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Nigerias unerschrockener Literat wird 80

Thomas Mösch, Philipp Sandner13. Juli 2014

Immer wieder setzt der nigerianische Literatur-Nobelpreisträger Wole Soyinka Zeichen gegen Gewalt und Diktatur - nicht nur im Blick auf die bewegte Geschichte seines Geburtslandes. Auch mit 80 bleibt er unbequem.

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Wole Soyinka Foto: REUTERS/Akintunde Akinleye
Bild: Reuters

Sein Metier ist die Literatur. Doch das hindert den Schriftsteller Wole Soyinka nicht daran, sich auch mit 80 Jahren noch zum politischen Geschehen in seinem Heimatland Nigeria zu äußern. Als die islamistische Miliz Boko Haram im April mehr als 200 Schülerinnen entführte, sprach Soyinka in der BBC von einem Wendepunkt für sein Land: "Wenn wir diese Kinder nicht finden, ist Nigeria in meinen Augen ein hoffnungsloser Staat", sagte der Schriftsteller. "Dann sollten wir uns zusammensetzen und uns eingestehen, dass das Land so nicht regierbar ist - und dass es zum Beispiel einfacher sein könnte, Krisen dieser Größenordnung in den Griff zu bekommen, wenn wir eine kleinere Nation wären." Äußerungen wie diese sind typisch für Soyinka: Er sagt seine Meinung - ohne Rücksicht auf Verluste.

Geboren wurde Soyinka am 13. Juli 1934 in der Stadt Abeokuta im Südwesten Nigerias, gute zwei Autostunden nördlich der Wirtschaftsmetropole Lagos. Im Haushalt seines fest im christlichen Glauben verwurzelten Vaters, eines Schuldirektors, erhielt er eine von Anfang an westlich geprägte Erziehung. Gleichzeitig beeinflussten ihn aber auch die Traditionen und Mythen seines Yoruba-Volkes, eine der drei großen Ethnien des Vielvölkerstaates Nigeria. Die Literatur und Dichtung ist das Medium, in dem Soyinka diese Einflüsse weitergibt.

Künstler des Wortes

"Ich denke, ich komme aus einer Familie von 'Wort-Drechslern'", so beschrieb Wole Soyinka einmal seine schriftstellerischen Wurzeln. Unter seinen Onkeln und Tanten sowie den Freunden seines Vaters habe es viele "Erzähler" gegeben, die ihn schon in seiner Kindheit mit ihren Geschichten und Debatten beeindruckt hätten.

In den 1950er Jahren studierte Soyinka englische Literatur in Großbritannien. Zurück in Nigeria befasste er sich mit dem afrikanischen Drama. Beides - die westlichen und die afrikanischen Traditionen - verband er schon früh mit einem starken politischen Engagement. In seinem 1977 verfassten Gedicht "Ogun Abibiman" taucht er tief in die Mystik seines Volkes ein. Zugleich waren die Verse hochaktuell, denn Soyinka widmet sich dem Krieg des damals gerade unabhängig gewordenen Mosambiks gegen das von einem weißen Siedlerregime beherrschte Nachbarland Rhodesien, das heutige Simbabwe.

Wole Soyinka (1960er) Foto: Mary Evans Picture Library
Soyinka in den 1960er JahrenBild: picture alliance/Mary Evans Picture Library

Zur Unabhängigkeit Nigerias im Oktober 1960 inszenierte er in der damaligen Hauptstadt Lagos sein Theaterstück "A Dance of the Forests". In diesem eher düsteren Werk forderte er von der Gesellschaft, sich ihrer Vergangenheit zu stellen und frühere Fehler nicht zu wiederholen. Wenige Jahre später taumelte Nigeria durch eine politische Krise direkt in die ersten Militärputsche und den Bürgerkrieg um Biafra im Südosten des Landes, das 1967 seine Unabhängigkeit erklärte. Soyinka widersetzte sich der Kriegs-Rhetorik und warb für Friedensverhandlungen zwischen den verfeindeten Parteien. Daraufhin ließ ihn die nigerianische Regierung festnehmen. Fast zwei Jahre verbrachte Soyinka im Gefängnis. Der Vorwurf: Landesverrat.

Kein politischer Eiferer

Als er 1969 frei kam, ging er das erste Mal ins Exil. Auch in den 80er und 90er Jahren reiste Wole Soyinka immer wieder für längere Zeit ins Ausland, etwa in den USA, um sich vor Repressionen durch die Militärregime Nigerias zu schützen. Nach der Rückkehr seiner Heimat zur Demokratie 1999 engagierte sich Soyinka wieder verstärkt im Inland, auch wenn er weiter vor allem in den USA lebte und arbeitete. 2010 gründete er sogar eine eigene Partei, die "Demokratische Front für einen Bund des Volkes" (Democratic Front for a People's Federation), die allerdings ohne Einfluss blieb.

Im Gegensatz zu vielen anderen afrikanischen oder afro-amerikanischen Intellektuellen lehnte Soyinka eine einseitige Schuldzuweisung an die früheren Kolonialmächte stets ab. Die Afrikaner seien zunächst für ihre eigenen Probleme verantwortlich, lautete die Überzeugung des Schriftstellers. So wandte er sich in den 1970er Jahren offensiv gegen die Gräueltaten des ugandischen Diktators Idi Amin - als andere in diesem noch einen Vorkämpfer gegen europäische Arroganz sahen.

Buchcover : Wole Soyinka - Die Ausleger
Stimmungsbild der nigerianischen Gesellschaft in den 60er Jahren: Soyinkas "Die Ausleger"Bild: Odeon

Obwohl Soyinka sich immer wieder einmischt und sich auch in seinen Werken mit politischen Themen beschäftigte, will er sich nicht als politischer Autor verstehen: "Ich bin ein sehr politischer Mensch. Politik ist zuallererst eine Bürgerpflicht", erklärte er einmal dazu. "Ich habe allerdings meinen künstlerischen Anspruch nicht mit dem politischen Eifer kombiniert". Und tatsächlich beschäftigt sich Soyinka in seinen Werken immer sehr viel tiefer mit der Gesellschaft und der Psyche der Menschen, als sich lediglich an aktuellen politischen Entwicklungen zu orientieren. Eine spezielle gesellschaftliche Verantwortung der Kunst will er nicht akzeptieren: "Diejenigen, die darauf bestehen, dass Künstler eine besondere Last zu tragen haben, würde ich am liebsten schlagen."

Als Literat entschied sich Wole Soyinka klar für die englische Sprache. Die virtuose und zum Teil nur schwer verständliche Verknüpfung unterschiedlichster kultureller Traditionen brachte ihm internationale Anerkennung, 1986 erhielt er als erster Afrikaner den Literaturnobelpreis. Doch sein anspruchsvoller Stil hat ihm auch immer wieder den Vorwurf der Abgehobenheit eingetragen. Im eigenen Land schätzt man ihn vor allem für seine offenen und nicht selten provokanten politischen Statements.