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Lateinamerika Nuklearpolitik

17. März 2011

Während sich die Situation in Japan verschlimmert, machen sich die Staatschefs in Lateinamerika Gedanken über ihre nuklearen Technologien. Venezuela hat seine Atomenergiepläne sogar auf Eis gelegt.

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Radioaktivitätszeichen (Grafik: dw)
In welche Richtung steuert die Atompolitik in Lateinamerika?

Von den 439 Reaktoren, die es auf der Welt gibt, befinden sich nur sechs in Lateinamerika. Vorreiter dieser Technologie in Lateinamerika war Argentinien, wo das erste Kernkraftwerk der Region entstand. Heute gibt es in Argentinien zwei funktionierende Atomkraftwerke, ein drittes befindet sich in der Bauphase.

Argentinien hat schon früh auf Atomenergie gesetzt ...

Néstor Kirchner, der im Oktober 2010 verstarb, und seine Frau Cristina Fernández de Kirchner besuchten 2007 das Kernkraftwerk Atucha. Sie stehen vor einer Röhre und tragen beide Helme (Foto: dpa)
2007 besuchten der mittlerweile verstorbene Präsident Kichner und seine Frau, die heutige Präsidentin, Atucha IIBild: Picture-Alliance/dpa

Das Atomkraftwerk "Atucha I", am Ufer des Flusses Paraná de las Palmas, ungefähr 100 km nordwestlich von Buenos Aires, wurde 1968 gebaut und 1974 in Betrieb gesetzt. Das Kernkraftwerk "Atucha II" befindet sich noch im Bau, soll aber dieses Jahr ans Netz gehen. Die Bauarbeiten an "Atucha II" wurden 1981 begonnen, mussten jedoch im Jahr 1994 vorerst unterbrochen werden. Zu dem Zeitpunkt waren bereits über 80 Prozent des Kraftwerks errichtet worden.

Die Hintergründe für den Baustopp sind recht komplex: Ursprünglich war das Projekt als Joint Venture zwischen der argentinischen Atomenergiebehörde (CNEA) und der Kraftwerk Union, einem Tochterunternehmen von Siemens und AEG, geplant gewesen. Siemens gliederte jedoch seine Kernkraftgeschäfte sukzessive aus, was auch zu Verzögerungen im Bau von "Atucha II" führte. 2004 wurden schließlich Verhandlungen mit der französischen Framatone, an der Siemens noch zu 34 Prozent beteiligt ist, aufgenommen. Das französische Tochterunternehmen des Areva Konzerns wurde inzwischen in Areva NP umbenannt und soll nun die vor dreißig Jahren begonnenen Bauarbeiten zu Ende führen.

... und setzt auch weiterhin auf Atomenergie

Das Atomkraftwerk "Embalse", welches sich in dem gleichnamigen Ort in der Provinz Córdoba befindet, war das zweite Atomkraftwerk, das in Argentinien ans Netz ging. "Embalse", die größte thermische Anlage Südamerikas, liegt etwa 100 km südwestlich von Córdoba und rund 700 km nordwestlich von Buenos Aires.

Aufnahme des Kernkraftwerks Embalse (Foto: IAEA - International Atomic Energy Agency)
Das Kernkraftwerk Embalse ist seit 1984 in Betrieb. Es befindet sich in der Provinz Córdoba am südlichen Ufer eines Stausees auf dem Río Tercero, nahe der Stadt Embalse.Bild: IAEA

Die drei erwähnten Atomkraftwerke werden von der Firma Nucleoeléctrica Argentina S.A. betrieben und liefern 6,2 Prozent des jährlichen Strombedarfs des Landes. Eine Zahl, die sich in Zukunft wahrscheinlich erhöhen wird, denn im Dezember 2010 wurde bestätigt, dass die vom Toshiba-Konzern aufgekaufte US-Firma Westinghouse das vierte argentinische Atomkraftwerk bauen wird: "Atucha III".

"Brasilien muss inne halten, um nachzudenken"

Aufnahme des Kernkraftwerks Angra mit den Reaktoren Angra 1 und Angra 2 (Foto: dpa)
Die beiden brasilianischen Atomreaktoren Angra 1 (l.) und Angra 2 im Bundesstaat Rio de JaneiroBild: Picture-Alliance/dpa

In Brasilien werden 3,1 Prozent des Strombedarfs des Landes durch Atomenergie geliefert. Dort sind zurzeit zwei Atomkraftwerke in Betrieb, ein drittes wird gerade gebaut. Das Atomkraftwerk "Almirante Álvaro Alberto", bekannt als Atomkraftwerk "Angra", befindet sich am Strand Itaorna, in Angra dos Reis, im Bundesstaat Rio de Janeiro.

1982 nahm "Angra I" seinen Betrieb auf, im Jahre 2000 folgte "Angra II" und im Juni 2010 wurde der Bau von "Angra III" begonnen. Auch wenn die brasilianische Regierung vier weitere Kernkraftwerke in Planung hat, erklärte nun José Sarney, Präsident des brasilianischen Kongresses, angesichts der Katastrophe in Japan, "dass die Sicht auf nukleare Energie ernsthaft überdacht werden müsse. […] Durch die Probleme in Japan müssen wir nun inne halten, um nachzudenken“.

Mexikanische Atomgegner warnen vor großen Risiken

"Laguna Verde", in Punta Limón, Veracruz, ist das einzige mexikanische Atomkraftwerk. Es liefert vier Prozent der Energie des gesamtes Landes. Zu "Laguna Verde" zählen zwei Generatoren, die jeweils 1989 und 1995 ans Netz gingen.

Aufnahme des Kernkraftwerks Laguna Verde (Foto: http://en.wikipedia.org/wiki/File:Laguna_Verde_Nuclear_Power_Plant.jpg)
Das Kernkraftwerk Laguna Verde ist das einzige mexikanische Kernkraftwerk. Es liegt in der Gemeinde Alto Lucero im mexikanischen Bundesstaat Veracruz.Bild: cc-by-sa/Exarkunmx

Das Atomkraftwerk befindet sich an der mexikanischen Golfküste, etwa 70 km südöstlich von Veracruz, und wird heftig von Umweltaktivisten kritisiert. Die Anti-Atomkraft Gruppe "Madres Veracruzanas" (Die Mütter von Veracruz) erklärte, dass "Laguna Verde" die gleichen Eigenschaften und das gleiche Kühlsystem wie das havarierte Atomkraftwerk in Japan aufweisen würde. Dies bedeute, dass sich bei ähnlichen Naturkatastrophen genauso ein Unglück in Mexiko wiederholen könne.

Chile wird skeptisch, Venezuela stoppt Atompläne

Neben Brasilien, Mexiko und Argentinien gibt es auch noch andere lateinamerikanische Länder, die auf Atomenergie setzen. Am kommenden Freitag (18.03.2011) wird Barack Obama Chile besuchen, um über gemeinsame Atomenergiepläne zu sprechen. Doch der verheerende Unfall in Japan und die Tatsache eines der Länder zu sein, die am häufigsten von Erdbeben und Tsunamis heimgesucht werden, macht die Chilenen nun skeptischer. Chile verfügt bislang nur über zwei kleine Versuchsreaktoren in den Ortschaften La Reina und Lo Aguirre, die der Forschung und medizinischen Zwecken dienen.

Hugo Chávez und Dmitri Medwedew lachen zusammen (Foto: dpa)
Pläne ausgesetzt: Chávez und Medwedew wollten zusammen ein Atomkraftwerk in Venezuela bauenBild: picture-alliance/ dpa

Venezuela hat im Oktober 2010 einen Vertrag mit Russland über den Bau eines Atomkraftwerks unterschrieben. Der venezolanische Präsident Hugo Chávez versuchte, die Atomenergie als saubere Energiequelle zu fördern. Wegen der durch die Naturkatastrophe in Japan ausgelösten Probleme aber hat Venezuela seine Atomenergiepläne nun auf Eis gelegt, wie Chávez am Mittwoch (16.03.2011) in Caracas mitteilte.

Auch in Europa beobachtet man das lateinamerikanische Interesse an der Atomenergie. Die Erklärung von Fulvio Conti, Präsident von Enel, dem größten italienischen Energiekonzern, überrascht wenig. In Anbetracht der Ereignisse in Japan erklärte Conti am Dienstag (15.03.2011), dass "Enel weiterhin, aber ohne Hast, an einer Verbesserung der nuklearen Struktur in Lateinamerika arbeite."

Autorin: Valeria Risi / Lea Ferno
Redaktion: Enrique López / Marco Müller