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West Virginias Kampf um Kohle

Simon Broll10. Juni 2014

Die USA wollen den CO2-Ausstoß von Kohlekraftwerken stärker begrenzen. Besonders hart trifft dies den Staat West Virginia. Betreiber drohen mit höheren Kosten, Minenarbeiter streiken. Doch es gibt auch Unterstützer.

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Kohlekraftwerk John Adams (Foto: DW/S. Broll)
Leben unter Schloten: die Gemeinde Poca und das Kohlekraftwerk John AmosBild: DW/S. Broll

Das erste, was Pamela Minigh sieht, wenn sie ihre Haustür öffnet, sind Dampfwolken. Tag und Nacht steigen sie aus dem nahe gelegenen Kohlekraftwerk John Amos auf. Die Anlage steht nur wenige hundert Meter von Minighs Bungalow entfernt, am anderen Ufer des Flusses Kanahwa im Bundesstaat West Virginia. Auch heute speien drei Schornsteine des Kraftwerkes weißen Dampf in den Abendhimmel.

"Für andere Menschen, die mich besuchen kommen, ist es vielleicht schockierend, weil sie so etwas noch nie gesehen haben. Ein Kraftwerk direkt vor dem Fenster. Aber ich bin damit aufgewachsen", sagt die 48-Jährige. Minigh lebt in Poca, einem Arbeiter-Dorf nahe der Hauptstadt Charleston. Die meisten der rund 1000 Einwohner sind seit ihrer Kindheit hier, viele arbeiten im Kraftwerk. Oder sie hängen sonst am Tropf der Kohleindustrie.

Pamela Minigh ist Truckfahrerin und bringt Kohle in die umliegenden Bundesstaaten. Der Brennstoff gilt als West Virginias wichtigster Bodenschatz. "Generationen sind groß geworden mit dem Wissen, dass Kohle ihre Familie ernährt", sagt Minigh. Deshalb mache sie sich auch keine Gedanken um Abgase aus dem Kraftwerk. Früher, in ihrer Kindheit, habe es zwar noch manchmal Aschestaub geregnet. "Das sah dann wie Schnee aus." So etwas gebe es heute nicht mehr.

Pamela Minigh (Foto:DW)
Truckerfahrerin Pamela Minigh: "Das sah dann wie Schnee aus"Bild: DW/S. Broll

Kohlegegner: Erdgas und die EPA

Doch die Zukunft des John-Amos-Kraftwerks ist bedroht, wenn ein Gesetzesvorschlag aus Washington in Kraft treten sollte. Am 2. Juni stellte die Umweltbehörde EPA (Environmental Protection Agency) neue Richtlinien vor, wonach die USA bis 2030 ihre CO2-Emissionen um 30 Prozent zurückfahren sollen - und damit auch alle Kohlekraftwerke des Landes.

Die Kohlelobby schlägt Alarm, vor allem in West Virginia, das 98 Prozent seiner Energie aus Kohlekraftwerken generiert. Die Strompreise würden in die Höhe gehen, lautet die Drohung. Hinzu kämen wirtschaftliche Einbußen: West Virginia besitzt das zweitreichste Kohlevorkommen des Landes, direkt nach Wyoming. Schon jetzt muss sich die Kohleindustrie gegen Konkurrenz behaupten. Allein durch den Erdgas-Boom wurden in den vergangenen vier Jahren 4000 Minenarbeiter entlassen. Die EPA-Bestimmungen, so die Befürchtung, würden die ganze Situation verschlimmern. Dagegen formiert sich Widerstand.

Proteste in Boone County

Wer das Verhältnis der Amerikaner zur Kohle verstehen möchte, der muss in den südlichen Teil West Virginias reisen. "Coal country" nennen die Einheimischen diese Gegend. Kohleland. Seit mehr als einem Jahrhundert wird der Brennstoff hier aus dem Boden geholt. So wie in Danville, einem 800-Seelen-Ort im Boone County. Rings um das Tal ragen die baumreichen Berge der Appalachen empor. Es gibt einen Bahnhof, in dem große Transportgüterwagen stehen. Und ein Baseballfeld, aus dem erregte Stimmen dröhnen.

"Greift zu den Telefonen und ruft in Washington an", schreit Roger Horton ins Mikrofon. "Macht ihnen die Hölle heiß. Wir hören nicht damit auf zu nerven, bis jeder Minenarbeiter wieder einen Arbeitsplatz hat." Horton, weißer Vollbart, Sonnenbrille, ist Vorsitzender der "Citizens for Coal". Die Gruppe besteht aus ehemaligen Minenarbeitern und will das EPA-Gesetz verhindern.

Roger Horton (Foto: DW)
Roger Horton organisiert ProtestkonzerteBild: DW/S. Broll

Der 70-Jährige Vereinschef ist Bergarbeiter in vierter Generation. Er kennt das Datum seines ersten Minenganges auswendig und erzählt mit Leuchten in den Augen vom Tagebau. Für ihn ist Kohle aber nicht nur ein Joblieferant und ein günstiger Energiestoff, sondern auch ein Garant für die innere Sicherheit. "Wenn wir keine Kohle bergen, werden wir abhängig sein von anderen Ländern für unsere Stromerzeugung." Horton erinnert an das Ölembargo der OPEC-Staaten von 1973. "Wer sagt uns, dass so etwas nicht wieder passieren kann?" Dabei lässt er unerwähnt, dass die USA nur noch knapp 40 Prozent ihres Stroms durch Kohle gewinnen und dass auch alle anderen Energiequellen innerhalb des Landes geschöpft werden. So gelten die Vereinigten Staaten als größter Erdgasproduzent der Welt. Erneuerbare Energien machen fast 13 Prozent der Stromgewinnung aus - Tendenz steigend.

Rückschläge und Ermutigungen

In Danville hat Hortons Team das Konzert "Coalstock" auf die Beine gestellt. Lokale Musikgruppen wie die "Coal-Fired Band" treten auf, Politiker und Industrielle sprechen über die Gefahr des Kohlestopps. Die Organisatoren rechneten mit bis zu 1000 Besuchern aus den umliegenden Gemeinden. Drei Stunden nach Beginn sind 50 Gäste da.

Coal-Fired Band (Foto: DW)
Musik für Kohle: die "Coal-Fired Band" in DanvilleBild: DW/S. Broll

Entmutigen lässt sich die Truppe dennoch nicht - schließlich ist sie Rückschläge gewöhnt. Auch der aktuelle Kampf gegen die EPA hat nach Ansicht von Experten kaum Chancen auf Erfolg. Das liege vor allem daran, dass die Umweltbehörde ihren Gesetzesvorschlag als Beitrag zum Schutz der Bevölkerung vor gesundheitlichen Schäden vorgestellt hat. Somit kann sie die Richtlinien am Kongress vorbei durchsetzen, Abgeordnete haben keinen Einfluss. "Der einzige Weg, dass Staaten das Gesetz noch kippen könnten, wäre, wenn die EPA zugibt, dass sie sich in ihren Berechnungen geirrt hat", sagt Patrick Michaels vom CATO Institute. Und das werde nicht passieren.

Etwas positiver sieht Nick Rahall die Situation. Der Kongressabgeordnete sitzt seit 38 Jahren für West Virginia im Repräsentantenhaus. Doch durch die EPA-Regulierung steht die Wiederwahl des Demokraten im November auf der Kippe. Rahall steht während des Coalstock-Konzertes auf der Bühne und versucht, den Bürgern von Danville Mut zu machen. "Wir haben jetzt ein Jahr Zeit, um die Initiative zu kommentieren", sagt der Politiker, der sich selbst als "letzter demokratischer Kohleanhänger im Abgeordnetenhaus" bezeichnet. "Jeder kann sich dazu äußern." Wenn genügend Menschen protestieren, könne das Gesetz gekippt werden.

Nick Rahall (Foto: DW)
Nick Rahall sprach den Minenarbeitern Mut zuBild: DW/S. Broll

Um die Menschen zu mobilisieren, haben die "Citizens for Coal" die amtierende Kohle-Königin aus West Virginia eingeladen. Mit Krone und Schärpe heißt sie die Besucher am Eingang des Platzes willkommen, verkauft T-Shirts mit bunten Slogans. Der Erlös soll Familien zugutekommen, die von Minenschließungen betroffen sind. Auf einem der Shirts ist ein Bergarbeiter zu sehen, der auf allen Vieren durch einen Stollen kriecht. Die Schrift dazu: "Jesus liebt Kohleminenarbeiter."

Kohlekönigin verkauft T-Shirts (Foto: DW)
Die amtierende Kohlekönigin verkauft T-Shirts: "Jesus liebt Kohleminenarbeiter"Bild: DW/S. Broll

Die Stunde der Umweltaktivisten

"Für viele Menschen in West Virginia bedeutet eine Kritik an der Kohleindustrie fast so etwas wie einen Angriff auf ihre Religion", sagt Robin Blakeman, 49. Die Umweltaktivistin aus Barboursville, West Virginia, ist Pfarrerin der presbyterianischen Gemeinde, jede Art von Götzendienst scheint ihr suspekt. "Und Kohle stellt hier einen Götzen dar." Blakeman arbeitet für die Umwelt-Organisation OVEC. Sie hilft Menschen, die durch Kohlekraftwerke oder Bergbau gesundheitlich erkrankt sind: "Wir sehen gestiegene Zahlen von Asthmafällen und Krebsraten in der Nähe von Anlagen." Noch alarmierender sähen die Zahlen der Betroffenen aus, die in der Nähe von Kohleminen leben würden.

Blakeman sitzt am Steuer ihres goldenen Saturn Vues. Sie ist auf dem Weg nach Charleston, wo es Anfang des Jahres einen großen Umweltskandal gegeben hatte. In einem Behälter der Firma Freedom Industries war ein Leck aufgetreten, fast 38.000 Liter der giftigen Chemikalie MCHM gelangten in den Elk River. Das mittlerweile insolvente Unternehmen war mit dem Reinigen von Kohle betraut gewesen. Der Gouverneur musste den Notstand ausrufen, rund 300.000 Menschen hatten über Wochen kein Trinkwasser.

Die Aktivistin hält ihr Fahrzeug am Stadtkrankenhaus an und steigt einen kieseligen Weg Richtung Elk River hinab. Man habe die Verschmutzung riechen können, berichtet Blakeman: "Die Chemikalie erinnert an Lakritze oder Hustensirup. Ich kenne Leute, die bis heute Probleme mit ihrem Wasser haben." Solche Katastrophen könnte die CO2-Emissionsregulierung zwar nicht verhindern. Doch das EPA-Gesetz sei ein erster Schritt, um die Macht der Kohle in West Virginia zu brechen - und damit Platz für umweltfreundlichere Alternativen zu bieten.

Kohle West Virginia
Umweltschützerin Robin Blakeman am Elk RiverBild: DW/S. Broll

Robin Blakeman hofft, dass die Solarbranche besonders gefördert wird. "Wenn die Deutschen es können, dann wir allemal", sagt sie. Schließlich gebe es in West Virginia weitaus mehr sonnige Tage als in Deutschland.