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Xuereb: "Wir brauchen ziviles Engagement"

Sabrina Pabst20. April 2015

Dass Flüchtlinge auf See sterben, muss nicht sein, meint Martin Xuereb, Direktor einer privaten Rettungsmission auf Malta. Diese hat an 60 Tagen 3000 Menschen das Leben gerettet. Ab Mai ist sie wieder im Einsatz.

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Viele afrikanische Flüchtlinge stehen dicht an dicht auf einem Schlauchboot mit Motor. Einige von ihnen tragen eine Rettungsweste, andere strecken ihre Hände nach den Rettungsweste aus, die ihnen zugeworfen wird. (Foto: MOAS/Darrin Zammit Lupi)
Bild: MOAS/Darrin Zammit Lupi

Deutsche Welle: Wie kann man sich Ihre Mission vorstellen?

Martin Xuereb: Wir arbeiten eng mit dem Koordinationszentrum zur Seenotrettung zusammen und halten uns für Einsätze bereit. Wenn sich unser Schiff nahe an einer Unglücksstelle befindet, dann fahren wir raus und versuchen, das seeuntüchtige Boot mit Hilfe unserer Drohnen zu finden. Wenn das Boot lokalisiert wurde, informieren wir wieder das Koordinierungszentrum zur Seenotrettung und nehmen gleichzeitig mit der Besatzung des Bootes Kontakt auf. Dafür lassen wir unsere Beiboote herab, um auf dem Flüchtlingsschiff an Bord zu gehen.

Dieses Jahr startet auch unsere Kooperation mit der Organisation "Ärzte ohne Grenzen". Wir kümmern uns darum, die Boote aufzuspüren und die Mediziner von "Ärzte ohne Grenzen" versorgen anschließend die Menschen an Bord. So wollen wir den Flüchtlingen, die an Bord kommen, die beste medizinische Versorgung geben und sie auch nach ihrer Rettung bestmöglich unterstützen. Die Ärzte werden zusammen mit Experten des Such- und Rettungsdienstes und Rettungssanitätern auf den Beibooten sein. Als erstes verteilen wir die Rettungswesten und unsere Experten untersuchen den Zustand des Bootes: Wie groß ist es? Wie viele Menschen befinden sich auf dem Boot? Und ist es überhaupt noch seetauglich? Dann kümmern wir uns vor allem um die Menschen: Wie geht es ihnen? Wie viele Männer, Frauen und Kinder sind an Bord. Wenn es nötig ist und die Situation es zulässt, evakuieren wir sie vom Schiff.

Martin Xuereb in maltesischer Uniform (Foto: Imago/Xinhua)
Martin Xuereb widmet sich nach seiner militärischen Karriere der Seenotrettung von FlüchtlingenBild: Imago/Xinhua

Das amerikanisch-italienische Unternehmerpaar Regina und Christopher Catrambone, das auf Malta lebt, gründete nach dem Unglück vor Lampedusa im Oktober 2013 die Hilfsstation für schiffbrüchige Migranten, die Migrant Offshore Aid Station (kurz: MOAS). 2014 waren sie bereits auf See. Im Oktober endete die erste Phase der MOAS-Mission. Was haben Sie in der Zeit erlebt?

Unser erstes Boot, das wir angefahren haben, war bereits mit Wasser vollgelaufen. Es war zwölf Meter lang und hatte 271 Menschen an Bord, unter ihnen über hundert Frauen und Kinder. Es drohte zu sinken. Glücklicherweise hatten die Migranten eine Wasserpumpe, mit der sie das einströmende Wasser aus dem Boot gleich wieder abpumpen konnten. Wir haben nach unserer Ankunft sofort mit den Rettungsmaßnahmen begonnen. Wir waren an 60 Tagen auf See und haben rund 3000 Menschen gerettet. Dieses Jahr werden wir am 2. Mai in See stechen und für sechs Monate draußen bleiben.

Sie retten das Leben von Menschen. Aber wohin bringen Sie anschließend die notleidenden Menschen, die anscheinend in keinem Land der Europäischen Union willkommen sind?

Wenn wir die Menschen an Bord genommen haben, sind wir durchgängig mit den Mitarbeitern des Koordinierungszentrums zur Seenotrettung in Verbindung. Sie sagen uns, wo wir anlanden können. Wir wissen, dass unsere Arbeit keine Lösung für das Migrationsproblem ist. In erster Linie retten wir aber Menschen, die in Seenot geraten sind. Wenn ein Mensch auf dem Meer stirbt, ist das, was er vorher gemacht hat oder anschließend tun wir, für uns irrelevant. Unser privater Verein will andere ermutigen und dazu aufrufen, das Problem der Migration und des Menschenhandels anzupacken. Unser Verein will verhindern, dass diese Menschen, die keine andere Option als diese gefährliche und oft tödliche Mittelmeer-Überfahrt haben, dort nicht sterben müssen. Dafür brauchen wir Unterstützung.

Bisher kamen die ersten Investitionen von dem Unternehmerpaar. Von ihren Spenden rüsteten sie einen Fischtrawler, ein 40 Meter langes Schiff, aus und konnten zwei Monate auf See im Einsatz sein. Wie will sich ihr privater Verein MOAS in Zukunft finanzieren?

Es sind einzelne Menschen und große Unternehmen, die uns unterstützen. Über fünfzig Prozent unserer gesamten Spenden erhalten wir aus Deutschland. Wir haben aber auch Partner wie "Ärzte ohne Grenzen". Unsere Gründer, Christopher und Regina Catrambone, werden uns auch weiterhin mitfinanzieren. Wir haben aber noch einen weiten Weg vor uns. Wir hoffen, dass wir andere Menschen inspirieren und überzeugen können, dass Flüchtlinge nicht auf dem Mittelmeer sterben müssen. Wenn wir das geschafft haben, dann haben wir auch weiterhin genug Spenden, um noch länger auf See bleiben zu können.

Es heißt, dass die Mission rund zwei Millionen Euro gekostet haben soll. Warum ist das Ehepaar Catrambone so engagiert?

Das Ehepaar Catrambone fühlt sich für Menschen in Not verantwortlich. Ihrer Meinung nach haben es diese Menschen nicht verdient, auf See zu sterben. Das zu verhindern, ist nicht nur die Aufgabe einzelner Staaten oder der Europäischen Union. Auch die Zivilgesellschaft muss das Sterben auf dem Meer stoppen und das Überleben auf See möglich machen. Wir sehen, dass die Zivilgesellschaft nur daneben steht und über die Not und das Leid der Flüchtlinge spricht oder schreibt. Das Ehepaar Catrambone hat sein Geld nicht in die eigenen Taschen gesteckt, sondern es in die Hände genommen, um sich für die schiffbrüchigen Flüchtlinge zu engagieren.

Macht es Sie nicht wütend, wenn das, was Sie tun, nicht eigentlich Aufgabe von Regierungen und Politikern sein müsste?

Die Regierungen und die Politiker sollten ihre Verantwortung wahrnehmen und sich von der "kurz" gedachten Such- und Rettungspolitik wegbewegen. Die Lebensrettung sollte auf ihrer Agenda stehen. Dennoch benötigen wir eine starke Zivilgesellschaft. Unser Verein will Menschen ermutigen, Notleidenden zu helfen. Wir müssen unsere Vorurteile ablegen, zusammenkommen und versuchen, eine Lösung zu finden. Sicherlich ist das die Aufgabe der Europäische Union und der Regierungen. Nichtsdestotrotz sind es die Zivilgesellschaft und die Nicht-Regierungsorganisationen, die dabei helfen und unterstützen müssen.

Martin Xuereb ist Direktor des privaten Vereins "Hilfsstation für Schiffbrüchige", der Migrant Offshore Aid Station aus Malta. Von 2010 bis 2013 war er Oberbefehlshaber der maltesischen Streitkräfte und leitet seit seiner Pensionierung das operative Geschäft der Rettungsmission.