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Wieder ein Neuanfang?

Joscha Weber24. Januar 2013

Die Schockwellen der Armstrong-Beichte wirken noch nach, da startet der Profiradsport in die neue Saison. Die Schatten der Vergangenheit jagen dem Peloton weiter hinterher.

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Die Fahrer unterwegs auf der 1. Etappe der Tour Down Under 2013 (Foto: dpa)
Bild: picture alliance/Augenklick/Roth

Die Räder drehen sich wieder, so als sei nichts gewesen. In den wärmeren Gefilden der südlichen Hemisphäre rollt sie dieser Tage an, die neue Radsportsaison im Jahr null nach Armstrong. Während ihr einstiger Held daheim in Texas nach seinem Minimal-Geständnis Bilanz zieht, blickt die Radsportwelt schnell wieder Richtung Süden, nach Australien und Argentinien, wo die ersten Rennen begonnen haben. Es soll wieder um das Sportliche gehen, um Tagessiege, Bergwertungen, Zwischensprints und UCI-Punkte. Aber geht das so einfach?

Tony Martin hat da seine Zweifel. Der amtierende Zeitfahr-Weltmeister befürchtet nach der Doping-Beichte von Lance Armstrong einen weiteren Rückschlag für den Profiradsport. "Jetzt werden wieder viele Sponsoren ihr Engagement im Radsport überdenken", sagte Martin der deutschen Sportzeitung "Sport Bild". Für die Radprofis gehe es wieder einmal um die Existenz. "Es ist traurig, dass wir für die Sünden von Armstrong büßen müssen. Wenn sich sogar ein jahrelanger Sponsor wie Rabobank zurückzieht, herrscht Alarmstufe Rot", meint Martin.

Das Team Rabobank existierte mit wechselnden Sponsoren seit 1984. Ende 2012 hat der Sponsor sein Engagement allerdings beendet. Anlass war ein Dopingverfahren gegen den spanischen Rabobank-Profi Carlos Barredo und die Dopingaffäre um Lance Armstrong. Im Januar 2013 gaben dann drei ehemalige Rabobank-Fahrer zu, während ihrer aktiven Zeit bei dem Team gedopt zu haben: Marc Lotz, Danny Nelissen, Thomas Dekker und jüngst Grischa Niermann.

Mark Cavendish, kein Mann für die zweite Reihe

Während sich der 27-jährige Zeitfahrspezialist vom Omega Pharma-QuickStep-Team noch in seiner Schweizer Wahlheimat auf die Saison vorbereitet, sprintete sein neuer, alter Teamkollege Mark Cavendish schon zum ersten Saisonsieg. Der britische Sprintstar gewann für seinen neuen Rennstall prompt die erste Etappe der Tour de San Luis in Argentinien. Er will, so scheint es, mit aller Macht demonstrieren, dass er mehr erreichen kann als 2012. Im Vorjahr fuhr er noch für das übermächtige Sky-Team, musste sich dort aber Toursieger Bradley Wiggins unterordnen, ersprintete "nur" drei Tour-Etappensiege und löste seinen Vertrag mit Sky im Winter vorzeitig auf. Wer Cavendishs Ehrgeiz kennt, weiß, dass das nicht lange gut gehen konnte.

Etappensieger Mark CAVENDISH auf der 1. Etappe der Tour de San Luis 2013 in Argentinien (Foto: dpa)
Wut im Bauch? Cavendish sprintete nach seinem Abschied von Sky in Argentinien zum ersten SaisonsiegBild: picture alliance/Augenklick/Roth

Wiggins selbst hat trotz des Abgangs von Cavendish starke Konkurrenz im eigenen Sky-Team. Chris Froome, 2012 als Wiggins Helfer an einigen Tour-Bergen sogar schneller als sein Chef, meldete Ansprüche auf die Kapitänsrolle bei der 100. Tour de France im Sommer an. Wiggins gab sich erst loyal, bevor er doch wieder von einer angestrebten Titelverteidigung bei der Tour sprach. Den anderen Rennställen kann der interne Zwist bei Sky nur recht sein. Verdächtig dominant fuhren die Athleten in Schwarz im vergangenen Sommer die Bergriesen Frankreichs hinauf. Vielleicht können sie sich nur selbst bremsen.

Knees widerspricht Armstrong

Egal ob für Wiggins oder Froome, einer der Edelhelfer wird bei der Tour voraussichtlich wieder Christian Knees sein. Der Allrounder blickt optimistisch in die neue Saison, kommt aber dieser Tage auch nicht am Fall Armstrong vorbei. Armstrongs Mutmaßung, zu seiner Zeit seien fast alle Fahrer gedopt gewesen, widerspricht er: "Man soll nicht immer von sich auf andere schließen. Mein bestes Ergebnis bei einer Tour de France war Platz 20 im Jahr 2009 (Armstrong wurde Dritter, Anm. d. Red.) - und ich kann reinen Gewissens erklären, dass dies eine 'saubere Leistung' war", schrieb Knees auf seiner Internetseite.

Mit Vollgas startete der deutsche Top-Sprinter André Greipel in die Saison, holte sich bei der Tour Down Under in Australien im ersten Rennen gleich den ersten Tagessieg. Im Vorjahr fuhr er mit drei Tour-Etappensiegen das erfolgreichste Jahr seiner Karriere und scheint im Alter von 30 Jahren nun richtig durchzustarten. Neben dem aufgrund seiner Muskelpakete nur "Gorilla" genannten Greipel, könnte ein anderer Deutscher 2013 für Furore sorgen: Marcel Kittel ist ein großes Sprinttalent, schlug schon Mark Cavendish und will die Verletzungen und Enttäuschungen des Vorjahres vergessen machen. "Ich suche momentan nach einer Revanche für letztes Jahr. Es ist mein Antrieb, mich gegen die besten der Welt durchzusetzen", formulierte Kittel – typisch Sprinter – selbstbewusst sein Ziel.

Das Peleton mit Skyfahrern um Bradley Wiggins bei der Tour de France 2012 (Foto:Laurent Cipriani/AP/dapd)
2012 dominierten die Trikots des Sky-Teams. Wiggins und Froome scheinen derzeit aber uneins zu seinBild: AP

Grund zur Freude hatte Kittel bereits vor der Saison: Sein niederländisches Argos-Team erhielt erstmalig eine Lizenz erster Klasse und könnte damit von der UCI nicht für sportliche Erfolge, sondern auch für einen in Doping-Hinsicht unbescholtenen Leumund belohnt worden sein. Dagegen verlor der millionenschwere Katjuscha-Rennstall um den spanischen World-Tour-Sieger Joaquin Rodriguez die Zugehörigkeit zur Beletage des Radsports. Das russische Team, bei dem auch ein gewisser Erik Zabel als sportlicher Leiter fungiert, machte in der Vergangenheit mit mehreren Dopingfällen Schlagzeilen.

UCI warnte Radprofis bei verdächtigen Werten

Ein verlässlicher Schlagzeilen-Lieferant im Radsport dürfte auch der Weltverband UCI bleiben. Nachdem die Ermittlungen der US-Anti-Doping-Behörde den Verdacht nahelegten, dass sich die UCI von Armstrong mit "Spenden" bestechen ließ, räumte nun UCI-Ehrenpräsident Hein Verbruggen ein, Armstrong und weitere Radprofis bei verdächtigen Blutwerten stets vorzeitig gewarnt zu haben. Angeblich eine Abschreckungs-Maßnahme um positive Doping-Tests zu vermeiden: "Vielleicht überzeugst du einen, nicht mehr zu dopen. Vielleicht aber auch nicht", sagte Verbruggen der niederländischen Wochenzeitung "Vrij Nederland".

Angesichts dieser sehr eigenen Auslegung des Anti-Doping-Kampfes, wundert es kaum, dass sich im Winter eine Opposition zur UCI gebildet hat: "Change Cycling now" ist der vielversprechende Name einer kleinen Gruppe Revolutionärer, die die UCI-Spitze stürzen wollen, und schon auf knapp 6000 Unterstützer kommt. An der Spitze der Bewegung steht Tour-Sieger Greg LeMond, der schon seine Ambitionen auf die UCI-Präsidentschaft anmeldete. Der US-Amerikaner war jahrelang einer der wenigen lautstarken Armstrong-Gegner im Profiradsport und lieferte sich Wort- und Justizduelle mit dem gefallenen Tourminator Armstrong. LeMond wäre eine glaubwürdige Symbolfigur für einen echten Neuanfang im Radsport.