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Wissenschaftler unterm Hakenkreuz

Bianca Schröder18. April 2014

Die Berliner Charité will ihre Rolle im Dritten Reich aufarbeiten und einen Gedenkort für vertriebene Mitarbeiter einrichten. Auch andere Forschungseinrichtungen lassen erst jetzt ihre Vergangenheit untersuchen.

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Joseph Goebbels zu Gast an der Charité (Foto: Bildarchiv Institut für Geschichte der Medizin der Charité)
14. März 1941: Joseph Goebbels, Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, zu Gast an der CharitéBild: Bildarchiv Institut für Geschichte der Medizin der Charité - Universitätsmedizin Berlin

Frühjahr 1933: Wilhelm S. Feldberg, ein junger Assistenzarzt am Physiologischen Institut der Berliner Charité, erhält von seinem Chef die Kündigung. Noch am selben Tag soll er seine Sachen packen und die Klinik verlassen. Fortan gilt Hausverbot für ihn. Jüdische Mitarbeiter sind nicht mehr gewünscht, das haben Klinikleitung und Direktoren einstimmig beschlossen. Sie zeigen damit vorauseilenden Gehorsam: Ein entsprechendes Gesetz ist bei ihrer Sitzung am 31. März 1933 noch nicht verabschiedet.

Feldberg, der seine Vertreibung in seinen Erinnerungen beschrieb, floh nach England und wurde dort ein bekannter Pharmakologe und Physiologe. An ihn und weitere vertriebene Mitarbeiter erinnert die Charité, Europas größtes Universitätsklinikum, mit zwei kürzlich aufgestellten Gedenksäulen. Sie sind Teil eines größeren Projektes mit dem Titel GeDenkOrt.Charité.

Die dunkle Vergangenheit der Spitzenforscher

"Wir wollen ein Denkmal errichten, an einem zentralen Ort und von namhaften Künstlern gestaltet", sagt Karl Max Einhäupl, Vorstandsvorsitzender der Klinik. Darin soll es zudem einen Museumsteil mit einem Lehrpfad geben, der Studierende und Ärzte zum Nachdenken über die Frage anregt, wie man als Mediziner dazu kommt, sich in solche Verbrechen verwickeln zu lassen. Für die kommenden drei Jahre sind außerdem wissenschaftliche Projekte, die Einrichtung einer Gastprofessur, verschiedene Lehrveranstaltungen und öffentlichkeitswirksame Aktivitäten zum Thema geplant.

Zwei Gedenksäulen vor der Charité (Foto: Charité/Wiebke Peitz)
Zerstörte Vielfalt: Die Gedenksäulen erinnern an vertriebene Charité-MitarbeiterBild: Charité/Wiebke Peitz, 2013

Die Charité ist nicht die einzige Forschungseinrichtung, die sich erst jetzt systematisch mit ihrer eigenen Rolle im Nationalsozialismus befasst. Zwar entstanden schon in den 1970er Jahren Studien über Universitäten im Dritten Reich, doch waren diese dem Engagement einzelner Wissenschaftler zu verdanken. Erst seit Ende der 90er Jahre sind Hochschulen selbst aktiv. Warum erst so spät? "Man hat sich häufig einfach nicht getraut, Fragen zu stellen, weil verehrte Lehrer betroffen waren", meint der Berliner Geschichtsprofessor Rüdiger vom Bruch, der sich schon seit vielen Jahren mit dem Thema beschäftigt.

NS-Aufarbeitung erst nach öffentlichem Druck

Zudem hat die Wissenschaft lange Zeit erfolgreich an der Legende festgehalten, sie habe sich nicht in die nationalsozialistische Ideologie verstricken lassen. Dabei zeigten viele Wissenschaftler früh Sympathie mit den Nazis und stellten sich in den Dienst des Regimes, erklärt vom Bruch. Auch an der Charité gab es Rassenforschung, Menschenversuche und Zwangssterilisationen.

Als eine der ersten Wissenschaftseinrichtungen ließ 1997 die Max-Planck-Gesellschaft eine Arbeitsgruppe zur Erforschung ihrer eigenen Vergangenheit einrichten. Die Initiative veranlasste andere Forschungseinrichtungen, ebenfalls ihre Rolle im Dritten Reich untersuchen zu lassen. "Das geschah nicht unbedingt aus einem persönlichen Schuldgefühl heraus, sondern weil öffentliche Angriffe so stark geworden waren, dass man meinte, es ist besser, wenn wir selber eine neutrale oder unbefangene Untersuchung von Fachhistorikern in Auftrag geben", so vom Bruch. Lange hatten sich Wissenschaftler auf die Verfehlungen einzelner Personen konzentriert, nun gerieten Institutionen als Täter-Instanzen in den Blick.

Deutsche Wissenschaftler bekennen sich im November 1933 in Leipzig zu Adolf Hitler (Foto: picture-alliance)
Viele Wissenschaftler, unter ihnen auch Ferdinand Sauerbruch, Chirurg an der Charité, legten im November 1933 ein Bekenntnis zu Adolf Hitler abBild: picture-alliance / akg-images

Nicht-jüdische Mitarbeiter als willige Helfer des Regimes

An vielen Hochschulen steht die Aufarbeitung noch am Anfang. Informationen über vertriebene Professoren ließen sich meist schnell zusammentragen, doch bei anderen Mitarbeitern sei die Quellenlage schwierig, sagt der Medizinhistoriker Udo Schagen vom Fachbereich Medizingeschichte der Uni-Klinik, der das Projekt GeDenkOrt.Charité betreut. "Hier an der Charité kennen wir mittlerweile die Namen von über 180 vertriebenen Ärzten, aber wir wissen nicht, wie viele Pflegekräfte entlassen wurden." Der Anteil jüdischer Ärzte und Krankenschwestern war in Berlin sehr hoch. Den meisten gelang zwar die Flucht ins Ausland, aber in vielen Ländern konnten sie ihren Beruf nicht mehr ausüben.

Von den nicht-jüdischen Ärzten wagte es kaum jemand, sich öffentlich gegen den Nationalsozialismus zu stellen. Selbst berühmte Wissenschaftler der Charité wie der Chirurg Ferdinand Sauerbruch oder der Psychiater Karl Bonhoeffer stützten zentrale Aspekte der nationalsozialistischen Medizinpolitik wie Menschenversuche in Konzentrationslagern und Zwangssterilisationen.

Dass sich Studierende heute noch mit dem Verhalten von Ärzten im Dritten Reich auseinandersetzen, ist für Karl Max Einhäupl ein wichtiger Teil der Ausbildung in medizinischer Ethik. "Solche Verstöße beginnen häufig mit einer kleinen Verschiebung ethischer Normen", betont er. "Man muss sich darüber klar werden, dass das manchmal der erste Schritt hin zu einer Entwicklung ist, die historische Dimensionen annehmen kann." Das Projekt GeDenkOrt.Charité soll deshalb nicht nur an die Vertriebenen erinnern, sondern auch einer neuen Generation von Ärzten als Mahnung dienen.

Charité-Chef Karl Max Einhäupl (Foto: AP)
Karl Max EinhäuplBild: AP