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Sport als Geheimsache

Ronny Blaschke26. Dezember 2012

Fußball ist für muslimische Frauen keine Selbstverständlichkeit. So war das Kopftuch auf dem Platz lange verboten. Nun dürfen Frauen mit Tuch spielen - auch dank des Berliner Projekts "Discover Football".

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Arabische Fußballerinnen, Gruppenfoto in Berlin 2012 (Foto: Anne Misselwitz/DW)
Arabische Fußballerinnen, Gruppenfoto in Berlin 2012Bild: Anne Misselwitz

Reema Ramoniah wusste, dass die Frage nach dem Kopftuch kommt. Also lächelt sie, blickt ihrem Gesprächspartner höflich in die Augen und sagt: "Weder mein Vater noch mein Bruder haben mich gezwungen, ein Kopftuch zu tragen. Ich habe mich aus freien Stücken dafür entschieden. Es ist Teil meines Glaubens, ich bin Muslima." Reema Ramoniah, geboren in den USA, lebt mit ihrer Familie in der jordanischen Hauptstadt Amman. "Leider denken manche Leute noch immer, wir würden auf Kamelen reiten." Die 29-Jährige hat es sich zur Aufgabe gemacht, Klischees zu entlarven. In ihrer Heimat, in der Arabischen Welt, in Europa. Ihr Medium: der Fußball.

Ramoniah ist eine selbstbewusste, redegewandte Frau. Immer wieder hatte sie sich über das Kopftuchverbot des Weltfußballverbandes Fifa für offizielle Spiele geärgert. Die Fifa begründete das Verbot mit angeblicher Verletzungsgefahr. International diskutiert wurde das Thema im Frühjahr 2011. Bei einem Qualifikationsturnier für die Olympischen Spiele in London disqualifizierte die Fifa das iranische Team. Dessen Funktionäre hatten die Spielerinnen nicht ohne Kopftuch auflaufen lassen. Ramoniah startete eine Protestbewegung im Internet, innerhalb von zwei Wochen erhielt sie Zustimmung von 70.000 Menschen. Sie suchte den Kontakt zum jordanischen Prinzen Ali Bin Al-Hussein, dem Chef des nationalen Fußballverbandes und Vizepräsidenten der Fifa. Sie wandten sich an die Vereinten Nationen und sprachen mit europäischen Politikern. Im Juli dieses Jahres hob die Fifa das Kopftuchverbot auf.

Frauen in der Sporthalle - in Saudi-Arabien undenkbar

"Auch wir haben das Recht zu spielen", sagt Ramoniah. In den vergangenen Tagen nahm sie am Vernetzungstreffen des Frauenfußballprojekts "Discover Football" - Entdecke den Fußball - teil. Spielerinnen aus Nordafrika und dem Nahen Osten waren in Berlin zusammengekommen. So soll ein Netzwerk entstehen, das sportliche Strukturen in Tunesien, den palästinensischen Gebieten oder dem Libanon stärkt. Ramoniah ist im Jordanischen Fußballverband für die Entwicklung des Frauenfußballs zuständig. "Wir sind auf einem guten Weg", sagt sie. "Alle Spielerinnen des Verbandes werden bezahlt, in jeder Altersklasse. Wir haben mit 25 jungen Spielerinnen begonnen, inzwischen sind es fast 400." Sie weiß, dass diese Privilegien in der Arabischen Welt selten sind.

Reema Ramoniah (M.) bei der Debatte 2012 im taz-Cafe Berlin (Foto: Johanna Kösters/DW)
Reema Ramoniah (M.) setzt sich auch im taz-Cafe in Berlin für die arabischen Frauen einBild: Johanna Kösters

Sarah aus Riad, der Hauptstadt Saudi-Arabiens, kann davon nur träumen. Mit den anderen Teilnehmerinnen besuchte sie während der Bildungsreise eine Grundschule in Kreuzberg. Staunend hat sie beobachtet, wie Mädchen in der Sporthalle ausgelassen einem Ball hinterher liefen. Sarah, 28, ist eine zierliche Frau, sie möchte ihren richtigen Namen nicht nennen, sie fürchtet Repressionen. "Frauen in Saudi-Arabien haben keinen Zugang zum Sport. Wir können Sport nicht professionell betreiben, wir haben keine Plätze und Hallen. In den Traditionen vieler Menschen kommt Sport nicht vor. Doch die Gesellschaft öffnet sich, wenn auch nur langsam."

Besuch im Bundestag

Die studierte Lehrerin bezeichnet ihre Familie als fortschrittlich, ihre Eltern respektieren ihr Hobby. 2006 hat sie den Fußballverein Attahadi gegründet, zu Deutsch: Herausforderung. Sarah suchte Unterstützung, ohne viel Aufmerksamkeit zu erregen. Attahadi spielt auf Hinterhöfen, auf entlegenen Straßen, in Gärten. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit, abgeschottet von Männern, ohne Sponsoren. Sarah träumt von Schulsport für Mädchen, von einer Fußballakademie, von einem saudischen Frauennationalteam: "Bis dahin ist es ein weiter Weg. Viele Eltern sind noch immer skeptisch. Deswegen möchte ich ihnen früh klar machen, wie sehr ihre Töchter durch Fußball profitieren würden."

Marlene Assmann (l.) beim Fußballspiel in Teheran 2006 (Foto: privat/DW)
Für Marlene Assmann (l.) von "Discover Football" ist es wichtig Verantwortung zu übernehmenBild: privat

Viele Frauen in Saudi-Arabien leiden an Bewegungsarmut, Diabetes, Depressionen. Sport könnte daran etwas ändern. Inzwischen existieren acht Frauenteams. Auch "Discover Football" will dafür sorgen, dass es mehr werden. Eine Woche lang haben die Spielerinnen aus der Arabischen Welt in Berlin an Workshops teilgenommen: über ehrenamtliches Engagement, den Kampf gegen Diskriminierung, die Stärkung der Frauenrolle. Die Gruppe war im Bundestag zu Gast, verfolgte ein Training des Zweitligaklubs Union Berlin, besuchte das Heimspiel von Hertha BSC gegen Köln.

Gesang gegen Unterdrückung

"Discover Football" möchte diesen Austausch regelmäßig stattfinden lassen. "Wir haben die Region der Arabischen Revolution bewusst gewählt", sagt Marlene Assmann, eine der tragenden Figuren von "Discover". "In der Zeit eines Umbruches ist es wichtig, dass Frauen Verantwortung übernehmen und ihre Chance auf Teilhabe nutzen."

Die Basis für das Projekt "Discover Football" legte der Berliner Verein Al Dersimspor. Das multikulturelle Team hatte 2006 in Teheran gegen die iranische Auswahl gespielt, in der ersten offiziellen Frauenpartie seit 1979. Auf den Tribünen sangen 1000 Zuschauerinnen, auch gegen die Unterdrückung von Frauen. Das Rückspiel sollte 2007 in Berlin stattfinden, doch kurz vor der Partie kam die Nachricht aus Iran: das Team dürfe nicht ausreisen. Seitdem veranstaltet "Discover" internationale Turniere und lädt Teams nach Berlin ein, gefördert durch das Auswärtige Amt. Für die nächste Auflage im kommenden Sommer werden sich wohl wieder mehr als siebzig Teams aus rund 50 Ländern bewerben. Für die meisten von ihnen ist Frauenfußball noch lange keine Selbstverständlichkeit.