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Massenprozess gegen Mursi-Anhänger

Khalid El Kaoutit28. April 2014

In Ägypten sind erneut hunderte Islamisten zum Tode verurteilt worden. Bereits im März hatte ein ähnliches Massenurteil weltweit Entsetzen ausgelöst. Beobachter erklären die Urteile mit der Struktur der Justiz.

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Anhänger von Mohammed Mursi - Foto: Denis Vyshinsky (Itar-Tass)
Bild: picture-alliance/dpa

Diesmal waren es 683 Angeklagte, die in Minia vor Gericht standen. Alle sind am Montag (28.04.2014) zum Tode verurteilt worden. Unter ihnen der Chef der inzwischen verbotenen Muslimbruderschaft, Mohammed Badie. Alle waren wegen Unruhestiftung, Beschädigung von Privat- und Staatseigentum sowie Mord an einem Polizisten angeklagt. Ebenfalls an diesem Montag befasste sich das gleiche Gericht noch einmal mit dem Massenurteil vom März. Wie Anwälte berichten, wurden jetzt 492 der 529 damals verhängten Todesurteile aufgehoben und größtenteils in lebenslange Haftstrafen umgewandelt.

In den vergangenen drei Jahren gab es viele Massenprozesse in Ägypten wie die von Minia. So viele wie nie zuvor in der zweihundertjährigen Geschichte der ägyptischen Justiz. Hinzu kommen politische Prozesse gegen frühere Präsidenten. Die Verfahren gegen Husni Mubarak und Mohammed Mursi laufen immer noch.

Mohammed Badie hinter Gittern - Foto: Ahmed Gamil (AFP)
Muslimbruder Badie: Angeklagt wegen Unruhestiftung, Beschädigung von Staatseigentum und MordBild: Ahmed Gamil/AFP/Getty Images

Die aktuellen Massenprozesse richten sich zum großen Teil gegen Mitglieder der Muslimbruderschaft. Aber auch Oppositionelle, die während der unterschiedlichen Machtphasen der vergangenen drei Jahre verhaftet wurden, warten auf ihre Verfahren. Paradox daran: Viele von ihnen wurden im Zuge von Anti-Muslimbrüder-Demos festgenommen, sind nun aber dem Vorwurf ausgesetzt, Mitglied dieser Vereinigung zu sein.

Die Frage, ob die ägyptische Justiz unabhängig sei, beantwortet Rechtsexperte Nasser Amin mit einem spontanen Nein. "Ägypten hat in den vergangenen drei Jahren sehr viele Veränderungen erlebt", sagt er. "Der Justizapparat hingegen ist völlig unverändert geblieben. Es herrschen immer noch die gleichen Methoden und es sitzen immer noch dieselben Personen in Schlüsselpositionen wie in der Ära Mubarak." Auch wenn einige ihre Treue zum alten Regime nicht zeigen wollen oder können, handeln sie mit der gleichen Mentalität, so der Rechtsexperte.

Nasser Amin leitet das arabische Institut für die Unabhängigkeit der Justiz und hat zahlreiche Studien zu dem Thema veröffentlicht. Erfahrung mit der ägyptischen Justiz hat er nicht nur als Rechtsanwalt. Amin stand 1988 selbst vor Gericht. Er war damals angeklagt, weil er Kritik am Mubarak-Regime geübt hatte.

Viele Richter handeln durchaus unabhängig

Im Gericht, so Amin, habe der vorsitzende Richter das Sagen. "Es gibt durchaus Richter, die unabhängig handeln", sagt er. Außer von den Gesetzen hängt das Urteil von der eigenen Erfahrung und Weltanschauung des Richters ab, so Amin. "Deshalb komme es in Ägypten zu ganz unterschiedlichen Urteilen, obwohl die Fälle ähnlich und die Zuständigkeiten der urteilenden Gerichte dieselben sind".

Rechtsexperte Amin - Foto: Hani Darwish
Rechtsexperte Amin: "Ein Schock auch für seine KollegenBild: DW

Ein erstes Extrem-Beispiel sind dabei die 529 Todesurteile des Richters Said Jussef Sabri in Minia vom März. "Das war ein Schock auch für seine Kollegen. Aber dieser Richter hat offensichtlich seine Aufgabe falsch verstanden. Er dachte, er sei für die Wiederherstellung der Sicherheit zuständig und hat seine Aufgabe völlig vernachlässigt, die Beweislage gründlich zu prüfen und nach den Gesetzen ein Urteil zu fällen."

Dies sei kein Einzelfall in Ägypten, sagt Rechtsexperte Amin. "In dieser Chaosphase werden die Zuständigkeiten durcheinandergebracht wie nie zuvor. Richter denken, sie müssen für Sicherheit sorgen, und Polizisten denken, sie müssen Gerechtigkeit herstellen, und können Menschen auf der Straße erschießen, weil sie diese für schuldig halten."

"Staatsanwaltschaft ist die Lücke im System"

Die Richter sind jedoch nur ein Glied in Ägyptens juristischem System. Sie können erst aktiv werden, wenn Anklagen vorliegen, die gerade bei Massenverfahren oder politischen Prozessen von Staatsanwälten vorbereitet werden. Und genau hier sieht Rechtsexperte Nasser Amin die Lücke, die der Staat für politisch motivierte Prozesse ausnutzt. "Die Staatsanwaltschaften unterliegen in Ägypten direkt dem Justizministerium und somit der Regierung und sind in gewisser Hinsicht weisungsgebunden", sagt er. Gerade jetzt wird diese Lücke massiv ausgenutzt, um die Muslimbruderschaft als politischen Gegner auszuschalten.

Vertreter der ägyptischen Justiz reden selten mit der Presse. Deshalb bleiben viele Umstände sowie Urteilsbegründungen und vor allem die Beweislage unklar. In Ägypten hat die Staatsanwaltschaft ein Monopol auf die Beweisführung, was einen großen Raum für Manipulationen zulässt, sagt Rechtsexperte Amin.

Nasser Amin ist sich sicher, dass die meisten Angeklagten in den beiden Prozessen von Montag am Ende freigesprochen werden. Spätestens, wenn ihre Fälle vor dem Kassationsgericht verhandelt werden. Das ist die oberste gerichtliche Instanz in Ägypten. Im Gegensatz zu den Straf- oder Zivilgerichten wo ein bis drei Richter entscheiden sitzen in dieser Kammer neun Richter zusammen, um gemeinsam Urteile zu prüfen. Und gerade bei politisch motivierten Prozessen mit der dabei oft konfusen Beweisführung, sei es "beinahe unmöglich, alle diese neun Richter zu überzeugen", dass ein Angeklagter schuldig ist.