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Wohin mit unseren Alten?

Anna Peters23. Januar 2014

Immer mehr Pflegebedürftige, zu wenig Pflegekräfte. Über Auswege haben Experten auf dem Deutschen Pflegetag beraten. Ohne die Hilfe von Angehörigen ginge gar nichts. Doch das familiäre Engagement stößt an Grenzen.

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Alte Frau im Krankenhaus - Angelika Warmuth (dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Renate Lingenau ist jeden Tag hier in der Seniorenwohnanlage. Täglich bringt sie Essen für ihre Mutter, kümmert sich um deren Haushalt, fährt mit ihr zum Arzt. Manchmal sitzt sie auch einfach nur mit ihrer Mutter am Küchentisch und hört ihr zu. Die Seniorenwohnanlage ist unter anderem durch barrierefreie Zugänge extra auf die Bedürfnisse von alten Menschen ausgerichtet. Professionelle Pflegekräfte gehören aber nicht zum Personal. Die Bewohner kümmern sich um sich selbst oder sind auf die Hilfe von Angehörigen angewiesen. So wie Renate Lingenau pflegen rund eine Million Menschen in Deutschland einen Angehörigen.

Schon heute ist rund jeder vierte Bundesbürger 60 Jahre und älter. Mit dem Durchschnittsalter steigt auch die Zahl der Pflegebedürftigen. Waren es in Deutschland 2005 noch knapp zwei Millionen, so sind es heute schon fast 2,5 Millionen, die im Alltag auf Hilfe durch Verwandte und professionelle Pflegekräfte angewiesen sind. Tendenz steigend.

Ambulante Pflegedienste: keine Zeit für echte Zuwendung

Renate Lingenau - Foto: privat
Angehörige Lingenau: Wie soll man Pflege alleine stemmen?Bild: privat

Die Mutter von Renate Lingenau hat Pflegestufe 1, die niedrigste von drei Stufen. Pflegestufe 1 bedeutet, dass sie täglich mindestens 90 Minuten pflegerische Unterstützung braucht. Wie viel ihre Mutter an einem Tag noch alleine schafft, hängt auch von deren Tagesform ab. Wenn die Arthrose, eine entzündliche Gelenkerkrankung, sie besonders plagt, braucht die alte Dame auch bei den einfachsten Dingen Hilfe.

Es ist der 81-jährigen Witwe anzusehen, wie froh sie ist, dass sich ihre Tochter so liebevoll um sie kümmert. Professionelle Pflegehilfe, zum Beispiel durch einen ambulanten Pflegedienst, haben die beiden bisher nicht gebraucht. "Mein Mann wurde von einem ambulanten Dienst gepflegt", erzählt die Seniorin. Ihre Tochter nickt: "Ja, die kamen rein, haben minutengenau ihr Programm durchgezogen, wollten eine Unterschrift und waren dann genauso schnell wieder weg." Zeit für eine Unterhaltung oder Zwischenmenschliches sei da nicht geblieben.

"Die Pflegetouren sind minutengenau geplant", erläutert Birgit Ratz das Prinzip. "Die Pflegefachkräfte klagen natürlich, dass ihnen dadurch die Zeit fehlt für die echte Zuwendung zum Patienten." Ratz leitet den ambulanten Pflegedienst der Caritas in Bonn. Sie selbst hat den Pflegeberuf von der Pike auf gelernt und weiß, wie herausfordernd der Job für ihre Mitarbeiter ist.

In der Regel besuche eine Pflegekraft 15 bis 25 Patienten am Tag, sagt Ratz. Wenn ein Kollege wegen Krankheit ausfällt, können es im schlimmsten Fall auch schon einmal 30 sein. Die Touren des ambulanten Pflegedienstes sind minutiös durchgeplant. "Und das Schwierige für Mitarbeiter ist, dass alle unvorhersehbaren Ereignisse den gesamten Tourenplan verändern." Eine Baustelle auf dem Weg oder ein Patient, der sehr lange braucht, um die Haustür zu öffnen, können den reibungslosen Ablauf gefährden.

Viele Senioren können das Altenheim nicht selbst bezahlen

Bisher schafft es Renate Lingenau, sich alleine um ihre Mutter zu kümmern. Aber wie wird es in ein paar Jahren aussehen, wenn die Altersbeschwerden ihrer Mutter zunehmen und damit auch die Pflegebedürftigkeit? "Dann werden wir uns nach einem Altenheim umsehen müssen", sagt sie. Die Augen ihrer Mutter weiten sich. "Ich kann doch hier wohnen und hier sterben. Das haben andere auch schon so gemacht!", empört sie sich. Eine hitzige Diskussion entsteht zwischen den beiden. Lingenaus Mutter will ihr selbstbestimmtes Leben in der eigenen, barrierefreien Zweizimmerwohnung unter keinen Umständen aufgeben. Aber ihre Tochter weiß nicht, wie sie die Pflege alleine stemmen soll, sollte ihrer Mutter in Zukunft eine Rund-um-die-Uhr-Hilfe brauchen.

Bewohner eines Caritas-Pflegeheims - Foto: Jens Büttner (dpa)
Bewohner eines Caritas-Pflegeheims: Angewiesen auf Geld der Kinder oder staatliche UnterstützungBild: picture-alliance/dpa

Die Unterbringung im Altenheim wird ihre Mutter womöglich nicht selbst bezahlen können. Wie so viele Frauen ihrer Generation bekommt sie nur eine kleine Rente. Die monatlichen Kosten für eine stationäre Behandlung aber liegen je nach Pflegestufe noch über dem, was Erwerbstätige mit überdurchschnittlichem Gehalt netto verdienen. Laut Statistischem Bundesamt sind es mittlerweile Hunderttausende Senioren, die die Kosten für die stationäre Pflege nicht mehr selbst aufbringen können und auf das Geld ihrer Kinder oder staatliche Unterstützung angewiesen sind.

Laura Jacobs hilft ehrenamtlich im Altenheim

Im Altenheim würde Renate Lingenaus Mutter drei Mahlzeiten am Tag bekommen und die Mitarbeiter würden die Pflege übernehmen. Für ihre Tochter wäre das eine große Entlastung. Aber für mehr als das Grundprogramm aus Essen und Pflege reicht es in vielen Altenheimen nicht. Ähnlich wie ihre Kollegen vom ambulanten Pflegedienst stehen Altenpfleger unter einem großen Zeitdruck.

"Die Pfleger, die dort arbeiten, übernehmen das Waschen, kümmern sich darum, dass die Bewohner Essen und Getränke gereicht bekommen. Für alles darüber hinaus ist dann eben keine Zeit. Und deswegen bin ich da", sagt Laura Jacobs. Die 28-Jährige unterstützt als Ehrenamtliche ein Altenheim in Münster. Sie kennt die harten Arbeitsbedingungen in der stationären Pflege, da sie als Studentin selbst in einem Seniorenheim gejobbt hat. Heute kümmert sie sich unentgeltlich um eine ältere Dame. Einmal die Woche ist sie nur für die Frau da. "Ein ganz großer Teil der gemeinsamen Zeit ist das Gespräch." Manchmal übernimmt Laura Jacobs auch Aufgaben des Pflegepersonals, einfach, weil die Zeit bei den Mitarbeitern fehlt. Dann fährt sie "ihre" Bewohnerin zum Arzt oder bringt ihr Kleidung vorbei, wenn die Seniorin einmal im Krankenhaus liegt.

Suche nach qualifiziertem Nachwuchs schwierig

In einer alternden Gesellschaft werden Pflegeberufe immer wichtiger. Experten rechnen damit, dass bis 2030 mehr als 100.000 zusätzliche Fachkräfte benötigt werden. Doch die Suche nach qualifiziertem Nachwuchs ist für viele Einrichtungen schwierig. Auch Birgit Ratz von der Caritas Bonn kennt das Problem zu gut. Die schweren Arbeitsbedingungen und die schlechte Bezahlung schrecken junge Leute oft ab.

Für heute ist es genug. Renate Lingenau verabschiedet sich von ihrer Mutter. "Bis morgen!" Sichtlich erschöpft geht sie zu ihrem Wagen. "Manchmal ist es sehr anstrengend, dann brauche ich einfach ein wenig Abstand von meiner Mutter", sagt sie. Ihr trauriger Blick lässt erahnen, wie sehr sie die Pflege belastet. Jetzt will sie nur noch nach Hause zu ihrem Mann, der auf sie wartet.