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Wirbel um neuen chinesischen Pass

Roma Rajpal10. Dezember 2012

Ein Wasserzeichen auf den neuen Pässen der Volksrepublik sorgt für Zündstoff. Auf den Dokumenten deklariert Peking umstrittene Gebiete als chinesisches Territorium - und provoziert den Zorn der Nachbarn.

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NANTONG, May 15, 2012 A policewoman shows the new biometric version (L) and the previous machine-readable version of the Chinese ordinary passport in Nantong, east China's Jiangsu Province, May 15, 2012. Starting from Tuesday, China's police departments will be issuing a new, microchipped ordinary passport which contains digitized data of the bearer's fingerprint and signature, in addition to the bearer's name, birth date and portrait photo. The newly installed biometric microchip is an update to the Chinese passport in terms of credibility and security
China Reisepass biometrische DatenBild: picture alliance/ZUMAPRESS.com

Auf jeder Seite der neuen von Peking ausgestellten Reisepässe sind Wasserzeichen mit unterschiedlichen Motiven zu sehen, die für China stehen sollen – zum Beispiel die Große Mauer. Einige der Darstellungen aber sorgen jetzt für Verstimmung bei asiatischen Nachbarländern. Auf Seite 8 beispielsweise sieht man die Inselgruppen im Südchinesischen Meer, auf die neben China unter anderem auch Vietnam Anspruch erhebt. Auch der von Indien beanspruchte Bundesstaat Arunachal Pradesh sowie Teile von Jammu und Kashmir werden als chinesisches Staatsgebiet gekennzeichnet. Experten sind besorgt: Das chinesische Vorgehen könnte empfindliche Folgen haben und stellt eine Bedrohung für das ohnehin fragile Gleichgewicht in den Beziehungen zu Indien, Taiwan, Brunei, Vietnam und den Philippinen dar.

Retourkutsche aus Hanoi und Neu Delhi

Vietnam hat bereits auf die chinesische Provokation reagiert: Pässe chinesischer Besucher werden vom Grenzschutz bei der Einreise nicht mehr abgestempelt. Stattdessen erhalten Besucher aus China Visa auf separatem Papier ausgehändigt, das bei der Ausreise wieder eingesammelt wird. Auch aus Taiwan und von Seiten der Philippinen hagelte Kritik an die Adresse Pekings. Unter anderem wurde dort auch die Frage diskutiert, welches Signal man durch einen Stempel auf den neuen Reisepässen aussenden würde – und ob man dadurch nicht indirekt den chinesischen Besitzanspruch akzeptieren würde.

Luftaufnahme der Spratly-Inseln
Auch um die Spratly-Inseln im Ostchinesischen Meer streitet sich China - unter anderem mit VietnamBild: picture-alliance/dpa

Indien seinerseits begnügt sich nicht mit einer verbalen Reaktion. Das Land geht einen Schritt weiter: Wir lassen uns von Peking nicht drangsalieren – so die Haltung der Regierung in Neu Delhi. Und um dem Nachdruck zu verleihen, stellt die indische Botschaft in Peking mittlerweile selbst Visa mit Karten aus. Dort zählen die umstrittenen Grenzgebiete zu Indien.

Karte der chinesichen Besitzansprüche in der Region
Die chinesichen Besitzansprüche in der RegionBild: DW

Was steckt hinter Chinas Vorstoß?

Experten versuchen derzeit die Motive für Chinas einseitiges Vorgehen zu ergründen. "Der Fall ist bislang beispiellos", erklärt Uday Bhaskar, ein politischer Analyst in Neu Delhi, gegenüber der Deutschen Welle. "Es ist das erste Mal, dass ein Land Reisepässe mit seiner eigenen Landkarte versehen hat." Durch diese Provokation habe Peking sozusagen "den Pokereinsatz erhöht“ und Indien zu einer Reaktion herausgefordert.

TCA Rangachari von der Jamia Millia Universität in Neu Delhi befürchtet, dass die Reisepass-Angelegenheit möglicherweise sogar Auswirkungen auf die Zukunft der bilateralen Beziehungen beider Länder haben könnte. "Ist das die neue Art, Dinge zu handhaben?" Aus Sicht des Experten steht der neue biometrische Pass für die chinesische Grundhaltung im Umgang mit anderen Ländern der Region. "Es scheint, als ginge es Peking darum, eine Lektion zu erteilen, so wie damals beim indisch-chinesischen Grenzkrieg. Daran fühlen die Inder sich jetzt erinnert." 1962 war es zwischen den beiden asiatischen Regionalmächten zu einem einmonatigen militärischen Konflikt gekommen, der für Indien in einer traumatischen Niederlage endete. Bis heute ist der Grenzstreit nicht vergessen.

Wechselvolle Geschichte

Der aktuelle Reisepass-Streit fällt quasi mit dem 50. Jahrestag des Grenzkrieges zusammen - ein heikler Zeitpunkt, meint TCA Rangachari. Denn in Indien finde derzeit eine relativ offene und breit diskutierte Selbstprüfung statt. Dabei würden viele Fragen gestellt im Zusammenhang mit der Vergangenheit: "Was hat Indien 1962 falsch gemacht? Oder umgekehrt: Was lief auf chinesischer Seite besser? Und wie groß waren beziehungsweise sind die Auswirkungen der chinesischen Politik auf uns?" Indien sei sehr darauf bedacht, die eigenen Interessen zu schützen und sicherzustellen, dass etwas Ähnliches wie 1962 nicht wieder passieren könne.

Traditionell ist das Verhältnis beider Länder von gegenseitigem Misstrauen geprägt, erläutert der politische Analyst Bhaskar. "Und jetzt sorgt die unglückliche Reisepass-Geschichte dafür, dass offene Territorialfragen auf eine diplomatische Ebene gehoben werden." Gleichzeitig und ungeachtet dieser Streitigkeiten finde aber zwischen Peking und Neu Delhi ein strategischer Wirtschaftsdialog statt - ein Zeichen dafür, dass zumindest die ökonomischen Beziehungen beider Länder noch nicht von den politischen Streitigkeiten überschattet sind.