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Eine Ausstellung in Dresden reflektiert Migration als globales Phänomen

Aygül Cizmecioglu11. März 2014

Angst, Gewalt, Überfremdung - wer heute von Einwanderung spricht, meint selten etwas Gutes. Dabei ist Migration längst der Normalfall und ein globales Phänomen, wie eine Dresdner Ausstellung zeigt.

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Dresdner Ausstellung "Das neue Deutschland"
Bild: Robert Pampuch/Deutsches Hygiene-Museum Dresden

Gleich am Eingang wartet eine gigantische Skyline auf den Besucher. Transportkisten stapeln sich übereinander und ahmen die unterschiedlichsten Sehnsuchtsorte von Auswanderern nach: New York, Paris, London, Sydney. Die Stadt wird zu einer Metapher für Migration. Hier, im öffentlichen Raum, prallen seit jeher die unterschiedlichsten Kulturen aufeinander. Hier werden die Diskurse über Fremdheit geführt und die Konflikte ausgetragen.

Humor statt politischer Korrektheit

Der Titel der Ausstellung "Das neue Deutschland" irritiert zunächst. "Natürlich ist dieser Begriff historisch besetzt", erklärt Gisela Staupe, die Leiterin des Hygiene-Museums in Dresden. Das repräsentative Sprachrohr der sozialistischen Einheitspartei in der DDR hieß so. "Wir haben diesen Titel trotzdem gewählt, weil wir vermitteln wollen, dass Deutschland durch Zuwanderung längst zu einem neuen Deutschland geworden ist - und zwar geprägt von Vielfalt."

Exponat aus der Ausstellung "Das neue Deutschland" (Foto: DW)
Humor gegen politische Verkrampftheit - eine Installation spielt mit deutsch-türkischen KlischeesBild: DW/A. Cizmecioglu

Doch wer bei dem Thema staubtrockene soziologische Abhandlungen hinter Glasvitrinen vermutet, wird angenehm überrascht. Die Ausstellung gleicht einer sinnlichen Wunderkammer. Hier werden Moscheen aus bayerischen Milchtüten und Ayran-Bechern zusammengebaut und dröge Statistiken mit knallbunten Bauklötzen visualisiert. Humor statt politisch-korrektem Einheitsbrei. "Vielfalt wird oft erst zum Wert, wenn man mit ihr spielt", meint Özkan Ezli. "Und nicht gleich die Verletzung im Mittelpunkt steht."

Debatte der Extreme

Der Wissenschaftler hat die Ausstellung mit kuratiert und weiß, wie sehr die öffentliche Debatte um Migration durch Extreme geprägt ist. "Auf der einen Seite steht die gutaussehende deutsch-türkische Nachrichtensprecherin, die perfekt integriert ist, und auf der anderen Seite sieht man Frauen mit Kopftuch und matronenhafter Silhouette aus Berlin-Kreuzberg, die sich scheinbar abschotten", so Özkan Ezli. Die Mitte der Gesellschaft sei fast nie sichtbar.

Videoinstallation aus der Ausstellung "Das neue Deutschland" (Foto: DW)
Afrikanische Flüchtlinge und indische Wissenschaftsnomaden - Migration ist ein globales PhänomenBild: DW/A. Cizmecioglu

Dabei ist Migration nicht der Ausnahmefall, sondern die Regel. Weltweit leben heute 232 Millionen Menschen in einem Land, in dem sie nicht geboren sind. Tendenz steigend. Die Ausstellung reflektiert Einwanderung als globales Phänomen mit einer langen Geschichte. Nur, dass sich über die Jahrhunderte die Richtungen verändert haben. Während im 19. Jahrhundert Menschen aus Europa wegströmten und ihr Glück in den USA und Südamerika suchten, richten sich die Sehnsüchte von vielen afrikanischen und asiatischen Einwanderern heute auf Europa.

Migration ist Mobilität

Wie willkürlich oft die Politik auf diese Menschenströme reagiert, wird durch eine Sicherheitsschranke in der Ausstellung spürbar. Jeder Besucher muss durch sie hindurchschreiten. Während einige ohne Probleme in den nächsten Raum gelangen, ertönt bei anderen eine laute Alarmglocke. Die hektisch rot blinkende Lampe signalisiert: Du musst draußen bleiben. Warum, das bleibt ebenso undurchsichtig wie manches Asylgesetz in Europa.

Aussenaufnahme des Hygiene-Museums in Dresden (Foto: Deutsches Hygiene Museum Dresden)
Das Dresdner Hygiene-Museum hat sich mit Ausstellungen rund um zivilgesellschaftliche Fragen einen Namen gemachtBild: David Brand/Deutsches Hygiene Museum Dresden

Die Grenze zwischen "Wir" und "Ihr" wird hier spielerisch aufgelöst und hinterfragt. Denn nationale Identitäten sind oft ein Konstrukt, meint Kurator Özkan Ezli. Sie schaffen Sicherheit, Zugehörigkeit, können aber zugleich Ausgrenzung fördern. Ein bürokratischer Begriff wie "Migrationshintergrund" spiegelt für ihn diesen Widerspruch am besten.

Die Eltern von Özkan Ezli sind vor Jahrzehnten aus der Türkei nach Deutschland eingewandert, er selbst wurde in der Bundesrepublik geboren. "Ich sage immer: Ich bin Deutscher, aber mit einem Zusatz", so der promovierte Literaturwissenschaftler. "Aber viele Biodeutsche haben das auch. Da kommt vielleicht die Mutter ursprünglich aus Schlesien oder dem Elsass." Migration sei nichts Statisches, sondern vielmehr geprägt durch Wandel und Mobilität. Die Transportkisten, die sich in der ganzen Ausstellung türmen, versinnbildlichen dies wohl am stärksten.

Videoinstallation aus der Ausstellung (Foto: DW)
Woran glaubst du? Religion scheint oft die einzige Erklärung für Fremdheit zu seinBild: DW/A. Cizmecioglu

Kompliment oder Beleidigung?

Um dem Phänomen Einwanderung ganz konkret ein Gesicht zu geben, führen zehn Dresdner mit ihren Geschichten durch die Ausstellung. Auf riesigen Bildschirmen erzählen sie, warum sie einst nach Deutschland kamen und was aus ihren Träumen geworden ist. Einer von ihnen ist Hussein Jinah. Das "Dazwischen-Sein" zieht sich wie ein roter Faden durch sein Leben. Geboren auf einem britischen Dampfer auf dem indischen Ozean, verbrachte der 56-Jährige seine Kindheit in Tansania, Südafrika, Indien und kam 1985 zum Studium in die damalige DDR. "Heimat verbinde ich nicht unbedingt mit einem Land, sondern mit dem Gefühl, akzeptiert zu sein", sagt er.

Dresdner mit Migrationshintergrund (Foto: Deutsches Hygiene Museum Dresden)
Sie kommen aus Brasilien, Russland oder der Türkei - zehn Neu-Dresdnern erzählen, was für sie Heimat bedeutetBild: Deutsches Hygiene-Museum Dresden

Die Tatsache, dass man ihn in seinem Alltag immer noch auf sein gutes Deutsch anspricht, nervt Hussein Jinah. Er lebt nun seit fast 28 Jahren in Dresden und bekommt immer wieder von anderen vermittelt, nicht dazuzugehören, fremd zu sein - manchmal verpackt in ein Kompliment, manchmal ganz offen als Beleidigung.

Politische Verdrängung

Für ihn ein Zeichen dafür, dass die kulturelle Vielfalt in Deutschland viel zu lange von der Politik verdrängt wurde. Die ersten Gastarbeiter kamen schon in den 50er Jahren in die Bundesrepublik, machten das deutsche Wirtschaftswunder erst möglich. Doch erst 2001 gestand die Politik offiziell, ein Einwanderungsland zu sein.

"Wir heißen zwar nicht Schmidt oder Meyer, aber wir sind de facto längst Teil dieser Gesellschaft", meint Hussein Jinah. Doch es brauche noch Jahre, bis diese Selbstverständlichkeit im Bewusstsein der meisten Deutschen angekommen sei. Er hofft, dass sich seine heute sechsjährige Tochter später nicht mehr als Deutsche rechtfertigen muss. Und, dass Ausstellungen über Migration in Zukunft nicht mehr nötig sind.