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"Wo können wir sicher leben?"

Monika Griebeler18. September 2013

Eines Nachts fielen die Bomben vom Himmel. Nicht unerwartet und doch plötzlich. Mohamad floh mit Frau und Kindern aus Syrien in die Türkei. Acht Monate ist das jetzt her. Auf DW.de erzählt er seine Geschichte.

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Mohamad, syrischer Flüchtling, lebt jetzt in der Türkei (Foto: Monika Griebeler)
Bild: DW/M. Griebeler

"Eigentlich wollten wir gar nicht in die Türkei kommen. Aber dann mussten wir unser Haus verlassen. Damals, im Januar 2013, fielen die Bomben auf unser Dorf. Mitten in der Nacht sind wir aufs Feld geflüchtet. Währenddessen wurden wir weiter bombardiert - die Felder, das ganze Dorf. Stellen Sie sich vor: Sie sind mit ihren Kindern, ihrer Frau draußen, es regnet, sie werden nass und sie werden bombardiert.

Auf dem Feld schliefen wir ohne Decken, ohne Zelte, nur in unserer Kleidung. Die Kinder haben dort so gelitten: Ihre Haut war ganz blau vor Kälte. Und die Bombardierung hat einfach nicht aufgehört.

Nach zwei Tagen auf dem Feld konnten wir endlich ein Transportmittel organisieren. Wir sind nicht mehr nach Hause zurückgekehrt, sondern sind direkt in die Türkei gefahren.

Kinder erschossen und verbrannt

Es gibt viele Kinder, die durch die Bombardierung und den Krieg traumatisiert sind. Immer wenn ein Flugzeug vorbei fliegt, erschrickt mein Sohn. Wenn er Trümmer im Fernsehen sieht, weint er und umklammert seine Mutter. Er weint häufig. Einige meiner Nachbarn sind zusammengebrochen und die Kinder wurden hysterisch vor lauter Angst. Ich habe gelernt, meinen Sohn und die Mädchen zu beruhigen, indem ich sie häufig umarme und selbst ruhig bleibe.

Bei meiner Cousine kam die syrische Armee ins Haus und hat ihre fünf Kinder geholt und vor dem Haus erschossen. Dann haben die Soldaten die Leichen aufs Feld gebracht und verbrannt. Ich habe all das auch gesehen, dass sie umgebracht und verbrannt wurden.

Boynuyogun Flüchtlingscamp in der südtürkischen Provinz Hatay (Foto: REUTERS/Murad Sezer)
"Hier bleiben wir nicht" - Fast 500.000 syrische Flüchtlinge leben in der Türkei, die meisten außerhalb der CampsBild: REUTERS

Bomben - auch in der Türkei

Als wir im Flüchtlingscamp in der Türkei ankamen, regnete es in Strömen. Das Zelt war nass. Der Boden war nass. Alles war nass und dreckig. Die sanitären Anlagen waren nur schwer zu erreichen. Da wollten wir nicht bleiben.

Wir sind dann in die Grenzstadt Reyhanli gegangen. Als dort im Mai zwei Bomben explodiert sind, waren wir schockiert. Ich glaube, das war ein Werk des Assad-Regimes. Wie können die so etwas nur tun?

Wir sind doch vor dem Krieg geflüchtet, haben hier Zuflucht und Sicherheit gesucht. Und dann legen sie hier Bomben. Wo sollen wir denn sicher leben können?

Zehn Euro für zwölf Stunden Arbeit

700 Lira - etwa 280 Euro - Miete zahlen wir im Monat. Das ist viel Geld. Geld, das ich nicht immer habe. Ich bin ein rechtschaffener Mensch. Ich habe immer gearbeitet, immer Geld verdient. Ich habe niemals "haram money", böses Geld, ausgegeben! Aber jetzt! Jetzt muss ich mir Geld leihen von Freunden. Ich finde keine Arbeit und meine Ersparnisse sind aufgebraucht.

Ich habe versucht, hier in der Stadt einen Job zu finden. Da wurde mir gesagt, dass es hier keine Arbeit gibt für Ingenieure - dafür ist die Stadt zu klein. Deshalb habe ich dann als Tellerwäscher in einem Restaurant angefangen: Da musste ich von sieben Uhr abends bis sieben Uhr morgens arbeiten. Das war sehr anstrengend und unangenehm. Das Fett klebte immer an den Tellern. 25 Lira habe ich pro Tag bekommen, das sind etwa zehn Euro. Ich habe es nur einen Tag lang gemacht.

Einige Leute haben gesagt, ich könnte in Antakya oder Istanbul einen Job suchen - aber das wird schwierig, solange ich kein Türkisch spreche. Ich habe auch Freunde in den Niederlanden und Saudi Arabien angerufen, ob es dort nicht vielleicht Arbeit gibt. Ich muss meine Familie und Verwandten unterstützen. Deshalb werde ich dorthin gehen, wo ich Arbeit finde.

Blick auf die türkische Stadt Antakya (Foto: Monika Griebeler)
"Es ist hier fast wie zuhause" - Bis 1938 gehörte die türkische Provinz Hatay zu SyrienBild: DW/M. Griebeler

Die größte Sorge, die größte Klage

Anfangs, als wir dann von Reyhanli nach Kirikhan gezogen sind, hatten die Türken im Haus Angst vor uns Syrern. Offenbar hatten sie schlimme Sachen über uns in den Medien gehört. Aber sobald sie uns kennengelernt haben, hat sich die Situation entspannt. Jetzt verstehen wir uns ganz gut.

Und eigentlich ist es in Ordnung hier. Die Türkei ist so ähnlich wie Syrien. Das einzige Problem ist, dass wir uns immer fragen: Was passiert gerade in Syrien? Wie geht es den Menschen dort? Wie leben - und überleben - sie?

Und wir machen uns große Sorgen um unsere Kinder: Sie können nicht zur Schule gehen. Sie können nicht in die Universität. Deshalb ist unsere größte Sorge, unsere größte Klage, die Zukunft unserer Kinder."

Monika Griebeler hat Mohamads Geschichte aufgezeichnet.