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Wo sich die Weltrevolution traf

25. Oktober 2011

Es war ein Hort der Zuflucht und ein Ort der Verfolgung. Emigranten, Revolutionäre, Spione, Politiker – sie alle trafen sich ab 1920 im Moskauer "Hotel Lux". Für viele war es jedoch eine Station auf dem Weg in den Tod.

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Stadtansicht von Moskau im Winter 1930. (AP Photo)
Bild: AP

Wenn im Morgengrauen schwere Stiefeltritte durch den Gang polterten, wenn in der Stille dröhnend laut an eine Tür gehämmert wurde – dann gefror den Bewohnern des "Hotel Lux" das Blut in den Adern. Wieder war es so weit: Ein Nachbar wurde abgeholt, aus dem Zimmer gezerrt, einer, den der stalinistische Geheimdienst als Feind, als "Volksverräter" definiert hatte, ein Mensch, der anschließend in den Folterkellern oder im Gulag verschwand. Die Tür wurde versiegelt. Gab es Angehörige, so mussten die ins Hinterhaus umziehen. Sie galten automatisch als Ausgestoßene und verdächtige Elemente.

Aussenansicht des Hotels Zentralnaja in der Tverskajastraße in Moskau. (Aufnahme von 2002/dpa). Es hieß in den 30-er Jahren Hotel Lux und beherbergte viele kommunistische Flüchtlinge aus Westeuropa, vor allem aus Deutschland.
Hotel "Zentralnaja" - früher "Lux"Bild: picture-alliance / dpa

Quartier für die Weltrevolution

1934, als die "großen Säuberungen" begannen, hatte das im Zentrum Moskaus gelegene legendäre Hotel seine besten Tage schon hinter sich. Es war um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert von einem reichen Bäcker namens Filippow errichtet und nach der Revolution 1917 von den Bolschewisten als Gästehaus übernommen worden. Fortan galt es als eine Art Absteigequartier für Verschwörer, eine konspirative Adresse der Weltrevolution. Hunderte kommunistische Delegierte aus aller Welt – darunter auch viele Deutsche – wurden hier in den 1920er Jahren untergebracht, wenn sie die sowjetische Hauptstadt zu Kongressen der Komintern, der Kommunistischen Internationale, besuchten.

Illustre Gäste

Richard Sorge, Portraetaufnahme um 1940 Sorge, Richard dt.-russ. Spion, (arbeitete im Auftrag der Sowjetunion, zuletzt in Japan), (4.10.1895 Baku-7.11. (9.7.?) 1944 Tokio (hingerichtet)) Foto: picture-alliance
Spion Sorge um 1940Bild: picture-alliance / akg-images

Der Hamburger Kommunist Ernst Thälmann war zeitweise hier, 1933 wurde er von den Nazis verhaftet und später im Konzentrationslager Buchenwald ermordet. Zu Gast war auch ein gewisser Ernst Friesland. Der hieß in Wirklichkeit Ernst Reuter und wurde nach dem Zweiten Weltkrieg Sozialdemokrat und ein charismatischer Bürgermeister Westberlins. Der deutsch-russische Journalist Richard Sorge, ein berühmter Doppelagent im Dienste Japans und der Sowjetunion, war Hotelgast. Ebenso der Vietnamese Ho Tschi Minh, der später gegen die französische Kolonialherrschaft und im Vietnamkrieg gegen die Amerikaner kämpfte. Aber auch der Tscheche Klement Gottwald logierte im "Lux", nach dem Krieg Regierungschef und Staatspräsident in der CSSR und ein besonders erbarmungsloser Verfolger seiner politischen Gegner. Herbert Wehner, Jahre danach einer der führenden SPD-Politiker in der Bundesrepublik, schrieb hier unter dem Pseudonym Kurt Funk Spitzelberichte.

Hotel ohne Komfort

Undatiertes Archivbild des Vorsitzenden der Kommunistischen Partei Deutschlands, Ernst Thaelmann, der 1944 im KZ Buchenwald ermordet wurde. (AP-Photo)
KPD-Chef ThälmannBild: AP

Im "Lux" war der Luxus ein Fremdwort. Alle lebten auf äußerst beengtem Raum. In gemeinschaftlichen Küchen wurde gekocht, Wäscheleinen zogen sich durch die Zimmer, in denen meist mehrere Personen wohnten. Zutritt hatte nur, wer einen Passierschein besaß. Nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten in Deutschland wurde das Moskauer Hotel zum Zufluchtsort für verfolgte Kommunisten und politische Flüchtlinge. Seit 1934 verwandelte es sich jedoch in einen Ort der Angst und des Terrors. Vor allem ausländische Kommunisten wurden der Sabotage verdächtigt und gerieten als angeblich feindliche Agenten ins Visier von Stalins Geheimdienst NKWD. Eine Atmosphäre des Misstrauens breitete sich aus, Verdächtigungen und Denunziationen machten die Runde, Angst prägte das Leben der Bewohner. Von einem Tag auf den anderen konnten eben noch bejubelte und gefeierte Spitzenfunktionäre in den Abgrund stürzen.

Folter, Gulag, Tod

Hitler und Stalin Foto: AP
Diktatoren Hitler und StalinBild: AP Graphics

Zwei Drittel aller kommunistischen deutschen Emigranten in der Sowjetunion wurden zum Tode verurteilt, hingerichtet oder verschwanden in den Zwangsarbeitslagern. Manche wurden sogar an das Hitler-Regime ausgeliefert - mit schrecklichen Konsequenzen. Margarete Buber-Neumann etwa, Ehefrau des führenden deutschen Kommunisten Heinz Neumann, den man 1937 in der Sowjetunion umgebracht hatte. Ein Jahr später wurde sie in Moskau verhaftet, 1940 nach Nazi-Deutschland deportiert und saß fünf Jahre im KZ. Noch bis 1945 blieben Funktionäre in dem Hotel, schrieben Flugblätter, riefen im Rundfunk zum Kampf gegen Hitler auf. Mit Kriegsende endete für sie auch die Zeit des Exils. Die Kader kehrten in ihre Heimatländer zurück. Einer der ersten war Walter Ulbricht. Er wurde 1949 zu einem führenden Politiker der DDR.

Wiederaufstieg in altem Glanz?

Mitte der 1950er Jahre verwandelte sich das "Lux" ins "Zentralnaja" und war fortan ein gewöhnliches sowjetisches Hotel. Später zogen Büros und Geschäfte in das Gebäude. Jetzt aber besinnt man sich auf die Geschichte, eine Sanierung hat angefangen – und angeblich soll das "Lux" demnächst in altem Glanz neu erstehen. Ob man sich dann auch an die Leiden der verfolgten Emigranten erinnern wird?

Autorin: Cornelia Rabitz

Redaktion: Klaus Gehrke