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Weidenfeld: "Die FDP braucht eine klare Strategie"

Janine Albrecht9. Mai 2014

Nach dem Rausschmiss aus dem Bundestag kämpft die FDP um ihre Existenz. Politikwissenschaftler Werner Weidenfeld betont im DW-Interview, der FDP fehle für einen erfolgreichen Neustart eine klare Zukunftsperspektive.

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Professor Werner Weidenfeld in seinem Büro im Centrum für angewandte Politikforschung (CAP) der Ludwig-Maximilian-Universität in München (Foto: CAP)
Bild: privat

Deutsche Welle: Bei der Bundestagswahl 2009 hatte die FDP mit 14,6 Prozent ihr bestes Wahlergebnis aller Zeiten, nur vier Jahre später mit 4,8 Prozent ihr schlechtestes. Wie kann eine Partei so abrutschen?

Werner Weidenfeld: Guido Westerwelle hat 2009 einen sehr guten Wahlsieg davon getragen. Aber danach gab es irgendwie so ein Durchwurschteln, da mal eine Polemik zu dem Punkt und dann zu dem Punkt. Da hat sich kein wirkliches prägendes Bild mehr verbunden. Die Partei hat es nicht geschafft, diesen Sieg in ein Zukunftsbild machtpolitisch umzusetzen. Ich hatte Westerwelle damals geraten, er soll sich so ein großes Zukunftsministerium schneidern - wenn man so gut abschneidet hat man alle Möglichkeiten - aber nein, er wollte Außenminister werden. Dann hat er das Außenministerium übernommen und hat innenpolitische Polemik betrieben und das kam dramatisch schlecht an.

Ist der Rausschmiss aus dem Bundestag die Quittung für die Profillosigkeit der letzten Jahre?

Das was sie jetzt bekommen hat ist die Quittung dafür, was sie nach der letzten Bundestagswahl gemacht hat. Nach dem großen Zulauf kam da nichts mehr. Das kann allerdings auch anderen Parteien passieren. Die Wählerschaft ist mobiler, die Stimmungsfelder sind viel flexibler. Die Piraten gehen mal hoch und dann stürzen sie wieder ab. Die Grünen waren vor der Bundestagswahl dramatisch hoch, dann zählten sie quasi zu den Verlierern. Es gibt nicht mehr diese Zustimmungsblöcke wie in Marmor gemeißelt. Die FDP nimmt Teil an einem Grundsatzproblem dieser Republik. Die Parteien bieten keine magnetisch bindenden Zukunftsbilder mehr. So wie es in den 1950er Jahren bei Konrad Adenauer (CDU) war. Da gab es noch Pro und Contra. So auch bei Willi Brandt, etwa für oder gegen Entspannungspolitik, ja oder nein zur Nato-Nachrüstung. Das hat Familien aufgewühlt. Sie haben jetzt überhaupt kein Thema mehr, das die Leute aufregt oder unter die Haut geht.

Bürgerrechte könnten doch so ein Thema sein - aber im Zuge der NSA-Affäre hat man recht wenig von der FDP gehört, oder?

Das stimmt. Die FDP hat das Thema nicht übersetzt. Wenn sie das in so eine abstrakte Begrifflichkeit bringen, also "Bürgerrechtspartei“, oder "wir sind die Liberalen", oder "das Land braucht eine liberale Note", ja, welcher Nachbar versteht sowas? Denn bei dem, was so herkömmlich unter liberal verstanden wird, wird ein Unionsvertreter auch sagen, wir sind liberal. Inzwischen sagt das auch die SPD und die Grünen. Ja, und? Was hilft mir da, dass eine andere Partei, die dann noch sagt, wir sind doch die eigentlich Liberalen.

Spielt der Liberalismus in Deutschland keine Rolle mehr?

Doch, er muss nur präzise übersetzt werden. Die Leute mögen es nicht, wenn sie bevormundet werden. Wenn nun eine Partei vermitteln kann, dass sie der Garant dieser Lebensweise ist, die die Leute mögen, das ist ein Pluspunkt. Die Leute möchten aber auch sozial abgesichert sein. Nur es muss so rübergebracht werden, dass es den Leuten unter die Haut geht, nur eine schöne Rede halten nutzt da nichts.

Momentan scheint die FDP von solch prägenden Zukunftsbildern weit entfernt zu sein. Vielmehr wird die Chance in der Krise, die neue Unabhängigkeit und Selbständigkeit der Partei beschworen.

Das sind freundliche Sprüche, was soll eine Partei jetzt auch anderes sagen? Dass ist so eine Art Überwinterungsrhetorik, aber damit erreicht man keine Einprägung. Ich will Ihnen mal ein anderes Beispiel geben: Als Anfang der 1980er Jahre die Grünen hochkamen, war der damalige CDU-Vorsitzende Helmut Kohl tief beunruhigt. Denn er sah, dass die Grünen der CDU Stimmen streitig machten. Was hat Kohl gemacht? Er hat entsprechend einprägsame Formeln gebracht. Was ihm bis heute noch humorvoll nachgehalten wird. Er sprach von der "geistig-moralischen Wende". Die einen waren dafür, die anderen dagegen, die einen haben sich kaputt gelacht, die anderen waren zornig, aber es hat die Emotionen getroffen. Dann hat er gesagt "wir fordern eine Gesellschaft mit menschlichem Gesicht, denn wir müssen die Schöpfung bewahren" das sind Sätze aus den 1980er Jahren, die einem heute noch im Gedächtnis sind. Nennen Sie mir doch einen Satz von irgendeiner FDP-Führungsrede von vor einem Jahr, den man genauso noch als ganz wichtigen Satz in Erinnerung hat.

Die anstehende Europawahl wird als ein Etappenziel auf dem Weg zur Bundestagswahl 2017 gesehen.

Sie müssen als Parteivorsitzender jetzt sagen, eine ganz wichtige Wahl steht an, die Europawahl. Sie können doch ihre eigenen Leute nicht ermüden und denen Schlaftabletten austeilen. Die Europawahl ist schon aus vielen verschiedenen Konstellationsgründen interessant, aber ob die FDP langfristig überlebt oder nicht, dass wird sie nicht aus der Europawahl ableiten können. Natürlich wird sie da ein paar Mandate im Parlament bekommen, weil die Prozenthürden - früher fünf, jetzt drei - gefallen sind, das hilft auch der FDP. Insofern ist das Risiko sehr begrenzt.

Im Bundestag besteht die Fünfprozenthürde. Die FDP hat schon viele Krisen durchgemacht, allerdings hat sie den Sprung ins Parlament immer geschafft. Was haben frühere Parteichefs anders gemacht?

Hans-Dietrich Genscher hat gespürt, die FDP geht mit dem Niedergang der SPD mit unter, wir müssen die sozial-liberale Koalition beenden. Das hat er über Jahre vorbereitet. Die Koalition wäre früher beendet worden, hätte die Union damals nicht Franz Josef Strauß als Kanzlerkandidat nominiert gehabt, damit musste die FDP länger an der Seite der SPD bleiben als sie eigentlich wollten. Aber das sind so strategische Komponenten, die heute fehlen. Oder 1989: Die Umfragewerte waren so auf dem Tiefflug, das Genscher spürte, da gehen wir mit unter. Und dann fiel die Mauer und man bleibt weiter an der Seite der Union und ist weiter erfolgreich. Manchmal sind auch einfach glückliche Umstände notwendig.

Also heute fehlt die richtige Strategie - aber was ist mit politischen Inhalten?

Zur wirklich erfolgreichen Strategie gehören Inhalte, das meine ich mit dem Hinweis, die anderen Parteien sind genauso getroffen, sie bieten keine kompakten Zukunftsbilder mehr. Die Parteien sind findiger geworden, je nachdem wenn sie eine Strömung in der Bevölkerung sehen, dann drehen sie sich um. Auch die Kanzlerin hat mit dieser Wendigkeit Erfolg. Wir nennen das in unserem Fach die asymmetrische Demobilisierung, also Merkel schaut genau hin was Anhänger von Konkurrenten mobilisiert, das räumt sie ab. Was die Kanzlerin betreibt ist kein strategisches Bild, sondern eindrucksvolles Krisenmanagement. Die FDP ist draußen, sie braucht kein Krisenmanagement, sondern ein prägendes strategisches Zukunftsbild. Da können auch Leute dagegen sein. Wo wollen sie denn heute bei der FDP dagegen sein? Was die FDP bietet ist doch alles so nett. Aber damit mobilisiert sie nicht ihre potentiellen Anhänger.

Glauben Sie, dass die FDP die Rückkehr in den Bundestag schafft?

Das Problem ist auch, dass die mediale Aufmerksamkeit nachlässt. Da gibt es bei der FDP jetzt noch so einen gewissen Nachhall, die gab es doch, da tauchen sie auf in den Medien, aber nicht mehr mit so einem Automatismus. Wenn die Liberalen es beim nächsten Mal wieder nicht schaffen, dann haben sie in der Tat mittelfristige Existenzprobleme. Nur in dieser mobilen Wählerlandschaft kann man nicht sagen, die werden auf jeden Fall absinken, die gewinnen. Das ist heute viel stimmungsgeleiteter als früher. Die FDP hat gute Chancen, wenn sie es strategisch packt, wenn die es aber so macht, wie in den letzten Jahren, ja dann stürzt sie weiter ab.

Professor Werner Weidenfeld leitet das von ihm begründete Centrum für angewandte Politikforschung (C.A.P.) in München. Die Denkfabrik C.A.P. berät Führungskräfte in Politik, Verwaltung und Wirtschaft. Bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2013 lehrte er auch an der Ludwig-Maximillians-Universität in München zu politischen Systemen und der europäischen Einigung. Seit seiner Emeritierung ist er auch Rektor der Alma Mater Europaea - European University for Leadership.

Das Interview führte Janine Albrecht.