrontiert und ihnen klapp und klar gesagt, dass ihre Taten nicht mit dem Koran konform sind.

Was ist Ihr Verständnis vom Dschihad?

Wenn man zum Dschihad rufen möchte, wenn man den Menschen zum Islam bekehren möchte, dann muss man es milde tun, in dem man die Menschen lehrt, sensibilisiert oder moralisiert. Man kann nicht mit Waffen in einer Moschee eintreten, um die Menschen vom Dschihad zu überzeugen. Wieso benutzt man Waffen gegen Menschen, die sich bereits zum Islam bekennen? Wie kann man jemandem die Hände abschneiden ohne beweisen zu können, dass die Person tatsächlich gestohlen hat? Wie kann man Männer und Frauen auspeitschen, weil sie sexuelle Beziehungen haben aber nicht verheiratet sind? Die Islamisten haben die Hotels und die Bars zerstört. Wenn ein Dschihadist eine Frau geheiratet hat, haben die anderen Kämpfer auch mit ihr geschlafen. Jetzt sind sie jetzt weg und haben diese Frauen mit ihren Kindern zurückgelassen. Was wird aus diesen Kindern in diesem Land?

Aldiouma Yattara ist Wissenschaftler und Direktor des Sahel-Museums in Gao, im Norden von Mali. Er hat die Gewaltherrschaft der Islamisten in seiner Stadt selbst miterlebt.

Das Interview führten Adrian Krisch und Jan-Philipp Scholz.