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Ein Wehrmachtsoldat und Pazifist

19. Juli 2011

Der deutsche Soldat, der nicht töten wollte. Und deswegen selbst erschossen wurde. In Serbien kennen ihn die meisten. In Deutschland ist er nur eine Aktennotiz wert. Wieso? Michael Martens auf Heldensuche.

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Buchcover von Michael Martens Buch "Heldensuche" (Foto: Zsolnay Verlag)
Michael Martens "Heldensuche"Bild: Zsolnay Verlag

In Smederevska Palanka, in Zentralserbien, etwa 70 km südlich von Belgrad: Ein Denkmal erinnert an die Männer vom 20. Juli 1941, die von der Wehrmacht getötet wurden. Es waren 16 Serben und ein deutscher Soldat, der nicht schießen wollte, erzählen die Ortsansässigen. Der Name des Deutschen: Josef Schulz. Wieso steht in Serbien ein Denkmal für den Feind im Zweiten Weltkrieg? Und wieso ist Schulz außerhalb der Grenzen Serbiens wenig bis gar nicht bekannt? Wie konnten die deutschen Historiker diese Heldentat übersehen? Oder wollten sie die übersehen? Michael Martens begibt sich in seinem Buch "Heldensuche" auf eine detektivische Reise, die ihn durch Serbien, Österreich und Deutschland führt.

Das menschliche Gesicht des Feindes

Die Fakten: Im April 1941 marschiert die Wehrmacht in Jugoslawien ein. In nur elf Tagen ist das Land erobert. Am 17. April wird die Kapitulationsurkunde unterschrieben. Es folgen Massaker an Partisanen, Tschetniks, Kommunisten und unschuldigen Zivilisten. Bis Anfang Dezember 1941 erschossen Wehrmachtseinheiten zwischen 20.000 und 30.000 Serben.

Die Geschichte: Einer wollte an diesen Massakern nicht teilnehmen. "Nein, ich will nicht schießen. Diese Menschen sind unschuldig", sagte Josef Schulz, Soldat in der Artillerieabteilung 661 der 714. Division, aber eigentlich Schaufensterdekorateur aus Dortmund, der sich für Kunst interessierte. Eine Geschichte über den Glauben an das Gute im Menschen. Und trotzdem: frei von Widersprüchen ist sie nicht.

Keine Liebesgeschichte

Durch eine Lupe vergrößertes Puzzleteil (Foto: dpa)
Kleinarbeit RechercheBild: picture alliance/dpa

Es ist kein Krimi, aber es liest sich wie einer. Es ist kein historischer Roman, denn es ist eine wahre Begebenheit. Es ist kein Geschichtsbuch, denn es ist nicht mit Fakten überladen. Und schon gar nicht eine Liebesgeschichte. Also was ist es dann? Eine Reihe aus Begegnungen, aus Orten, Gesprächen, und Briefen: Sie alle sind Teil des Puzzles von Josef Schulz, dem Geschichtsrätsel vom 20. Juli 1941. Auf der Suche nach der Lösung tauchen neue Beweise auf, die die Heldentat bestätigen und dann solche, die sie widerlegen und wieder einige, die sie aufs Neue beleben. Ein Filmregisseur, eine Dichterin, ein Politiker - der Autor trifft nicht nur diese drei, sondern viele Hobbydetektive, deren Leben in irgendeine Weise mit dem Tod von Josef Schulz verstrickt sind. Jeder erzählt seine eigene Geschichte über den Helden von Smederevska Palanka. Sie sind seine Informanten, die eigentlichen Helden im Buch. Er trifft sie in einem von Gott und der Welt vergessenen Dorf in Serbien, in dem Restaurant namens "Balkan", in den Archiven von Ludwigsburg. Der Leser hat das Gefühl, daneben zu sitzen. Er sieht die rote Aufnahmelampe leuchten. Der Leser will auch Fragen stellen, der Lösung des Rätsels näher kommen. Im nächsten Moment fühlt er sich wiederum nur als Gast, wenn der Autor die Tür zu Titos Esszimmer öffnet und zu Tisch mit dem Präsidenten bittet. Der Leser ist aber auch ein Tourist, wenn Martens ihn in das alte Gasthaus "Drei Hüte" entführt und ihm anschließend die Straßen von Belgrad zeigt. Er ist auch Filmliebhaber, wenn er in den Archiven der jugoslawischen Filmgeschichte stöbern darf, und nicht zuletzt ist der Leser auch Ermittler, wenn er bei den Verhören der Zeugen des 20. Juli dabei ist.

Können Heldentaten verjähren?

Journalist Michael Martens im Porträt (Foto: Zsolnay/Heribert Corn/www.corn.at<9
Michael Martens spannende "Heldensuche"Bild: Zsolnay/Heribert Corn/www.corn.at

Es liegen genau 70 Jahre zurück. Die Heldentat ist in Smederevska Palanka nicht vergessen. Den Leuten in Serbien gefiel die Vorstellung, dass sogar ein Deutscher gegen das Unrecht aufstand, das den Serben angetan wurde. In Deutschland ist sie auch nicht vergessen, weil sie erst gar nicht bekannt war. Können Heldentaten verjähren? Haben sie ein Verfallsdatum? Nein, sicherlich nicht. Schon gar nicht solche. Das muss sich Michael Martens auch gedacht haben, als er unermüdlich in den staubigsten Regalen der Archive und in Dörfern, die auf keiner Landkarte verzeichnet sind, nach Beweisen gesucht hat. Und er findet sie auch. Die Suche nach dem, was sich am 20. Juli 1941 in Smederevska Palanka ereignete und was Josef Schulz damit zu tun hatte, ist eine fesselnde Geschichte, deren ungewöhnliche Protagonisten und detailreicher Schreibstil einen nicht loslassen bis das Rätsel gelöst ist.

Autorin: Rayna Breuer

Redaktion: Mirjana Dikic