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Was Split über den Zustand Kroatiens verrät

Dunja Dragojević18. Juni 2012

Einst blühte die Stadt an der Adria. Jetzt leidet sie unter maroder Industrie und hoher Arbeitslosigkeit. Unsere Reporterin hat Künstler getroffen, die sich für ihre Stadt und ihr Land neue Impulse aus Europa erhoffen.

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Das Innenleben vom Diokletianspalast in Split. Copyright: DW/Dunja Dragojevic-Kersten
Bild: DW

Die Stadt an der Adria gilt als etwas ganz Besonderes. Die Einwohner von Split blicken mit Stolz auf die 1.700-jährige Geschichte der malerisch gelegenen Stadt. Es heißt, schon die alten Griechen hätten die Magie des Ortes erkannt und dort eine antike Kolonie gegründet. Im vierten Jahrhundert nach Christus war der römische Kaiser Diokletian derart angetan, dass er beschloss, seinen Sommersitz dorthin zu verlegen. Heute ist der Palast das Herzstück von Split und inzwischen von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt.

In den Sommermonaten flanieren Tausende Touristen über die berühmte Promenade – die Riva. Gut gekleidete Menschen, teure Sonnenbrillen, exclusive Modegeschäfte – die Riva ist sozusagen der Showroom der Stadt. Schön, schick und stolz präsentieren sich die Menschen und die Stadt gleichermaßen.

Stadt mit zwei Gesichtern

Doch es gibt auch das andere Split, das, was Touristen nicht sehen. Das ist die graue Realität. Kroatien ächzt unter einer Arbeitslosenquote von etwa 19 Prozent. In Split ist sie noch höher - über 22 Prozent. Nirgendwo im Land gibt es so viele Menschen ohne Job wie in der Stadt und im Umland. "Split ist eine Art Lackmustest für das, was in diesem Land passiert. In der Stadt ist man immer sehr viel leidenschaftlicher. Die Probleme treten hier deutlicher zutage", sagt Mladen Badovinac, Frontmann der populären Spliter Hip-Hop-Band The Beat Fleet. TBF, wie die Fans sagen, ist mit klugen, sozialkritischen Texten in ganz Kroatien berühmt geworden. Die Presse nennt sie gerne "Rebellen". Sie selbst sehen sich nicht als solche, sondern als Zeitzeugen, authentisch und unabhängig. Sie wollen Geschichten erzählen, die in kroatischen Mainstream-Medien nicht vorkommen.

Riva - die berühmte Promenade von Split (Copyright: DW/Dunja Dragojevic-Kersten) Split, Mai 2012
Riva - die berühmte Promenade von SplitBild: DW
Spliter Hip-Hop Band TBF am Stadttrand Duilovo (Foto: Dunja Dragojevic/DW)
Gesellschaftskritik im Hip-Hop-Rhytmus - Spliter Band TBF am Stadtstrand DuilovoBild: Dunja Dragojevic

Die Jungs von TBF lieben ihre Stadt, sind aber auch tief enttäuscht von der aktuellen Entwicklung. "Es ist absurd, dass ausgerechnet Split so viele Probleme hat, dass es so zurückgeblieben ist. Die Stadt war früher eine mediterrane Metropole. Im Vergleich zu anderen kroatischen Städten hatte Split viel mehr zu verlieren", sagt Badovinec.

Ursachen für den Verfall

Doch was ist passiert? Split sei zum Umschlagplatz für Tourismus, Schmuggel und Handel geworden, finden die Musiker von TBF. Die Ursachen für diese Entwicklungen liegen in den 1990er Jahren. Damals führten Kroatien und Serbien Krieg gegeneinander. Split stand zwar nicht im Zentrum der Kriegsgeschehnisse, lag auch nicht unter schwerem Beschuss.

"Wir litten mehr unter anderen Kriegsfolgen: Wir mussten zuschauen, wie in verlassene Wohnungen eingebrochen wurde. Wir sahen zwielichtige Gestalten, die in solchen Zeiten immer an die Oberfläche gespült werden", erzählt der 35-jährige Badovinec. Er und seine Bandkollegen, alle zwischen 30 und 40, sehen sich als Teil der verlorenen Generation, aufgewachsen im Vakuum zwischen dem kommunistischen Regime Titos, der die Nachkriegszeit bis zu seinem Tod 1980 prägte, und dem nationalistischen Regime Tudjmans, der Kroatien in den 1990er Jahren seinen Stempel aufdrückte.

"Wir sind uns in Kroatien noch nicht mal einig, ob Tudjman ein großer Staatsmann und Vater der Nation war oder eine Art Diktator, der seinen Willen durchsetzen wollte, und der ganz fern der Wirklichkeit war", sagt Saša Antić, der die Songtexte von TBF schreibt. Ihm tut es in der Seele weh, dass die urbane Kultur Splits zerstört ist. An einen Zufall glaubt er nicht. "Man hat den Krieg instrumentalisiert, um Menschen das Gehirn zu waschen, um Propaganda zu führen. In Split sind prollige Typen und zwielichtige Gestalten an die Macht gekommen. Unter dem Vorwand des Patriotismus sind vermeintlich neue Werte eingeführt worden, dabei ging es eigentlich nur um eigene Interessen." Das ist seine Erklärung für den finanziellen, kulturellen und moralischen Verfall Kroatiens.

Graffiti in Split: "I hate/love this town" - "Ich hasse/liebe diese Stadt" (Copyright: DW/Dunja Dragojevic-Kersten Split, Mai 2012
Hassliebe zur eigenen Stadt - ein Gefühl, dem man in Split oft begegnet ("Ich hasse/liebe diese Stadt")Bild: DW

Wie im Wilden Westen?

Um Split geht es auch im neuen Buch von Olja Savičević Ivančević. Ihr Roman "Lebt wohl, Cowboys", das auch ins Deutsche übersetzt ist, sei eine Hommage an das Dalmatien der Nachkriegsära und seine Vororte, sagt die 38-jährige Schriftstellerin. Sie selbst wuchs in dem Spliter Vorort Kaštela auf, weit entfernt vom glitzernden Stadtzentrum. Zu Zeiten des Kommunismus wurde Kaštela mit seiner malerischen Lage an der Riviera mit hässlichen Zement- und Asbestfabriken zubetoniert. Es entstand das trist-graue Industiegebiet Splits. Nun stehen die meisten Fabriken leer, das Meer ist hier längst verschmutzt. Es scheint: Das alte Regime zerstörte die Natur, das neue die Industrie.

Sehnsucht nach Europa - Kroatien # 19.06.2012 # Kultur.21 # deutsch

"Unsere Politiker haben uns ausgeplündert. Und zwar in einem Ausmaß, das man selten sieht. Die Schlüsselpersonen in der Politik haben ihr eigenes Land im wahrsten Wortsinne ausgeraubt", schimpft die Schriftstellerin. Als Beispiel führt sie den kroatischen Ex-Premierminister Sanader an. Ihm wird gerade ein Prozess wegen Korruption, Betrug und Untreue gemacht. Das kroatische Volk sei bettelarm gemacht worden, meint Olja Savičević: "Die Mittelschicht, die es zu Zeiten Jugoslawiens und sogar während des Krieges in den 1990er Jahren gab, ist komplett verschwunden."

Fabrik für Asbestrohren "Salonit" in der Industriezone Vranjic, die Konkurs gemeldet hat (Copyright: DW/Dunja Dragojevic-Kersten Split, Mai 2012)
In der Fabrik "Salonit" hat man früher Asbestrohre produziert. Heute ist sie nur noch eine RuineBild: DW

Ihr vielgerühmter Roman ist ein Western, ein ungewöhnliches Genre für kroatische Literatur. Olja wählte es, weil sie Parallelen zwischen den heutigen Gesellschaft in den Staaten Ex-Jugoslawiens und der Zeit des Wilden Westens sieht: "Im Wilden Osten herrscht Gesetzlosigkeit. Lokale Machthaber sind dank ihres Kapitals allmächtig. Den kleinen Leuten bleibt nichts anderes übrig, als wie einsame Cowboys um Gerechtigkeit zu kämpfen."

Hehre Ziele

Die Menschen in Split und ganz Kroatien sind müde, enttäuscht und resigniert. Sie glauben nicht, dass sie aus eigener Kraft ihre Situation verbessern können. "Wir haben in einer der besseren Variante des Sozialismus gelebt. Doch jetzt leben wir in der schlimmsten Form des Kapitalismus", resümiert Schriftstellerin Olja Savičević Ivančević. Trotzdem denkt sie nicht daran, ihre Heimat zu verlassen wie die Hauptfigur ihres Romans: Rusty, "die Rostige", geht am Ende nach Berlin, um dort Teller zu waschen. "Ich liebe dieses Land, nur möchte ich, dass es anders ist, dass es gerechter zugeht. Ich glaube, dass die Menschen in diesem Land das Recht auf ein viel besseres Leben haben", sagt sie.

Graffiti in Split, "Nein zu Stalin, Nein zu Milosevic, Nein zu EU". (Foto: DW/Dunja Dragojevic-Kersten) Split, Mai 2012
"Nein zu Stalin, Nein zu Milosevic, Nein zu EU"Bild: DW

Ein besseres Leben erhoffen sich Kroaten vor allem von der Europäischen Union. Kroatien soll am 1. Juli 2013 das 28. Mitglied der EU werden. Die meisten Menschen, reduzieren das darauf, dass sie dann Geld aus Brüssel bekommen werden und ihr Lebensstandard steigt, klagt der Musiker Saša Antić. "Das kann passieren", sagt er, "aber genauso schnell kann es auch wieder vorbei sein. Wenn man nicht einen inneren Beweggrund hat, etwa die Welt besser zu machen, dann hat es keinen Sinn." Er selbst wünscht sich mehr Toleranz, weniger Gewalt und größere Bereitschaft zum Dialog. Und vor allem mehr Solidarität, wenn es darum geht, die Zukunft unseres Planeten zu retten.

Sehnsucht nach einem besseren Leben

Die Schriftstellerin Olja Savičević sehnt sich nach einem Europa, in dem nicht der Profit die Menschen regiert. Sehnsucht nach Europa - das erinnere sie an jene Kindheitstage, als sie als Kind leere Cola-Dosen sammelte und im Ausland eine Jeanshose kaufte. Aus der Ferne schien Westeuropa wie ein Ideal. Heute, aus der Nähe betrachtet sieht ihr Bild anders aus. Aber trotzdem verbindet sie Westeuropa immer noch mit einer gewissen Sehnsucht nach Freiheit - die Freiheit zu wählen und ein besseres Leben zu führen.

Panoramabild von Split mit Regenbogen (Copyright: Aleksandar Antić) Alle wurden in Split, im Mai 2012 aufgenommen
Brüchiger Optimismus - das bessere Leben soll Kroaten der Eintritt in die EU bringenBild: Aleksandar Antic