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Die Grenzen der globalisierten Welt

Mirjam Gehrke4. Oktober 2013

Angesichts des Flüchtlingsdramas vor Lampedusa steht die EU-Flüchtlingspolitik einmal mehr in der Kritik. Hilfsorganisationen beklagen, dass es für viele Flüchtlinge kaum mehr möglich sei, legal nach Europa zu kommen.

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Illegale Einwanderer in einem Lager in Griechenland (Foto: dpa)
Illegale Einwanderer in einem Lager in GriechenlandBild: picture alliance / dpa

Mit 15 Jahren hat Francois Romeo Ntamag sein Heimatland Kamerun verlassen. Das war 2003. Zusammen mit seinem älteren Bruder wollte er nach Europa. "Wir haben mehrere afrikanische Länder durchquert, bis wir an die Grenze zwischen Marokko und Spanien kamen." Das war 2005. Sie wurden festgenommen bei dem Massenansturm auf die Grenzanlagen von Ceuta und Melilla. Weit über 10.000 Menschen versuchten damals, die Zäune der spanischen Exklaven zu überwinden. Mit Leitern und bloßen Händen versuchten sie, über den Stacheldraht zu kommen, 14 Personen wurden von Grenzpolizisten erschossen. "Uns hat man in die algerisch-malische Wüste deportiert", erinnert sich Francois Romeo Ntamag. "Über 1000 Menschen sind dort schon gestorben. Wie durch ein Wunder haben wir es bis zur malischen Grenze geschafft." Ende Juni 2006 kamen er und sein Bruder in Bamako an. "Wir haben auf der Straße gelebt, geschlafen und gebettelt."

Seit Inkrafttreten des Schengen-Abkommens, das die Grenzkontrollen innerhalb der EU weitestgehend abgeschafft hat, gilt eine Visumpflicht für die Länder Subsahara-Afrikas. "Das hat für die Gesellschaften Westafrikas eine katastrophale Folge", sagt Martin Glasenapp von Medico International. "Früher haben viele Westafrikaner zwei oder drei Monate in Frankreich gearbeitet, z.B. in der Automobilindustrie, und sind dann in ihre Heimatländer zurückgekehrt." Heute sei es "fast unmöglich, legal nach Europa zu kommen". Hilfsorganisationen wie Medico International schätzen die Zahl der illegalen Einwanderer in Europa auf sechs Millionen.

Abhängigkeit oder Entwicklung?

Weltweit gelten 232 Millionen Menschen als Migranten, d.h. sie leben dauerhaft oder vorübergehend außerhalb ihres Heimatlandes, teilweise legal, teilweise ohne Papiere. Einen großen Teil ihres Einkommens schicken die Auswanderer an die Familien zu Hause. Schätzungen der Weltbank zufolge beliefen sich die Überweisungen im Jahr 2012 auf insgesamt rund 302 Milliarden Euro. Das ist drei Mal soviel wie die weltweite offizielle staatliche Entwicklungshilfe. Das Geld wird in der Regel in Schulbildung, Gesundheit und den Hausbau investiert.

"Rücküberweisungen von Arbeitsmigranten fördern keine Entwicklung sondern sie schaffen neue Abhängigkeiten", warnt die malaysische Frauenrechtlerin Irene Fernandez. "Migranten sehen sich gezwungen, ihre Heimat zu verlassen, weil sie keine Arbeit finden. Das ist eine Fehlentwicklung der globalisierten Wirtschaft: Die Unternehmen beuten billige Arbeitskräfte aus, um ihre Gewinne zu steigern", so die Leiterin der Hilfsorganisation Tenaganita, die sich für die Rechte von Hausangestellten einsetzt.

Spanische Polizisten verhaften illegale Einwanderer, nachem ihnen die Überfahrt über das Mittelmehr bis an die spanische Küste gelungen war (Foto: Archivbild)
Spanische Polizisten nehmen illegale Einwanderer nach ihrer Ankunft an der Küste festBild: picture-alliance/dpa

Als Beispiel für diese Abhängigkeit nennt Fernandez die Philippinen. "Die Wirtschaft dort ist sehr konsumorientiert. Es gibt keine wirtschaftliche Entwicklung durch eigene Produktion. Das Land nutzt seine eigenen Ressourcen nicht, um wirtschaftlich unabhängig zu werden", sagt Irene Fernandez, die 2005 für ihren Einsatz gegen die Ausbeutung von Wanderarbeiterinnen mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet wurde. "Viele illegale Arbeitsmigranten leben am Existenzminimum und ständig in der Angst, verhaftet zu werden. Ihre Sicherheit ist nicht gewährleistet und sie sind von ihrer Familie getrennt. Ich würde das nicht als Entwicklung bezeichnen."

Wohlstand ermutigt zum Auswandern

Entwicklungshilfe hat häufig zum Ziel, den Menschen vor Ort Perspektiven zu bieten und die Auswanderung zu verhindern. Das Gegenteil sei jedoch oft der Fall, sagt Martin Glasenapp und verweist auf das Ergebnis einer OECD-Studie: "Wenn das Einkommen steigt, steigt auch die Migration. Wenn man gar nichts hat, kann man nicht weg. Wenn man ein bisschen was hat, kann man zusammenlegen und versuchen wegzukommen." Die Entwicklungspolitik, solle sich viel mehr "mit den ungleichen Wirtschaftsbeziehungen und Handelsabkommen beschäftigen", fordert Glasenapp. "Entwicklungspolitik muss dazu beitragen, dass die Grenzen offener werden."

Mitglieder einer Mikrokredit-Genossenschaft in Butembo/Kongo zählen Geld, das Angehörige aus dem Ausland überwiesen haben. (Foto: DW)
Rücküberweisungen von Migranten sind oft das einzige Einkommen für die Familie zuhauseBild: picture-alliance/Godong

Die EU hat mit den Maghreb-Staaten Abkommen geschlossen, in denen Länder wie Algerien, Marokko, Tunesien und Libyen sich verpflichten, die Kontrollen an ihren Grenzen zu verschärfen, um die Migration nach Europa einzudämmen. "Marokko und Algerien sind zu Polizisten für die EU geworden", kritisiert Francois Romeo Ntamag. In der malischen Hauptstadt Bamako leitet er inzwischen eine Selbsthilfeorganisation für zurückgeschickte und abgeschobene Migranten.

"Mali ist das einzige westafrikanische Land, das abgeschobenen Migranten aufnimmt. Wenn Mali, genau wie Niger, die Aufnahme dieser Menschen verweigern würde, würden sie in der Wüste sterben", weiß Ntamag aus eigener Erfahrung. Im DW-Interview appelliert er an Europa, mit der Verhaftung von Migranten Schluss zu machen. Das sei eine Verletzung von Artikel 3 der Menschenrechtserklärung, der das Recht auf Freizügigkeit und freie Wahl des Wohnsitzes garantiert.