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Politik

Wählen in Deutschland: Wie geht das?

Ein Tag und zwei Kreuze entscheiden über vier Jahre. So lange dauert eine Legislaturperiode in Deutschland. Und am 26. September wird der neue Bundestag gewählt. Aber wie funktioniert die Wahl?

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Die Grafik erklärt das deutsche Wahlsystem. Wähler haben zwei Stimmen. Die Erststimme für eine konkrete Person einer Partei. Die Zweitstimme nur für eine bestimmte Partei. Aus den Ergebnissen von Erst- und Zweitstimmen ergibt sich die Zusammensetzung der Abgeordneten im deutschen Parlament.
Das deutsche Wahlsystem auf einen Blick: Wähler haben zwei Stimmen. Die zweite ist entscheidend

Der wohl am häufigsten zitierte Satz zum deutschen Wahlsystem lautet: Die Abgeordneten werden in "allgemeiner, freier, gleicher und geheimer Wahl" gewählt. So steht es im Grundgesetz, Artikel 38, Absatz eins. Das heißt, alle, die volljährig sind (mindestens 18 Jahre sind) dürfen unabhängig von ihrem Vermögen, ihrer Bildung oder politischen Überzeugung ihre Stimme abgeben. Jeder hat zwei Stimmen - eine für einen Kandidaten (Erststimme), die andere für eine Partei (Zweitstimme). Und die Wahl ist geheim (Wahlgeheimnis). Soweit, so klar. Doch das deutsche Wahlsystem ist anders als das der Amerikaner, Briten oder Schweizer.

Alles zur Bundestagswahl finden Sie hier:

Deutschland, eine repräsentative Demokratie       

Die wichtigste Unterscheidung: Die deutsche politische Herrschaftsform ist nicht direkt, sondern repräsentativ. In ihr spielt der Abgeordnete eine zentrale Rolle. Er ist sozusagen der Repräsentant von Volkes Wille. Die Schweiz gilt als klassischer Vertreter der direkten Demokratie. Die Schweizer beschließen Gesetze auch per Volksabstimmungen. In Deutschland werden politische Entscheidungen aber nur durch die Stellvertreter des Volkes, die Abgeordneten, getroffen. Das ist eine erhebliche Verantwortung für jeden gewählten Volksvertreter. Das Grundgesetz, die deutsche Verfassung, hebt diese Rolle besonders hervor und formuliert: "Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen." Aber auch dem einfachen Wahlberechtigten weist das Grundgesetz eine Kontrollfunktion zu. Wer meint, es sei bei der Abstimmung nicht mit rechten Dingen zugegangen, der kann die Wahl anfechten.          

Eine Frau mit Baby im Wahllokal Berlin Mitte bei der Bundestagswahl 2009 (Foto: GettyImages)
Wählen als "Bürgerpflicht": Am 26. September sind alle erwachsenen Deutschen aufgerufen, ihre Stimme abzugeben Bild: John Macdougall/AFP/Getty Images

Der Bundestag

In den vergangenen vier Jahren war der Bundestag sehr groß. Er umfasste 709 Abgeordnete. Dies war aber eine Sondersituation, weil es sehr viele so genannte Überhangmandate gab. Eine ähnliche Situation gilt auch für den 26. September 2021 als wahrscheinlich, weil bisher eine Reform zur Vermeidung eines XXL-Bundestages nicht verabschiedet wurde. 

Grundsätzlich gilt: Der Deutsche Bundestag umfasst mindestens 598 Abgeordnete. Das Grundprinzip: Die Hälfte der Sitze - 299 - entfällt auf die Kandidaten, die in den 299 Wahlkreisen die einfache Mehrheit der Stimmen erhalten. Sie sind sozusagen direkt gewählt. Über die andere Hälfte der Parlaments-Mandate - ebenfalls 299 - entscheidet ebenfalls der Wähler, allerdings nicht über direkte Voten für bestimmte Kandidaten, sondern über die Wahl einer Partei. Die haben ihre Kandidaten für den Bundestag in sogenannten Landeslisten in Position gebracht.

Deutschland Wahlhelfer Bundestagswahl 2005 Stimmzettel werden ausgezählt
Die Stimmenauszählung wird immer von mehreren Personen überwachtBild: picture-alliance/dpa

Erst- und Zweitstimme

Von den beiden Stimmen, die jeder Wähler vergeben kann, ist die Zweitstimme die wichtigere. Sie entscheidet über die Zusammensetzung des Bundestages. Bekommt eine Partei beispielsweise 35 Prozent der Zweitstimmen, ist sie auch im künftigen Parlament mit 35 Prozent der Sitze vertreten. Mit der Zweitstimme entscheidet der Wähler letztlich über die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag. Wenn feststeht, wie viele Mandate eine Partei über die Zweitstimme gewonnen hat, werden diese über die Landeslisten aufgeteilt. Übrigens: Man kann die Erst- und die Zweitstimme auch splitten. Auch nur die Erst- oder nur die Zweitstimme zu vergeben ist möglich.  

Richtig kompliziert wird es erst, wenn eine Partei in einem Bundesland mehr Direktmandate gewinnt, als sie an Prozenten bei den Zweitstimmen verbuchen kann. Tritt ein solcher Fall ein - und das geschieht regelmäßig - wächst das Parlament an. Die Gesamtzahl der Abgeordneten erhöht sich, denn die direkt gewonnenen Mandate über die Erststimmen bleiben bestehen. Um das auszugleichen, werden die bereits weiter oben thematisierten Überhangmandate vergeben. Das heißt, die zusätzlichen Überhangmandate werden mit Ausgleichsmandaten für die anderen Parteien kompensiert.  

Die Fünf-Prozent-Hürde

Eine Besonderheit im deutschen Wahlrecht stellt die Fünf-Prozent-Hürde dar. Auch in anderen Ländern gibt es Mindestanforderungen - 3,25 Prozent in Israel oder zehn Prozent in der Türkei -, um ins Parlament einziehen zu können. In Deutschland ist die Fünf-Prozent-Klausel historisch bedingt. Eine Zersplitterung der Parteien-Landschaft wie in den 1920er Jahren, die stabile Mehrheitsregierungen erschwert hat, soll damit verhindert werden. Doch Kritiker argumentieren, dass in der Summe zu viele Stimmen unter den Tisch fallen.

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Volker Wagener Redakteur und Autor der DW Programs for Europe