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Der kritische Spender

Günther Birkenstock10. Dezember 2012

In Zeiten knapper öffentlicher Kassen sind Organisationen auf Spenden angewiesen. Die Spendenbereitschaft in der Bevölkerung nimmt jedoch ab. Das Internet und Fundraising werden so immer wichtiger.

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Sammelbüchse Geldspende Rotes Kreuz (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Alle Jahre wieder kommt nicht nur die holde Weihnachtszeit, sondern mit ihr auch der Aufruf zahlreicher Hilfsorganisationen, Menschen in Not mit Spenden zu unterstützen. Rund fünf Milliarden Euro geben Privatleute in Deutschland jedes Jahr an soziale Einrichtungen. Diese Zahl lässt sich jedoch nur schätzen, sagt Michael Urselmann, Professor für Sozialmanagement an der Fachhochschule Köln, denn viele Spenden können statistisch gar nicht erfasst werden. Fest steht nur die Summe, die beim Finanzamt steuerlich geltend gemacht wird, und das sind immerhin 4,2 Milliarden Euro. Was darüber hinaus in Sammelbüchsen oder kirchlichen Klingelbeuteln landet, weiß niemand.

Sowohl die Spender als auch diejenigen, die um Spenden werben, haben sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten deutlich verändert. Vor allem die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten habe hier eine Rolle gespielt, erklärt Michael Urselmann im Gespräch mit der Deutschen Welle. Durch die Kosten der Vereinigung seien die Mittel des Staates für soziale Projekte knapper geworden. Die Einrichtungen hätten sich um andere Geldquellen bemühen müssen. "Vor diesem Hintergrund wird auch deutlich, warum 1993 der erste Fundraising-Kongress stattgefunden hat", ergänzt Urselmann, der neben seiner Hochschularbeit soziale Organisationen zu professionellem Fundraising berät.

Roque Santa Cruz vom FC Bayer München posiert mit seiner Patenmappe für das internationale Kinderhilfswerk Plan. (Foto: dpa/lby)
Kinderpatenschaften sind bei Spendern besonders beliebtBild: picture-alliance/dpa

Schwer überschaubare Flut an Spendenwünschen

Inzwischen sind es nicht mehr nur Hilfsorganisationen wie "Brot für die Welt" oder "Miseroer", die die Bürger bitten, ihre Arbeit finanziell zu unterstützen. Auch Krankenhäuser, Schulen und Hochschulen drängten auf den Markt und forderten ihr Stück vom Spendenkuchen. Der Staat ermuntert sogar teilweise dazu, so Sozialmanager Urselmann, indem er sage: "Wenn Ihr als Hochschule private Gelder im Namen des Fundraisings einwerbt, um damit Stipendien für Studierende zu finanzieren, dann legen wir als Staat noch mal einen gewissen Betrag obendrauf." Dieses Finanzierungsmodell heißt "Deutschland-Stipendium" und zahlreiche Hochschulen nutzen es.

Neu aufgestellt hat sich der Spendenmarkt aber auch durch die veränderten Lebensgewohnheiten der Deutschen, ergänzt Christoph Hilligen, Pressesprecher des Hilfswerks World Vision: "Die Menschen reisen viel mehr, die Welt ist enger zusammengewachsen. Dadurch gibt es viel mehr Privatinitiativen. Jeder kennt irgendjemand, der mal in Afrika ein Projekt selbst organisiert hat." Außerdem gebe es heute viele Projekte, die im Internet starteten. "An ganz vielen Stellen wird heute um Spenden geworben, und das gab es vor zehn Jahren noch nicht."

Dr. Michael Urselmann, Prof. für Sozialmanagement an der FH Köln (Foto: privat)
Für professionelles Fundraising wirbt Michael UrselmannBild: Privat

Weniger Menschen spenden mehr Geld

Aber auch die hilfsbereiten Gönner haben sich gewandelt. Insgesamt sei zwar das Spendenvolumen in den vergangenen zehn Jahren gewachsen, stellt Michael Urselmann fest, die Zahl der Spender aber sei zurückgegangen. "Das liegt wohl an der sozialen Schere. Der Mittelstand wird ausgedünnt, die Armen werden ärmer, die Reichen reicher, weniger geben mehr." Insgesamt drückten nur 30 bis 40 Prozent der deutschen Bevölkerung einen Obolus ab, so Urselmann. "Die Mehrheit der Deutschen spendet also nicht."

Beliebt sind vor allem Kinderpatenschaften, stellt World Vision-Sprecher Christoph Hilligen fest. Je konkreter das Projekt, desto besser. "Und der Spender muss die Wirkung sehen können, also das, was seine Spende vor Ort wirklich erzielt." Man brauche also professionelle Methoden, um zu messen und zu beschreiben, was sich für obdachlose Familien in Haiti oder ein Krankenhaus in Gaza tatsächlich verbessere. Kleine Privatprojekte, so Hilligen, könnten eine solche Evaluierung und Dokumentation kaum leisten.

Die Geber sind kritischer geworden

Spender wollen heute auf der einen Seite mehr Information, auf der anderen Seite aber lehnten sie einen großen Verwaltungsapparat der Hilfsorganisationen ab, erläutert Michael Urselmann. Persönliche Kommunikation, auch am Telefon, sei den Menschen wichtig, denn sie hätten keine Lust mehr auf Rundbriefe und Newsletter. Ohne professionelles Fundraising geht es kaum noch: Insbesondere E-Fundraising, also Spendenwerbung über das Internet, werde immer bedeutender, auch wenn derzeit damit erst ein kleiner Anteil der Spenden erwirtschaftet wird.

Ein Kirchenbesucher steckt einige Münzen in den Klingelbeutel. Foto: dpa
Vertrauen in kirchliche Hilfsorganisationen ist nicht mehr selbstverständlichBild: picture-alliance/dpa

"Für das Fundraising ist es ganz zentral, zu den Menschen eine Beziehung aufzubauen", betont Hochschullehrer Urselmann. "Gerade im kirchlichen Bereich, wo man gesagt hat: Wir vertrauen der Institution, hat sich in den vergangenen zehn Jahren vieles verändert." Dafür gebe es zwei Gründe: Die Gesellschaft werde zunehmend säkularer und zahlreiche Skandale um den Missbrauch von Spendengeldern hätten das Vertrauen der Geber erschüttert. Dazu komme ein grundsätzlicher Bewusstseinswandel: Großzügige Spender seien vor allem Menschen ab 60 Jahren. "Das ist die Achtundsechziger Generation" - und die sei auch als Wohltäter eben kritischer.